Kapitel 23

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Gespannt sah ich Milan an. Ich hatte ja schon Hoffnung, dass er mir alles erklären würde. Angefangen von dem Tag, an dem sie gegangen sind, bis hin zu der Situation in der Bar.

"Bis wohin kannst du dich denn noch erinnern?", fragte mich Milan. Man konnte erkennen, dass er es ernst meinte und mir erzählen wollte, was passiert war.

"Naja, das letzte, was ich noch weiß, ist, dass ich in der Bar arbeiten war. Diego und du wart da auch irgendwie. Ach und so ein komischer Typ hat mich angemacht.", sagte ich ihm wahrheitsgemäß.

Beim letzten Satz musste Milan leicht schmunzeln. Idiot. Ich erinnerte mich an gefühlt gar nichts mehr und der hatte nichts besseres zu tun, als so blöd zu grinsen.

"Nun gut. Das ist wirklich nicht viel. Mal schauen, ob du dich wieder erinnerst, wenn ich dir von den Geschehnissen erzähle.", sagte Milan und machte eine kurze Pause. Ich sah ihn weiter erwartungsvoll an, mit der Hoffnung, dass nun alles Sinn machen würde.

"An dem Abend, an dem wir alle in der Bar waren, hatte ich dort einen wichtigen Deal am laufen. Diego, als meine rechte Hand, war auch dabei und hat mich bei allem unterstützt. Die zwei Männer, die auch noch dort waren, hießen Roberto und Alessandro. Das wusstest du aber vielleicht auch schon.", erzählte Milan mir und ich überlegte. Die Namen sagten mir tatsächlich etwas. "Ist ihr Familienname Russo?", fragte ich ihn.

"Ja, genau. Die Russo Brüder. Sie führen ein gutes Waffengeschäft, darum haben wir uns getroffen. Eigentlich verlief alles gut. Bis auf die Tatsache, dass weder Diego noch ich und bestimmt auch du nicht wussten, was wir tun sollten. Du wirktest sehr distanziert und hast auch nach deiner Schlüsselkarte gefragt, die ich dir dann auch gegeben habe."

"Wieso erinnere ich mich nicht mehr wirklich daran?", flüsterte ich schon fast. Dass ich anscheinend so arrogant und zickig zu ihnen war, tat mir schon leid.

Milan sah mich mitleidig an. "Im Fernsehen kamen dann später Nachrichten, die wir uns alle angesehen haben. Und kurz darauf bist du bewusstlos geworden. Du hast vorher aus Versehen ein paar Gläser runtergeschmissen und bist dann auf deren Scherben gelandet. Daher auch die Verletzungen und kleinen Schrammen an deiner Wange und Hand."

Ich betrachtete wieder meine Hände, der eine Kratzer war immer noch da. "Was wurde in den Nachrichten gesagt, sodass ich bewusstlos wurde?", stellte ich ihm die Frage, die nun durch meinen Kopf ging.

"Eigentlich nichts, weswegen man bewusstlos wird. Aber bewusstlos wurdest du erst, als du auf die Scherben gefallen bist. Vorher das war etwas wegen deinem Herzen, meinte der Arzt."

"Ich war im Krankenhaus?", fragte ich etwas aufgebracht, aber dennoch leise. Er lachte kurz ironisch auf. "Nein, das wäre viel zu riskant gewesen. Ein Arzt, den ich sehr gut kenne und vertraue, hat dich hier untersucht und dir geholfen."

Verstehend nickte ich. "Was war jetzt mit den Nachrichten?", fragte ich ihn erneut. Er atmete einmal tief durch, ehe er sprach: "Es wurde eine Studentin getötet und es war mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit Mario, der sie erschossen hat. Der Name der Studentin war Lucy Peters, kennst du sie?"

Meine Augen weiteten sich, als ich den Namen hörte. Denn ja, ich kannte sie. "Du kennst sie. Deswegen auch das Problem mit deinem Herzen.", stellte Milan fest. Ich nickte leicht. "Lucy und ich haben uns schon öfter mal unterhalten. Sie studiert oder besser gesagt studierte auch Psychologie. Und eigentlich war sie immer sehr nett zu mir.", sprach ich leise.

Milan sagte erstmal nichts und gab mir einen Moment meine Gedanken zu ordnen. Jedoch hatte ich immer noch so viele Fragen im Kopf, die einfach beantwortet werden mussten.

Daher fragte ich ihn weiter: "Was geschah danach?"

"Du meinst, nachdem du dein Bewusstsein verloren hattest? Es verlief gefühlt alles wie in einem Film. Ich habe nicht gezögert und direkt meinen Arzt angerufen. Wie gesagt, dich ins Krankenhaus zu bringen, war eigentlich keine Option. Außer natürlich es wäre zu schlimm geworden. Im Hotel hätte ich deinem Onkel alles erklären müssen, also hab ich dich mit hierher genommen und du wurdest hier behandelt."

Gespannt hörte ich Milans Worten zu. Ein gemischtes Gefühl breitete sich jedoch in mir aus. Ich hatte zwar größtenteils meine Antworten, aber andererseits fühlte sich irgendwas falsch an.

"Wie lange ist das jetzt her? Also wie lange war ich bewusstlos?", gab ich ein wenig beunruhigt von mir und rückte mich auf der Couch zurecht.

Milan sah mir tief in die Augen und ich hatte doch etwas Angst vor seiner Antwort.
"Vier Tage.", gab er knapp von sich.

Ich schnappte nach Luft. Vier ganze Tage war ich bewusstlos... Das konnte doch nicht sein.

"Was hast du meinem Onkel erzählt?" Diese Frage interessierte mich wirklich, da Milan ja meinte, dass er ihm die Situation nicht erklären wollte.

Er kratzte sich kurz am Hinterkopf und fuhr sich anschließend durch seine Haare. "Naja, schwer zu erklären.", sagte er deutlich verunsichert.

"Milan.", mahnte ich ihn mit einem vorwurfsvollen Blick.

Er seufzte: "Möglicherweise habe ich ihm gesagt, dass wir einen gemeinsamen Urlaub machen, mit dem ich dich überrascht habe."

Ich sah ihn mit einem ist das gerade dein Ernst-Blick an. "Und sowas hat mein Onkel dir geglaubt? Ausgerechnet dir?", stellte ich nochmal ungläubig fest.

Erneut kratzte sich Milan am Hinterkopf. "Um genau zu sein, habe ich ihm das nicht gesagt, sondern du. Naja, geschrieben halt."

Fassungslos sah ich ihn an: "Du warst an meinem Handy?" Die Antwort auf meine Frage wusste ich zwar schon, aber ich wollte es nochmal direkt von ihm hören und nicht nur indirekt.

"Tatsächlich ist Face ID nicht so sicher, wie jeder immer denkt. Also ja, ich war an deinem Handy. Und bitte gerne, ich denke mal nicht, dass du gewollt hättest, dass er alles weiß.", meckerte er mich fast schon an.

Ich verdrehte meine Augen. "Wie hätte ich ihm denn alles erklären sollen, wenn ich selbst nicht mal die ganzen Antworten habe?", meckerte ich genauso zurück wie er.

"Bitte, dann erkläre ihm doch alles, jetzt wo du es weißt. Geh doch zu deinem Onkel und sag ihm, dass ich nur lüge, bei der Mafia bin und weiß Gott noch Schlimmes mache.", entgegnete er mir wütend.

"Du könntest mir einfach mal die ganze Wahrheit erzählen. Mich würde ja mal sehr interessieren, welche Lüge du mir erzählst, wenn ich frage, wieso ihr an dem einen Tag einfach verschwunden seid und nie wieder kamt. Ich hatte Hoffnung, Hoffnung, dass ihr durch den scheiß Hoteleingang kommt und einfach wieder da seid. Ihr seid einfach gegangen und habt mich alleine gelassen.", schrie ich schon fast.

"Verdammt, es war zu deiner Sicherheit. Natürlich habe ich darauf geachtet, dass dir nichts passiert. Du warst nie allein, es hat immer jemand auf dich aufgepasst, egal, wo du warst.", schrie er im selben Tonfall zurück, wie ich es eben tat.

Ein Moment des Schweigens folgte. Ich wusste einfach nicht, was ich sagen sollte. Wie meinte er das, dass immer jemand auf mich aufgepasst hat? Vor allem wieso sollte es nötig gewesen sein, dass man auf mich aufpasste, ich war keine fünf mehr.

Nachdem immer noch keiner was sagte, stand Milan auf und wollte gehen. "Milan, nein, du wirst jetzt nicht einfach gehen.", rief ich ihm noch hinterher, doch er verschwand aus dem Wohnzimmer. Verdammt, wann hatte sich dieses Gespräch bitte in einen Streit verwandelt?

Sollte ich ihm nachgehen? Sollte ich hier bleiben? Oder sollte ich einfach zurück ins Hotel und das hier alles vergessen?

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