Kapitel 38

499 31 7
                                    


"Ja genau, mein Mann hat nur momentan leider keine Zeit, sonst wäre er selbst hierher gekommen.", erklärte ich Mrs. Humphrey.

Der Blick von Leo galt immer noch mir, jedoch schien es so, als würde er nichts dagegen sagen wollen. Gut für mich, sonst wäre ich ja direkt aufgeflogen, obwohl ich nicht mal drei Minuten hier war.

Die Lehrerin musterte mich. "Na gut, ich nehme mal an, dass ich auch mit Ihnen über die Probleme von Leo sprechen kann. Ich hätte ja lieber mit Mr. Sánchez persönlich gesprochen, aber es ist dringend.", fing sie an zu reden.

"Aber nur um die Zusammenhänge zu verstehen, Sie sind die Ehefrau von Mr. Sánchez. Stehen Sie denn in irgendeiner Relation mit Leo? Cousine, ältere Schwester oder sonstiges?", fragte sie mich. "Nein, nur die Ehefrau von Mr. Sánchez.", meinte ich kurz und knapp. "Wie sieht es mit der Sorgeberechtigung aus? Haben Sie die auch?", fragte sie mich weiter aus.

Diesmal musterte ich die Frau, die vom Aussehen her bestimmt schon kurz vor der Rente war. Sie trug eine rote Brille und ein rosafarbenes Oberteil. Sie erinnerte mich ganz leicht an Professor Umbridge von Harry Potter. Nur ihr weißes Haar passte nicht ganz.

"Die Sorgeberechtigung hat bisher nur mein Mann. Ist das aber von Bedeutung?", stellte ich ihr eine Gegenfrage, mit der sie offensichtlich nicht wirklich gerechnet hatte. Sie wirkte unsicher. "Nein, natürlich nicht. Kommen wir nun aber zu den Problemen, die Leo angestellt hat.", wechselte sie das Thema.

Ich sah zu Leo, der allerdings nur die Augen verdrehte. Ich wandte meinen Blick aber wieder zu Mrs. Humphrey, die begann zu reden: "Also, Leo hat heute erneut eine Schlägerei auf dem Pausenhof angefangen. Dabei wurden zwei Schüler verletzt und mussten ins Krankenzimmer gebracht werden.", sie machte eine Pause. "Was sagen Sie dazu?"

"Er hat doch gewonnen, wo liegt das Problem?", rutschte es mir so raus, doch die Lehrerin wirkte nicht so erfreut. Leo hingegen musste sich beherrschen, nicht laut los zu lachen. Doch Mrs. Humphrey bemerkte es trotzdem: "Leo! Sofort vor die Tür."

Er sah mich fragend an und ich nickte zur Bestätigung, dass ich es auch alleine schaffen würde. "Tut mir leid, Mrs. Humphrey, das, was er getan hat, geht natürlich gar nicht. Geht es denn den zwei Mitschülern besser?", versuchte ich sie zu überzeugen, dass ich doch auf ihrer Seite war.

Zum Glück kaufte sie es mir ab. "Besser auf jeden Fall, der Arzt meinte, sie werden mit ein paar blauen Flecken davon kommen.", beantwortete sie mir meine Frage.

"Und das kam jetzt schon häufiger vor, dass Leo in eine Schlägerei verwickelt war, oder warum rufen Sie direkt an?", erkundigte ich mich. Sie wirkte wieder unsicher. Hatte ich so eine Auswirkung auf sie? Naja, schien so, als würde ich eine gute reiche Ehefrau spielen.

"Mr. Sánchez meinte, dass ich immer anrufen soll, wenn etwas mit Leo ist. Er möchte alles wissen. Und um ihre Frage zu beantworten, ja, egal wann und wo, Leo ist immer bei der Schlägerei dabei.", erklärte sie.

So wirkte Leo gar nicht auf mich. Er war bisher immer sehr nett und hilfsbereit. Klar, er war bei der Mafia, aber da sollte ihn doch sowas mit seinen Mitschülern kalt lassen.

"Dennoch gibt es einen Unterschied, fängt Leo die Schlägereien an oder wird er mit reingezogen?", wollte ich wissen, da dies meiner Meinung nach schon viel ausmachte.

"Er fängt sie an.", entgegnete sie direkt. Alles klar, also wussten wir auch, auf welcher Seite sie stand. Definitiv nicht auf Leos. Kein Wunder, dass Leo so genervt war. Bei der Lehrerin wäre ich nicht anders gewesen.

Ich seufzte: "So wie ich Leo kenne, macht er das nicht ohne Grund. Haben Sie ihn denn bisher immer nur angemeckert oder auch mal versucht mit ihm darüber zu sprechen?" Nichts, keine Antwort von ihr, nur ein Zurechtrücken ihrer Brille und ein Räuspern.

"Na sehen Sie, da haben wir doch schon mal ein Problem gefunden. Wenn Sie Leo immer nur anmeckern, ist doch klar, dass man ihm nicht helfen kann. Sie müssen auch mit ihm reden.", meinte ich und sah sie vorwurfsvoll an.

"Es gibt so viele Schüler an dieser Schule, ich kann mich ja schlecht um alle kümmern.", versuchte sie mir weis zu machen. War das ihre Ausrede? Da wäre ja sogar mir eine bessere eingefallen.

"Aber Leo scheint ja offenbar ein Kind zu sein, was öfters Probleme macht. Er fällt auf und keiner unternimmt etwas? Jämmerlich.", sagte ich so hochnäsig wie eigentlich nur möglich und fand mein Verhalten selbst ekelhaft. Ich hasste es, wenn sich Menschen als etwas besseres darstellten.

Zum Glück bin ich aber Vertrauensschülerin an meiner alten High School gewesen. Genau bei solchen Gesprächen war ich damals auch dabei, daher wusste ich, wie sich sowohl die Lehrer als auch die Eltern verhielten. Die Lehrer waren am Anfang eigentlich immer nett, aber sobald die Eltern Kontra gaben, waren sie unfreundlich. Und die Eltern taten alles, damit ihr Kind sicher aus der Situation raus kam.

"Wie wäre es, wenn wir Leo nochmal zu dem Gespräch dazu holen, Mrs. Humphrey?", fragte ich sie direkt heraus, damit wir das klären konnten. "Na meinetwegen.", gab sie etwas pampig von sich, lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und kreuzte die Arme vor ihrer Brust.

Ich verdrehte meine Augen und lief auf die Tür zu. Nachdem ich diese geöffnet hatte, sah ich mich in den Fluren um. Doch weit und breit war kein Leo zu sehen. Wo war er denn jetzt? Die Flure waren wie leergefegt, nur in einzelnen Klassenzimmern hörte man Stimmen. Er hatte doch jetzt keinen Unterricht? Ich sollte ihn doch nach dem Gespräch mit nach Hause nehmen. Komisch.

"Scheint so, als wäre er mal eben auf Toilette gegangen.", sagte ich zu Mrs. Humphrey, als ich den Raum wieder betrat und mich erneut zu ihr setzte. "Aber ist ja auch egal. Wie wäre es denn damit, ich rede zu Hause mit ihm und dafür wären Sie fein aus der Sache raus?", machte ich ihr den Vorschlag.

"Nein.", kam es nur von ihr. "Und wieso nicht?", entgegnete ich genervt.

Nach einer geschlagenen halben Stunde konnte ich sie davon überzeugen, dass ich mich darum kümmern würde. Sie war zwar für einen Schulverweis bzw. für eine zweiwöchige Schulausschließung, doch auch das konnte ich ihr ausreden. Ich musste nur einmal mit Milan drohen und das es ihm gar nicht gefallen würde, wenn Leo einen Verweis bekäme, und schon war sie auf meiner Seite. Es schien so, als wäre Milan in dem Fall nicht der beste Gesprächspartner für so eine alte Frau.

Doch auch in der halben Stunde kam nichts von Leo. Auch als ich mich von Mrs. Humphrey verabschiedet hatte, war er nicht im Flur. Langsam aber sicher machte ich mir etwas Sorgen. Es sah ihm einfach nicht ähnlich. Wüsste ich nicht, wie er sich verteidigen kann, wäre ich schon längst aufgeschmissen gewesen.

So lief ich die Flure der Schule entlang in der Hoffnung, dass Leo um die nächste Ecke stand. Doch Fehlanzeige, stattdessen fand ich aber den Ausgang. Naja, wenigstens etwas. Vielleicht wartete er auch am Auto, schließlich dürfte er das erkennen.

Doch als ich auf dem Parkplatz am Auto stand, war Leo auch nicht da. Wo steckte dieser Junge bitte? Es konnte doch nicht sein, dass ich einen 14-Jährigen verlor.

Als ich mich wieder umdrehte, um die Schule anzuschauen, damit mir vielleicht eine Idee kam, fiel mein Blick auf eine Gruppe Jugendlicher, die etwas abseits vom Schulgebäude stand.

Ein Flüstern meinerseits: "Das kann doch wohl jetzt nicht wahr sein?"

Life with secrets and liesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt