Falc betritt eine halbe Stunde später mein Zimmer, einen Verband um den Kopf gewickelt, der seine dunklen Locken auf eine Seite seines Kopfes zwingt. Er nickt Aaron mit einem matten Lächeln zu, das seine Augen nie erreicht und setzt sich dann immer noch aschfahl im Gesicht neben mir ans Bett.
"War der Arzt schon da?", fragt er und kramt aus seiner Hosentasche eine silberne Packung Tabletten. Mit einem leisen Klicken löst er zwei gelbliche Pillen und schluckt sie ohne den Blick von Aaron zu nehmen.
Kurz sagt Aaron nichts, starrt nur auf Falcs Lippen, als er sich kommentarlos die Kapseln in den Mund schiebt und ungerührt von der ganzen Aufmerksamkeit schluckt. Erst als der Kommissar sich noch mal räuspert, fährt er aus seiner Trance.
"Ja, es war eine Ärztin da. Es scheint ihm so weit gut zu gehen, er hat kein Fieber und wollte auch keine Schmerzmittel."
Falc betrachtet mich nachdenklich und bringt schliesslich ein weiteres angestrengtes Lächeln zustande, als er mir meine Angst anmerkt.
"Alles gut, mach dir keine Sorgen", sagt er behutsam, bevor er sich wieder seinem Freund zuwendet.
"Aaron – ...du kannst gehen, wenn du willst. Danke vielmals für deine Hilfe."
"Ich glaube du schuldest mir erst noch eine Erklärung", meint der blonde Polizist knapp ohne auf Falcs unterschwellige Bitte zu verschwinden einzugehen.
Der Kommissar seufzt unwillig und fasst sich fahrig an die bandagierte Schläfe, bevor er Aarons Blick begegnet.
"Es ist nicht schlimm. Ich habe mich ein wenig überarbeitet und bin für einen Moment weggekippt. Und dabei habe ich mir den Kopf ungünstig gestossen."
"Und dann dachtest du, der beste Ort um deine Überarbeitung und deine Gehirnerschütterung auszukurieren ist beim Arbeiten?", antwortet Aaron spöttisch.
"Du brauchst nicht so zynisch zu sein. Ich habe noch etwas zu erledigen und das geht schneller, wenn du jetzt gehst. Wir können später weiterreden."
Aaron hebt beide Augenbrauen.
"Okay. Aber du kannst so nicht Auto fahren."
Falc nickt knapp und streckt eine Hand nach ihm aus, die sein blonder Kollege wortlos drückt.
"Ich nehme mir ein Taxi, keine Sorge. Ich brauche hier einfach noch ein wenig Zeit."
"Ich verstehe eure Beziehung nicht", murmle ich, als hinter Aaron die Türe zuschlägt. Falc lacht leise auf, zum ersten Mal seit einer Weile erreicht es auch seine Augen.
"Da bist du nicht der Einzige. Aber jetzt würde ich gerne über etwas anderes reden, Andreas."
"Ja", flüstere ich. Die Angst hat den Rest meiner Stimme für sich beansprucht. Und den Rest meiner Lungen. Wie eine dunkle, schwere Flüssigkeit, ein schwarzer Ölteppich bedeckt sie mein Lungengewebe, Stück für Stück, Alveole für Alveole.
Falcs braune Augen betrachten mich besorgt.
"Du brauchst wirklich keine Angst zu haben. Ich will nur mit dir reden."
"Okay", antworte ich, mit einem Krächzen, das mittlerweile das Einzige ist, wozu mir noch die Luft bleibt. Okay, okay, okay.
"Andreas, ich glaube, du kriegst gerade eine Panikattacke", sagt Falc behutsam und legt seine Hand auf meine. Mein Puls jagt auf dem Bildschirm auf die hundert zu, bis die Maschine einen piepsenden Warnton von sich gibt.
"Ruhig atmen. Schön ein und aus."
"Ich kann nicht", keuche ich panisch und drücke seine Hand hart, so hart, dass mein nicht ausgeheilter Arm vor Schmerz zurückzuckt. "Ich bekomme keine Luft."
"Du atmest zu schnell, das ist alles. Langsam ein und aus, ein und aus", redet er beruhigend auf mich ein und entzieht mir gleichzeitig seinen Arm. Mit zwei schnellen Schritten ist er bei einem der gelblichen Schränke und zieht ein schwarzes Bündel aus dem Schrank. Dann ist er mit einem weiteren schnellen Schritt beim Notfallknopf und wieder zurück bei mir.
Das schwarze Bündel entpuppt sich als Mülltüte und Falc zieht sie mir direkt über Mund und Nase, eine Hand auf meinem Gesicht, die andere auf meinem Bauch.
"Und jetzt tief einatmen", sagt er langgezogen und drückt gleichzeitig behutsam auf meinen Bauch. "Und jetzt aus."
Ein. Aus. Ein. Aus. Ein. Aus. Ein. Aus.
"So ist gut", bemerkt er nach einer Weile und lässt die vom Atem feuchte Tüte sinken. "Es ist alles in Ordnung."
"Es tut mir leid", wimmere ich erschöpft und erkenne einen Schimmer von Camilles rotblondem Haar neben dem Monitor auf dem meine Sauerstoffsättigung langsam wieder Werte anzeigt, die mit dem Leben vereinbar sind.
"Ich...habe die Pistole gesehen und...ich konnte nicht klar denken. Es wäre so einfach gewesen. Und ich hab sie mir an den Kopf gehalten, aber es ging nicht. Ich konnte nicht..."
Falc zieht mich an seine Brust und legt die Arme um mich, als ich schluchzend gegen ihn sinke.
"Sh, es ist okay. Es ist okay, Andreas. Es ist nichts passiert, du hast die Waffe ohnehin nicht entsichert."
"Ich wollte dir helfen, aber ich...", bringe ich erstickt hervor und merke selbst, wie flehend ich mich dabei anhöre.
"Du hast mir ja geholfen, mach dir keine Vorwürfe", antwortet Falc mit ruhiger Stimme und drückt meinen Arm sanft. Aber wahrscheinlich ist auch ihm klar, dass ich mehr hätte machen können. Viel mehr. Aber es ging nicht, es ging einfach nicht.
"Du brauchst wirklich keine Angst vor irgendwelchen Konsequenzen zu haben. Weder für das, was im Aufzug passiert ist, noch das draussen. Meine einzige Bitte ist, dass du mit deiner Psychologin darüber redest", bemerkt der Polizist, ohne mich loszulassen.
"Keine Handschellen?", frage ich matt.
"Keine Handschellen", bestätigt Falc.
"Mein Kopf tut weh", murmle ich nach einer Weile Stille gegen seine Schulter. Nicht dass es mich erstaunt. Kälte, Fieber und Schmerzen hatten sicherlich keinen präventiven Effekt. Und dass ich ihn im Lift bewusst gegen die eiserne Haltestange geschlagen habe, wahrscheinlich auch nicht.
"Deiner auch?", gibt Falc trocken zurück und drückt sich mit einem leichten Schmunzeln ein Stück von mir weg. "Brauchst du etwas gegen die Schmerzen?"
Erschöpft begegne ich seinem Blick. "Nein. Aber ich...habe ihn mir im Aufzug gestossen."
Ich bereue mein Geständnis fast augenblicklich, als das amüsierte Funkeln in Falcs Augen zu einem tief besorgten Ausdruck hin wechselt.
"Es ist nicht schlimm, ich wollte es nur sagen."
"Hast du es der Ärztin gesagt?"
Der Kommissar seufzt kaum hörbar, als ich matt den Kopf schüttle. "Okay, ich rede nachher gleich mit Frau Lechner."
"Es tut mir leid", sage ich leise. "Ich wollte dir nicht...noch mehr zu tun geben."
Falc schliesst für einen Moment die Augen, dann schüttelt er milde den Kopf.
"Du bist nicht der anstrengendste Teil meiner Arbeit, Andreas. Ich habe im Moment einfach viel um die Ohren und habe mich übernommen. Du hast keine Schuld daran, schliesslich zwingt mich ja niemand hier zu sein."
"Du siehst so aus, als ob du seit Tagen nicht geschlafen hättest."
Der Kommissar lächelt belustigt und wirft einen Blick auf die kaputte Plastikuhr auf der anderen Seite des Zimmers, die 1439 Minuten am Tag garantiert eine falsche Zeit zeigt.
"Wahrscheinlich hast du damit sogar recht."
Ich hoffe, ihr habt das Krankenhaus noch nicht ganz so satt wie Andreas, – aber keine Sorge, es dauert nicht mehr so lange, bis auch er wieder einmal rauskommt :)
Jedenfalls hoffe ich, dass euch das Kapitel gefällt und es geht hier diese/nächste Woche nochmals weiter.
(Und an die Schweizer*innen: Bitte Abstimmen nicht vergessen – Ja zur Ehe für alle, auch homosexuelle Paare sollten das Recht haben, heiraten zu dürfen 🏳️🌈)
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Schattenfall
Teen FictionDrogen in der Keksdose, blaue Flecken von Mamas Liebhaber, blutige Zähne und schlechte Noten in der Schule. Andreas hält nicht viel von seinem Leben. Aber sterben scheint schwieriger zu sein, als gedacht. Besonders als Nick zum ersten Mal sein trist...