Klippe

36 4 0
                                    

„ Wo denkst du ist er?", fragte Basti schweratmend. „ Ihr kennt die Klippe im Wald? Da wo der kleine Bach runter fließt. Da wird er sein. Oder eben unten im Flussbett." Alle drei schnappten erschrocken nach Luft. Ihnen schien erst jetzt so richtig bewusst zu werden, wie schlimm es wirklich um Stegi stand. Tim war es klar gewesen, dass Stegi im Extremfall so reagierte. Deswegen war er überhaupt erst gucken gekommen. Ansonsten hätte sie gar keine Chance Stegi Lebens wieder zu sehen. „ Denkst du wirklich, Stegi würde sich da runter stürzen?", fragte Tobi zaghaft nach. Würde er rennen, wenn es nicht um Stegis Leben ging? Natürlich wünschte er sich, dass es nicht so wäre, aber das war es nun mal nicht. „ Leider ja. Hoffen wir das Stegi die Ausdauer verloren hat oder gezögert hat. Sonst sind wir zu spät. Und ich wollte euch eigentlich den Anblick einer Leiche ersparen." Und sich selbst auch. Stegi war der kleine Sonnenschein ihres Freundeskreises. Ihn zu verlieren würde ein tiefes Loch in die Mitte reißen. „ Wie hast du's eigentlich raus gekommen? Ich glaub nicht, dass Stegi es dir einfach so gesagt hat." Hatte er auch nicht. Er hatte sicher fünf Minuten auf Stegi einreden müssen, bis er endlich rausgerückt war. „ Hab Stegi er-wischt, als er gerade.. keine Kontaktlinsen... drin hatte und.. blonde Haare hatte..... Eswardanneinfach.. nur noch eins und eins.. zusammen zählen. Stegi hat sich.. unendlich.. sehr geziert esmir zu.. sagen. Ich wusste, es. würde. ihn zerstören. Deswegen. hab. ich mitgespielt. und. auf unwissend.. getan. Ihm zuliebe." Tim geriet beim sprechen immer wieder ins Stocken, um Luft zu holen. Er konnte kaum mehr und die anderen sicher auch nicht mehr. Doch stoppen war keine Option. Sie rannte einfach weiter. Bis zu der Klippe war es nicht mehr weit. Das Baumhaus und den See hatten sie hinter sich gelassen. Nirgends war Stegi gewesen. Nicht mal seine Klamotten hatte er irgendwo gefunden. Wenn er jetzt doch nicht an der Klippe war, sondern wo anders, würden sie Stegi wohl nie mehr lebendig wieder sehen. Doch sie hatten Glück. Schon wo sie in der Ferne die Klippe sehen konnten, konnten sie zusätzlich eine kleine zierliche Gestalt dort ausmachen. Stegi hatte sich noch nicht runter gestürzt. Erleichtert atmete er aus und verlangsamte sein Tempo, was die anderen ihm schweratmend gleich taten. „ Ich werd. hingehen... Bleibt ihr zurück. Je später.. eruns bemerkt, desto.. mehr Chancen.. haben wirihn.. abzuhalten." Tim versuchte seine Atmung unter Kontrolle zu bringen, während er sich an Stegi anschlich. Er stand nah an der Klippe, machte aber keine Anstalten runter zu springen. Zögern war ein gutes Zeichen. Einfach so würde Stegi sich nicht das Leben nehmen. Das war gut. Die Frage war nur wie lange. Tim schaffte es auf knapp fünfzehn Meter, bis Stegi sich zu ihm umdrehte. Seine Augen waren rot und wässrig, seine Wangen mit Tränen benetzt. In seinen Augen sah er zum ersten Mal etwas wie Trauer und Selbsthass. „ Stegi.", sprach er ihn ruhig an und sah ihm tief in die Augen. Stegi würde sich nichts tun, solang er Blickkontakt hatte. Trotzdem blieb er stehen. Wenn er Stegi jetzt bedrängte, würde er aus einer Kurzschlussreaktion heraus etwas dummes tun. „ Was willst du noch?! Wenn du mir sagen willst, dass ich scheiße gebaut hab, dann kannst du direkt wieder gehen.", schrie Stegi ihn an. Doch in seiner Stimme erkannte er die Verletzung. Ein falscher Schritt und Stegi lag im Flussbett, das wusste er. Und er musste das verhindern. „ Hast du nicht kleiner. Komm bitte her. Lass dich in den Arm nehmen. Ich bin immer noch für dich da.", bat er Stegi leise mit tränenerstickter Stimme. Stegi an diesem Punkt zu sehen war schmerzhaft. Das er sich wirklich das Leben nehmen wollte. Nach allem was er durchgemacht hatte. Er wollte seinen fröhlichen Stegi zurück. Den, der vor ein paar Tage noch an ihn gekuschelt in seinen Armen gelegen hatte. „ Zu wem wirst du wohl halten, wenn es hart auf hart kommt? Zu mir, wo du dich in Gefahr begibst und drei Freunde verlierst, oder zu Veni, Basti und Tobi, bei denen du drei gute Freunde hast und nur das Wrack von Mensch verlierst, was ich geworden bin.", schrie Stegi weinerlich zurück und trat einen Schritt näher auf die Klippe zu. Tims Augen weiteten sich,  trotz der verschleierten Sicht. Nein das durfte nicht passieren. Tim wollte einfach nur auf Stegi zu zu rennen und ihn vom Abgrund weg zu ziehen. Doch ein Satz ließ abrupt stoppen. „ Ein Schritt weiter und ich springe." Seine Stimme zitterte und war von Tränen erstickt. Es bestand jedoch kein Zweifel darin, dass Stegi es wirklich tun würde. Sie trennten nur zehn Meter voneinander und trotzdem war Stegi für ihn unerreichbar. Und das schlimmste war, dass es in seiner Hand lag. „ Stegi bitte mach jetzt nichts dummes. Komm bitte her und lass uns in Ruhe reden. Ich bin sicher, dass wir eine Lösung finden." Neben ihn trat aus der Deckung eines Baumes Tobi. Sein Gesicht strahlte Schuldbewusstsein aus. Doch er blieb genauso ruhig, wie Tim es im Moment war. Wagte keinen weiteren Schritt zu Stegi hin. Das Tobi probierte ihn zu sich zu holen konnte vielleicht helfen. Immerhin bedeutete Tobi ihm gleich viel wie Tim. Wenn sie zusammen hielten, würde Stegi hoffentlich nicht springen. Etwas weiter hinter sich konnte er jetzt auch Basti und Veni ausmachen. Sie mussten dringen Stegi überzeugen, dass es ihnen leid tat. „ Du hast mir deine Meinung schon gesagt. Sicher tust du das hier jetzt nur, weil du mich nicht auf dem Gewissen haben willst. Vielleicht hat Tim dich auch angestiftet das zu sagen, ich weiß es nicht. Geht einfach hier weg." Seine Stimme war leiser und brüchiger geworden. Keine Wut mehr, keine Erschöpfung. Sie war emotionslos und kalt. Keine Chance Stegi zu überzeugen. Sie mussten ihn da weg bekommen. Schnell. „ Stegi bitte komm zu mir. Ich würde dich vermissen. Du bist mir unglaublich wichtig. Ich liebe dich kleiner." Tim versuchte all die Leidenschaft und Sehnsucht in seine Worte zu packen, die er hatte, damit Stegi sah, wie ernst es ihm war. Einen Moment fror Stegi ein und blieb Stock steif stehen. Tim nutzte den Moment, um weiter auf Stegi zuzutreten. Ihn abzulenken war gut. Doch es reichte nicht aus. Stegi sah ihm nur einen kurzen Moment lang in die Augen, bevor eine Feuerwand sie von Stegi trennte. „ NEIN!", schreien er und Tobi gleichzeitig und stürzten auf die Flammen zu.

Von Geheimnissen, Komplexen und verbotener Liebe Stexpert/ Venation FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt