Mimmis Sicht
Die Worte von Marco wiederholten sich immer wieder in meinem Kopf. Meine Eltern waren nicht bei einem Autounfall gestorben. Aber wie dann? Und vor allem, wieso wurde mir nicht die Wahrheit erzählt?
Als ich immer noch nichts darauf sagte, übernahm Milan das Wort: "Woran sind sie gestorben?" Ich blickte zu Milan und auch zu Marco. Doch Marco versuchte Milan irgendwas deutlich zu machen. Milan sah Marco ernst an: "Marco, nein. Sie hat das Recht, es zu erfahren. Es geht um ihre Eltern."
Daraufhin seufzte Marco und drehte den Laptop zu uns. Nachdem Milan die Akte gelesen hatte, blickte er zu mir. Er hatte offensichtlich mitbekommen, dass ich die Akte nicht selbst gelesen hatte. "Was steht drin?", fragte ich mit leicht zittriger Stimme.
Ich hatte Angst davor zu erfahren, was der wahre Grund ihres Todes war. Wenn man die ganze Zeit glaubt zu wissen, was an jenem Abend passiert ist, war es doch ein Schock plötzlich zu erfahren, dass es anders war.
Milan sah mich mit einem mitleidigen Blick an. "Deine Eltern wurden erschossen.", sagte er.
Ich schluckte. Ich hatte das Gefühl, als könnte ich nicht mehr atmen. Meine Eltern sind nicht einfach so aus Zufall gestorben, sondern wurden mutwillig erschossen. Ich dachte immer, dass sie zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Doch diese Akte änderte alles.
Starr sah ich auf dem Bildschirm und sagte nichts. Ich wusste, wie so oft an diesem Tag, nicht, was ich sagen sollte. Einzelne Tränen liefen wieder meine Wange runter. Normalerweise versuchte ich mich zu beherrschen und nicht bei jeder Kleinigkeit zu weinen. Doch in diesem Moment war alles egal.
Milan bemerkte meine Tränen und nahm mich wieder in den Arm. Ich musste ehrlich sagen, dass mich dies wirklich beruhigte. Anfangs hatte ich zwar sowohl vor Milan als auch vor Diego und Marco Angst, da sie Waffen hatten und fremd waren. Doch jetzt wirkten sie mir so vertraut. Als würde ich sie schon ewig kennen.
Ich löste mich von Milan und sah ihn an. Ein leichtes, aufmunterndes Lächeln bildete sich auf seinen Lippen. "Willst du den Rest auch noch hören?", fragte er mich. Zaghaft nickte ich und hatte wieder Angst vor dem, was folgte.
Er begann zu sprechen: "Deine Eltern wurden an jenem Abend von Joseph F. erschossen. Er war einer ihrer Feinde. Mimmi, ich weiß es ist echt viel für einen Abend und ich verstehe auch, wieso Marco gezögert hat. Aber die Wahrheit ist, dass deine Eltern auch Teil der Mafia waren."
Ich sah ihn geschockt an. "Bitte was? Ihr wollt mir gerade ernsthaft erzählen, dass meine Eltern mal eben so in einer Mafia waren und von einem ihrer Feinde erschossen wurden?" Ich stand von der Couch auf und ging durch den Raum hin und her.
Milan, der weiterhin auf der Couch saß, sprach weiter: "Ja, deine Eltern führten eine relativ bekannte Mafia, die sich rund um den Waffentransport handelte. Sie verschickten jede Menge Waffen ins Ausland und auch im Inland haben sie Transporte abgeschlossen. Aus diesem Grund kam mir auch dein Name bekannt vor, weil wir vor einigen Jahren auch diese Art von Waffen gekauft haben. Allerdings wusste keiner, dass Grace und Vincent Evans eine Tochter haben."
"Naja, ich wusste auch nicht, dass sie eine gottverdammte Mafia leiten, wieso sollten diese Leute dann wissen, dass ich existiere?", sagte ich ein wenig aufgebracht und lief immer noch durch den gesamten Raum.
"Wieso haben sie mir nie die Wahrheit gesagt?", stellte ich die Frage, die mir von Anfang an durch den Kopf ging. Nun sah Diego mich mitleidig an. "Viele Ehepaare, die eine Mafia leiten oder Mitglied sind, sagen nichts über ihre Kinder zur Sicherheit. Sobald Feinde das erfahren, dienen diese Kinder als Druckmittel. Ihr Leben ist dann in Gefahr. Deine Eltern wollten dich wahrscheinlich nur schützen und hätten es dir gesagt, wenn der passende Zeitpunkt gewesen wäre. Sie haben dir eine ruhige und friedliche Kindheit ermöglicht.", versuchte er mir zu erklären.
Ich nickte verstehend, da diese Antwort wirklich logisch in meinen Augen klang. Trotzdem war es schmerzhaft. Ich wurde eigentlich mein ganzes Leben lang belogen.
"Doch was ist jetzt mit dieser Mafia? Meine Eltern sind tot, haben sie einen Nachfolger? Habe ich vielleicht einen Bruder, der mir verschwiegen wurde, der die Mafia übernommen hat?", schossen die Fragen aus mir. Meine Eltern hatten mir etwas Wichtiges verschwiegen, es konnte gut möglich sein, dass noch mehr dahinter steckte.
Milan sah mich ein wenig mitleidig an, er verstand mich wahrscheinlich, dass ich doch etwas sauer war. "Du hast keinen Bruder, naja, sehr wahrscheinlich nicht, aber in der Akte steht, dass die Mafia sich danach aufgelöst hat. Einzelne Mitglieder sind in verbündete Mafias übergetreten. Mit dem Tod deiner Eltern ist auch ihr Mafia Geschäft gestorben.", erklärte mir Milan.
Immer noch leicht angespannt stand ich nun wieder vor dem Fenster. Der Blick nach draußen in die Nacht beruhigte mich. Milan hatte Recht, es war wirklich viel für einen Tag. Ich hatte diese drei Männer vor nicht einmal 12 Stunden kennengelernt und trotzdem wusste ich nur durch sie, was mit meinen Eltern geschehen war.
Während ich in die weite Dunkelheit draußen blickte, stellten sich mir so viele Fragen. Was wäre passiert, wenn ich die drei nicht getroffen hätte? Hätte ich jemals die Wahrheit über meine Eltern erfahren? Hätte ich mit weiteren Lügen leben müssen? Und vor allem: Was machte diese Wahrheit nun mit mir?
"Mimmi? Hast du mich verstanden?", mit diesen Worten von Milan wurde ich aus meinen Gedanken gerissen. "Was? Ehm, ja klar. Ich meine nein, nein ich habe dir nicht zu gehört.", sagte ich, den letzten Satz aber leiser. "Ich habe gesagt, dass es besser wäre, wenn du jetzt schlafen gehst und dich somit entspannst und ausruhst."
Ich sah ihn fragend an. "Ich kann doch jetzt nicht schlafen gehen und so tun, als wäre nichts gewesen." "Es war für uns alle, dich mit eingeschlossen, ein langer und anstrengender Tag. Man braucht doch auch ein wenig Ruhe.", erwiderte er und räumte währenddessen den Laptop wieder weg.
"Mag sein, dass dein Tag anstrengend und lang war, aber du hast nicht gerade erfahren, dass deine Eltern bei der Mafia sind... oder waren... ach egal. Tut mir ja leid, dass ich euren Schlaf gestört habe, aber ich werde mich jetzt nicht einfach ausruhen können.", gab ich ehrlich von mir.
Ich ging nun vom Fenster weg in Richtung Küche. Auf der Kücheninsel lag noch meine Schlüsselkarte, diese steckte ich in meine Jacke.
Milan und auch die anderen beiden sahen mich fragend an. "Ich werde jetzt ein bisschen laufen gehen, ich muss den Kopf einfach frei bekommen.", sagte ich fast schon verzweifelt und hoffte auf ihr Verständnis.
Aber ohne auf eine Antwort oder Reaktion zu warten, drehte ich den Dreien den Rücken zu und verließ meine Suite.
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Life with secrets and lies
RandomEin Leben lang in Geheimnissen und Lügen leben, weit entfernt von der Wahrheit. Das ist das Leben von der Studentin Mimmi Evans, die vor kurzem erst 19 Jahre alt geworden ist. Knappe drei Jahre zuvor sind ihre Eltern ums Leben gekommen, seitdem lebt...