Kapitel 60. Ersatz

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Jamie öffnet die Tür.

"Kommt rein. Danny ist in der Küche", sagt sie mit einem milden Lächeln und macht einen Schritt zurück. Falc stupst mich auffordernd an, zweimal, bis ich die Wohnung betrete, meine alte Pflanze fest im Arm.

Mein Betreuer sieht auf, als wir die Kochnische betreten. Er sitzt zwischen Nastja, die mit gesenktem Kopf sehr sorgfältig eine Zwiebel zerkleinert und Gloria, die wortlos in ihr Handy sieht.

"Hi Andreas", begrüsst er mich mit einem Lächeln und nickt Falc zu. "Hi", sage ich und werfe Gloria einen genervten Blick zu, als sie kurz hochsieht.

"Willst du mir was sagen?", fragt sie spöttisch. Ich schüttle wortlos den Kopf und drücke die Pflanze enger an mich. Sie ist eine dieser sattgrünen Sukkulenten, die nie sterben, was man ihnen auch antut. Sie wachsen einfach weiter, auch unter einem halben Zentimeter Staub in der dunkelsten Ecke des Raumes. Ich habe sie aus dem Abfall des Biounterrichts gerettet und in einem Glas Essiggurken wachsen lassen, bis sie gross genug für einen Topf war.

"Hast du schon gegessen?", fragt Danny und deutet auf die Pfannen hinter sich. Ich muss mich nicht umdrehen, um zu wissen, dass Falc meine Antwort genau verfolgt.

"Ein wenig", sage ich und weiche Jamie aus, die sich mit einer entschuldigenden Geste an mir vorbeizwängt, um zum Herd zu gelangen. Er nickt und legt Gloria eine Paprika auf ihr grünes Schneidebrett, die sie geflissentlich ignoriert.

"Das braucht noch einen Moment", bemerkt Jamie und deutet mit zuckenden Mundwinkeln auf den Stapel von ungeschnittenem Gemüse auf dem Küchentisch, während sie gleichzeitig zwei Pfannen hantiert. "Ich komm schon klar, Danny."

Nastja sieht kurz auf, als ich gemeinsam mit meinem Betreuer und Falc die Küche verlasse, die Pflanze fest an meine Brust gedrückt. Natürlich hat sie blaue Augen, gross mit dichten, dunklen Wimpern.

Danny lässt sich ganz dem Klischee vom lockeren Jugendarbeiter entsprechend in einen der orangen Sitzsäcke im Wohnzimmer fallen, in denen ich sonst noch nie jemanden sitzen sehen habe. Sein Lächeln wirkt ein wenig deplatziert, als könnte es gleich von seinem Gesicht rutschen und eine wütende Fratze zurücklassen. Für einmal bin ich froh, dass Falc dabei ist, denn seine Reaktionen lassen sich besser einschätzen. Mittlerweile jedenfalls.

"Wir haben schon geredet", sagt Falc und betrachtet mich dabei, wie ich mit der Pflanze im Schoss die Beine anziehe. Sie sieht gesünder aus als damals bei mir.

"Ja?", antwortet Danny rhetorisch. Ich sage nichts, als der Kommissar ihm kurz bestätigt, dass Gloria recht hat. Ein langes Blatt der Pflanze bricht ab, als ich ein wenig zu fest über die dicken, grünen Verzweigungen streichle.

"Mach sie nicht kaputt", sagt Falc leise, und ich erstarre.

"Du solltest sie behalten", murmle ich knapp und drücke ihm das Gewächs in die Hand. Er schüttelt verwirrt den Kopf, ohne etwas zu sagen und setzt die Pflanze vor mir auf den Stubentisch. Danny sieht stillschweigend zu, bis er sich schliesslich nach einer Weile räuspert.

"Die letzten Tage müssen ziemlich anstrengend für dich gewesen sein, mit den ganzen neuen Menschen, dem neuen Ort und dem Stress und allem. Ich glaube, das wäre jedem zu viel geworden. Du hast dich nicht schlecht geschlagen."

Er hebt mitfühlend die Mundwinkel. Ich ziehe die Pflanze instinktiv zurück in meine Arme, drücke den Topf fest an meine Brust.

"Ich weiss, du bist ein guter Einzelkämpfer, aber ich bin da, um dir zu helfen. Für alles eigentlich. Wenn du eine schlechte Note kriegst oder es dir schlecht geht, oder einfach wenn du dich einsam fühlst, kannst du immer anrufen oder zu mir kommen. Ich weiss, wir kennen uns noch kaum, aber lass dich bitte davon nicht abhalten."

"Ich brauche keinen Elternersatz", unterbreche ich ihn knapp. Falcs dunkle Augen beobachten mich aufmerksam von der Seite her. Ich rutsche ein Stückchen zur Seite, damit er meinen Gesichtsausdruck nicht sehen kann.

"Ich bin kein Elternersatz", sagt Danny gelassen. "Kein reiner zumindest. Meine Rolle ist eher so 'ne Mischung aus Elternteil, Berater und Freund."

"Und Spion für ihn?", murmle ich spöttisch und deute vage auf Falc neben mir. Der Kommissar sagt nichts dazu, sieht mich bloss wortlos an, immer noch tief ins Sofa zurückgelehnt.

Danny betrachtet mich ruhig.

"Du hast recht, ich hätte erst mit dir reden sollen."

Falc sagt nichts dazu, aber ich sehe, wie er mit meinem Betreuer einen kurzen Blick austauscht. Wir reden später, bedeutet es zweifellos.

"Das mit dem Essen ist ja nicht zum ersten Mal passiert", beginnt Danny schliesslich und ich werfe Falc einen gereizten Blick zu. Sie verhalten sich wie ein einziger Organismus, der sich blöderweise gegen mich verschworen hat, - weiss es einer, weiss es der andere auch.

"Deshalb würde ich vorschlagen, dass wir einen Termin bei jemanden machen, der sich mit Essstörungen auskennt und dich dabei ein wenig unterstützen kann. Was hältst du davon?"

Nichts, würde ich am liebsten sagen, aber selbst mir ist klar, dass das kindisch wäre. Nick hat mich Skelett genannt. Zu dünn. Er würde jetzt bestimmt nicken und irgendwie eine passende, erwachsene Antwort bereit haben. Ich begnüge mich mit einem verkrampften Schulterzucken.

"Okay, dann mach ich einen Termin ab. Vielleicht klappt es noch diese Woche."

Falc legt eine Hand auf meine, als ich unruhig beginne, mit dem Bein zu wippen.

"Es ist die richtige Entscheidung, Tres", sagt er sanft und nimmt mir das abgebrochene Blatt der Sukkulente aus der Hand. "Vielleicht wächst es, wenn ich es ins Wasser stelle."

"War nicht wirklich meine Entscheidung", murmle ich genervt. Wenn ich Nein gesagt hätte, wäre das Resultat dasselbe gewesen, bloss mit deutlich mehr Diskussion. Er antwortet nicht.

"Ich würde mich freuen, wenn du mit uns Frühstück und zu Abend isst", fährt Danny mild fort. Er formuliert alles auffällig harmlos, doch mir entgeht nicht, dass er es mit der Umsetzung bitterernst meint. Nur dass er das Mittagessen mit keinem Wort erwähnt, macht mich stutzig.

"Ist das alles?"

Mein Betreuer nickt gelassen und fährt sich durchs kurze, dunkle Haar.

"Von meiner Seite schon. Noch was, worüber du reden willst?"

Falc stupst mich an, bevor ich den Kopf schütteln kann.

"Nick", sagt er mit einem kurzen Lächeln. "Wie sieht's mit der Besuchererlaubnis aus?"

Danny nickt und wechselt abermals einen schnellen Blick mit Falc, bevor er einen gelben Klebezettel und Kugelschreiber vom Tisch fischt und sich kurz etwas notiert.

"Ah ja. Ich bespreche mich nachher mit Jamie, wir führen das Gespräch immer gemeinsam."

"Wo ist der Hund heute?", frage ich zaghaft, als der Jugendarbeiter wieder aufsieht.

"Bei Jamies Freundin wahrscheinlich. Stört er dich?"

Ich schüttle den Kopf. Aus der Küche riecht es stark nach Essen.

"Nein, ich will ihn gerne mal streicheln."


Was haltet ihr von Danny?

Danke an alle, die abstimmen und kommentieren, - ohne euch hätte ich schon lange aufgehört zu schreiben. Nächste Woche geht es wieder mit zwei Kapiteln im anderen Buch weiter :)

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