Kapitel 26. Apathie

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Das mit dem Ausruhen war nicht ernst gemeint. Ich kann mich keine Minute ausruhen, die Gedanken schwirren und toben in meinem Kopf. Jede Sekunde erwarte ich, dass die Visite an die Tür klopft und mich wieder in eine Hölle aus Fragen und ungewollten Berührungen katapultiert.

Ich kann mir nicht vorstellen, ins Gefängnis zu kommen. Eingesperrt zu sein. Von der Psychiatrie in den Knast. Vom Regen in die Traufe quasi.

Mein Körper zittert unwillkürlich, mir ist andauernd übel. Eigentlich muss ich auf Toilette, aber die liegt auf der anderen Seite des Flurs. Ich möchte Aaron nicht fragen und ich möchte nicht gesehen werden. Eigentlich will ich mich erbrechen, bis ich nichts mehr fühle. Oder schlafen, bewusstlos werden. 

Aaron wirft mir einen mitfühlenden Blick zu. Ich schiele in Richtung der Fenster. Sie sind garantiert abgeschlossen. Sind sie immer und bleiben sie auch.

Es klopft. Innerlich stöhne ich auf und sinke mit geschlossenen Augen zurück ins Kissen.

Mit einem Nicken in Aarons Richtung betritt ein älterer Herr mit grauem Haar den Raum, gefolgt von mehreren ebenfalls weissbekittelten Personen und der braunhaarigen Frau von der Pflege, Frau Schneller. 

"Guten Morgen Herr Stern, wie geht es uns denn heute? Ich bin Doktor Rodenkamp", meint der Oberarzt, zumindest vermute ich, dass es sich beim führenden Weisskittel um ihn handelt. 

"Okay", murmle ich und mustere mit müden Augen die restlichen Menschen im Raum ohne mir ihre Gesichter zu merken.

"Haben Sie im Moment Schmerzen?"

Ich schüttle den Kopf. 

"So...Ihre Werte sehn' erstmal nicht so schlecht aus – sie haben noch etwas erhöhte Temperatur, Herr Stern, aber da hoffen wir jetzt, dass das auch noch wird."

Seine blauen Augen hinter der Drahtbrille blicken mich erwartungsvoll an.

"Zu sich genommen haben Sie aber bis jetzt nichts...und auf Toilette waren Sie auch noch nicht. Das müssen wir aber im Auge behalten!"

Er zieht seine Augenbrauen hoch, wie um seiner Aussage Nachdruck zu verleihen.

"Sie wollen bestimmt wissen, wie's jetzt mit Ihnen weitergeht. Wir behalten Sie jetzt noch ein paar Tage für einige Nachuntersuchungen da und wenn dann noch alles in Ordnung ist, dürfen Sie schon wieder nachhause."

Ich muss würgen. Nachhause. Ein paar Tage. Jemand hält mir eine Schale vor den Mund. 

"Tut mir leid", murmle ich, als ich mir mit hingehaltenen Papiertüchern die Gallereste wegwische.

"Ist Ihnen häufiger übel?", fragt Doktor Oberschlau. 

Ich zucke mit den Schultern, während mir eine Ärztin oder auch Medizinstudentin - sie sieht geradezu lächerlich jung aus, ein Glas Wasser reicht.

"Danke", nuschle ich und sie nickt höflich.

"Mir wird übel, wenn ich Angst habe", flüstere ich erschöpft, praktisch unhörbar, als Rechtfertigung vielleicht.

Doktor Rodenkamp schiebt sein Drahtgestell von Brille auf seinem Nasenrücken nach hinten. Er hat mich nicht gehört.

"Haben Sie im Moment sonst noch Fragen an uns, Herr Stern?"

Ich schüttle den Kopf. Die Visite verschwindet Sekunden später aus dem Zimmer, ich höre ihre Verabschiedungen nicht mehr. 

Aaron lässt sich auf den Stuhl in seiner Ecke des Raumes sinken, die hellen Augen einfühlsam auf mich gerichtet. Es klopft wieder an der Tür, Frau Schneller tritt ein. Das Tablar mit dem Frühstück in den Händen. 

SchattenfallWo Geschichten leben. Entdecke jetzt