Kapitel 13

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Milans Sicht

Immer noch fassungslos sah ich zur Tür. Ist sie gerade wirklich gegangen? Naja gut, das hätte ich wahrscheinlich auch getan, aber ich konnte mich im Notfall verteidigen. Es war dunkel, wir waren in LA und sie ging alleine raus? Diese Frau würde mich noch fertig machen.

Kurzerhand nahm ich mir eine Hose und ein Oberteil und zog diese rasch an. Mit einem vielsagenden Blick machte ich den Jungs klar, dass ich ihr nachgehen würde. Sie wollte zwar über alles in Ruhe nachdenken, aber um diese Uhrzeit war es einfach nicht sicher. Ich kannte nämlich die Art von Menschen, die um diese Uhrzeit unterwegs waren und denen sollte Mimmi lieber nicht begegnen.

Als ich vor dem Hotel war, überlegte ich mir, wo sie wohl hingegangen sein könnte. Entweder nach links den Berg hoch durch die ganzen Straßen oder nach rechts noch mehr in Richtung Stadtmitte. Letztendlich entschied ich mich für rechts. Wenn ich sie wäre, würde ich lieber dahin gehen, wo mehr Menschen noch waren. Wobei wir halb drei mitten in der Nacht hatten, normale Menschen schliefen um diese Uhrzeit.

Während ich den Straßen folgte, merkte ich, dass es recht angenehm hier draußen war. Es war nicht kalt oder so, im Gegenteil es war recht warm und es wehte eine leichte Brise. Alles in allem war es eine angenehme Sommernacht.

Ich schaute mich immer mal wieder um und versuchte, Mimmi zu finden. Was, wenn sie doch nach links gelaufen war? War ich noch weiter weg von ihr als vorher? Entfernte ich mich gerade von ihr? Was, wenn jemand anderes sie vor mir fand? Okay, nein, daran durfte ich einfach nicht denken.

Mimmi war ein starkes Mädchen, ihr konnte nichts passieren. Oder? Nachdem sie die Wahrheit über ihre Eltern erfahren hatte, war sie wahrscheinlich ein wenig durch den Wind.

Doch jetzt blieb ich einmal stehen. Ich sah mich etwas um. Dies schien ein Teil der Stadt zu sein, der eher abseits lag. Von hier hatte man ein weiten Blick auf das Meer und rechts ging die Straße weiter. Dort lagen auch viele Parkplätze und man konnte ein kleines Gebäude sehen. Ich wusste, dass dies eine Bar war. Dort war ich schon öfter im VIP-Bereich, um Geschäfte abzuschließen.

War das nicht auch die Bar, in der Mimmi arbeitete? Ich glaubte, mich recht zu erinnern, dass das so zumindest in ihrer Akte stand. Ob sie dort war? Aber die Bar war mittlerweile auch zu.

Da mir aber nichts besseres einfiel, ging ich auf die Bar zu. Vielleicht hatte Mimmi einen Schlüssel dabei und konnte so rein. Einen Versuch war es auf jeden Fall wert.

Bis zum Eingang der Bar kam ich allerdings nicht, denn ich konnte ein leichtes Schluchzen wahrnehmen. Es kam von eins der parkenden Autos links von der Bar. Und tatsächlich, als ich näher zu dem einen Auto ging, sah ich Mimmi.

Sie saß mit ihren Beinen angewinkelt an der Mauer. Da das Auto ihr den Blick auf die menschenleere Straße versperrte, erschrak sie, als sie mich sah.

Sie stand auf und ich war mir sicher, dass sie gehen würde. Ich meinte, sie wollte alleine sein und in Ruhe gelassen werden, in der Situation wäre ich sehr wahrscheinlich auch gegangen. Doch sie ging nicht. Im Gegenteil. Sie kam auf mich zu und umarmte mich. Einen Moment lang machte ich gar nichts, da ich nicht ganz realisierte, was sie tat. Doch dann erwiderte ich ihre Umarmung und nahm sie in den Arm.

Ich bemerkte, dass sie nicht mehr weinte und sie einfach die Umarmung genoss. Wahrscheinlich brauchte sie das gerade einfach. Das Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit. Wenn man bedachte, dass sie uns am Anfang vermutlich für Verbrecher oder so gehalten hatte, wirkte sie nun doch vertraut. Zumal sie diejenige war, die mich umarmte.

Ganz leicht konnte ich wahrnehmen, dass ihre Atmung entspannter wurde. Sie wirkte nicht mehr so aufgebracht, wie als ich sie gefunden hatte. Der Gedanke daran, sie beruhigt zu haben, ließ mich leicht lächeln.

Sie machte immer noch keine Anstalten, sich von mir zu lösen und so verweilten wir für diesen Moment. Mit meiner Hand strich ihr langsam über den Rücken, um ihr zu zeigen, dass sie nicht alleine war.

"Danke.", kam es ganz leise von ihr. Ich sah ihr nun in die Augen und strich ihr sanft über ihre Wange. "Du brauchst dich nicht bedanken, nur durch uns bist du erst in diese Situation gekommen."

"Nur durch euch habe ich die Wahrheit erfahren. Wärt ihr nicht gewesen, hätte ich es vielleicht nie gewusst.", sagte sie etwas traurig.

"Hey, sieh mich an. Deine Eltern hätten es dir gesagt, wenn sie den passenden Moment gefunden hätten. Sie hätten dich in alles eingeweiht, wenn du alt genug gewesen wärst. Es war nie ihre Absicht, dich anzulügen.", versuchte ich sie aufzumuntern.

Verstehend nickte sie. Sie löste sich von mir und setzte sich wieder an die Mauer. Mit einer Handbewegung deutete sie mir, dass ich mich zu ihr setzen sollte. Also nahm ich neben ihr auf dem Boden Platz.

Normalerweise würde ich das nicht machen - mitten in der Nacht bei jemandem eigentlich Fremden sitzen und der Person Gesellschaft leisten, aber Mimmi brauchte das wahrscheinlich jetzt. Schließlich war ich ja mit an der Situation Schuld.

Nachdem ich mich zu ihr gesetzt hatte, lehnte sie ihren Kopf an meine Schulter. "Willst du darüber reden?", fragte ich sie nach einem Moment der Stille. Sie schien zu überlegen. "Nein.", antwortete sie knapp. Ich nickte.

Eine ganze Weile starrten wir ins Nichts. Wir waren beide gedankenverloren. Bis Mimmi ihren Kopf von meiner Schulter nahm. "Weißt du...", begann sie, "...es fühlt sich so an, als hätte ich meine Eltern nie wirklich gekannt. Als wären das nicht meine Eltern, von denen in der Akte geschrieben wurde."

Sie sprach weiter: "Nach ihrem Tod war es schon schlimm genug, aber jetzt..." Sie schluckte. "Ich hatte es schon mehr oder weniger aus diesem Loch geschafft, aber ich weiß jetzt nicht, wie ich mit der Situation umgehen soll. Die Tatsache, dass sie mutwillig umgebracht wurden, verändert irgendwie alles."

Ich hörte, dass ihre Stimme brüchiger wurde. "Ich verstehe dich.", antwortete ich ihr. "Nein, tust du eben nicht, keiner kann das verstehen.", erwiderte sie etwas traurig. "Doch.", fing ich an zu sprechen. "Ich wurde quasi in der Mafia geboren und war bestimmt, die Mafia irgendwann zu übernehmen. Meine Eltern kamen auch ums Leben, da war ich nicht viel älter, als du es damals warst."

"Ouh, das... das tut mir leid.", sagte sie leise mit Reue in ihrer Stimme. Wahrscheinlich hatte sie das nicht erwartet. Bis auf Diego, Marco und nun auch ihr, wusste das fast keiner.

"Da ich von ihren Geschäften wusste und mir auch viel beigebracht wurde, konnte und musste ich die Mafia übernehmen.", sprach ich weiter. "Bereust du es?", fragte sie und sah mich an. "Was genau?", erwiderte ich. "Dass du die Mafia übernehmen musstest?", erklärte sie mir. Ich reagierte ohne jegliche Emotionen: "Nein."

Sie nickte. Keine Ahnung, ob das für sie jetzt ein Schock war oder ob sie damit schon gerechnet hatte, aber es war die Wahrheit. Ein Teil der Mafia zu sein, bereute ich auf keinen Fall, allerdings bereute ich, dass das Ganze schon so früh geschah. Ich war gerade mal 17 Jahre alt.

Unsanft wurde ich aus meinen Gedanken gerissen und auch Mimmi schreckte hoch. Sie sah mich ängstlich und auch geschockt an. Schnell stand ich auf und sah mich um. Dann ertönte der zweite Schuss. 

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