Nick entfährt ein leises Lachen, als die Tür knarrend hinter Falc zufällt. Seine anfängliche Verlegenheit scheint bereits wieder verflogen zu sein, als er sich mit wirrem Haar zu mir umdreht und mich aus dunklen Augen ansieht.
"Er ist nicht wütend", bemerkt er sachte, als er meinen versteinerten Gesichtsausdruck bemerkt.
"Nein...das ist es nicht", wehre ich in einer konfusen Bewegung aus Nicken und Kopfschütteln ab. Nick lächelt bloss. "Okay."
Dann beugt er sich so rasch vor, dass mir keine Zeit bleibt um zu reagieren und berührt für den Bruchteil einer Sekunde mit den Lippen federleicht meine Nasenspitze, bevor er sich ebenso rasch wieder zurückzieht und ins Badezimmer verschwindet. Verdutzt und absolut sprachlos sehe ich ihm hinterher. Zurück bleibt nur das Kribbeln auf meiner Nase und ein heisses Gefühl im Bauch. Was sollte das sein? Ein Abschied, eine Bestätigung oder einfach gar nichts von Bedeutung?
Er spielt mit mir und ich lasse es zu. Und das ist dumm, halsbrecherisch dumm. Dumm genug, um mich tief und schmerzhaft auf den Boden der Tatsachen stürzen zu lassen wie ein altes Kinderspielzeug, wo ich mir statt allen Plastikteilen alle Hoffnungen breche. Ich sollte das Ganze abbrechen, doch stattdessen lasse ich mich mitreissen wie ein Schiffchen im Rhein, mit Nick als verdammter Loreley und den Klippen im trüben Wasser vor mir.
Es dauert nicht lange, bis Nick wieder aus dem Bad kommt. Mit einer für ihn ungewohnt zurückhaltenden Bewegung deutet er fragend hinter sich zur Tür.
"Willst du nicht...?"
Verständnislos sehe ich zu ihm auf. Er lächelt verschmitzt, als er meine Verwirrung bemerkt.
"Du hast da was."
Die Röte schiesst mir augenblicklich ins Gesicht, als ich verstehe, was er damit meint. "Sorry", flüstere ich beschämt und drücke mich rasch an ihm vorbei, um ins Bad zu gelangen. Sorry, ich kann das nicht. Sorry, ich muss hier raus. Mir bleibt die Luft weg, ich atme zu schnell. Es ist zu viel, zu viel, zu viel, viel zu viel.
Ich klammere mich mit der unverletzten Hand am Waschbecken fest und lasse das Wasser lange laufen. Es ist eiskalt, kalt genug, um den beissenden Schmerz in meiner Schulter auszumerzen, kalt genug, um meinen Kopf leer zu fegen und meine Lungen überlebensbedingt zurück in eine normale Atmung zu zwingen. Okay, sagt mein Gehirn. Okay, es ist nichts passiert.
Falc ist längst da, als ich auf zittrigen Beinen und mit tropfenden Locken ins Zimmer zurückkehre. Er mustert mich erst flüchtig, dann irritiert.
"Andreas, es gibt auch einen Föhn im Badezimmer."
Ich schüttle matt den Kopf und das Wasser fliegt. Auch in Nicks Richtung, doch gerade vermeide ich es, seinem aufmerksamen Blick zu begegnen. Meine Wangen sind ohnehin schon rot genug.
"Nein, gibt es nicht", erinnere ich ihn mit einer vagen Handbewegung, die symbolisieren soll, dass Föhnkabel offenbar eine einladende Möglichkeit zum Suizid darstellen könnten.
Er seufzt. "Dann nimm dir eben ein Handtuch."
Ich verziehe das Gesicht. "Das habe ich schon probiert."
Falc hebt eine Augenbraue. "Vielleicht musst du sie auch tatsächlich auswringen, nicht nur berühren."
"Es ist halt schon durchweicht", murmle ich und seufze beim Gedanken an das winzige Handtuch, das eigentlich zum Händeabtrocknen gedacht ist und genau die Länge hat, dass man sich damit eben nicht erhängen kann. Jedenfalls hat es nicht die gleiche Wasserhaltekapazität wie meine Haare.
Der Kommissar seufzt wieder. "Okay, ich hol dir ein Handtuch und du frottierst dir deine Haare und dann gehen wir endlich, einverstanden?"
"Ich denke nicht, dass das mit dem Frottieren eine gute Idee ist", murmle ich verlegen und bereue meinen Widerspruch sofort wieder, als er mich perplex ansieht. Aber dann zieht er die Mundwinkel zu einem Grinsen hoch und sieht für einen Moment feixend zu Nick herüber.
"Bei allem Respekt für deine Locken, Andreas, aber ich glaube, dafür ist es mittlerweile zu spät. Vielleicht sollten wir lieber mal zum Friseur, sobald du hier entlassen worden bist", grinst er dann und verschwindet kopfschüttelnd aus der Tür.
"Ich finde sie toll", bemerkt Nick und zwingt mich damit, ihn anzusehen. Er lächelt sachte und ich bin mir sicher, dass mein Herz in diesem Moment schokoladengleich aus meinem Brustkorb tropft. Als das kleine Grübchen seiner linken Wange wieder zum Vorschein kommt, kann ich der Versuchung nicht mehr widerstehen, mich neben ihn aufs Bett sinken zu lassen.
Für einen kurzen Moment sieht er mich mit beinahe zärtlichem Blick an, bevor er sich auf einer Hand ein wenig näher an mich heranlehnt und dabei für die zwei Jahre, die uns tatsächlich trennen, unverschämt erwachsen wirkt.
"Du brauchst dich dafür nicht zu schämen", sagt er plötzlich ernst und ich weiss genau, was er damit meint. "Mir geht es eh genauso."
"Ich kann nicht wirklich kontrollieren, wofür ich mich schäme", sage ich kleinlaut und weiche seiner Hand aus, die meine auf der Bettdecke zielstrebig anvisiert. Er lächelt, – seine Antwort auf alles.
"Klar, ich wollte nur, dass du es weisst. Du brauchst dich auf jeden Fall nicht dafür zu entschuldigen."
Unwillkürlich muss ich lächeln und lasse nun doch zu, dass unsere Hände sich berühren. Nick senkt den Blick nicht, stattdessen sieht er mich immer noch direkt an, den Daumen gedankenverloren über die Haut an meinem Handgelenk kreisend.
"Darf ich deine Haare anfassen?", fragt er verlegen, als die Stille ein paar Sekunden zu lang andauert. Ich nicke zögerlich. "Sie sind wirklich nicht..."
"Pscht", unterbricht mich Nick und greift nach einer Locke, der es gelungen ist, mehr Wasser als andere abperlen zu lassen und sich jetzt an meiner Schläfe zu einer braunen Helix kräuselt. Andächtig zwirbelt er sie um seinen Finger, lässt sie wieder zu ihren Artgenossen herauf schnellen und ist plötzlich wieder bedenklich nah. Nah genug, dass ich die Wärme spüren kann, die von seiner Haut ausgeht, nah genug, dass ich seine Lippen schon fast auf meinen spüre.
"Hier", unterbricht Falc unsere Zweisamkeit gnadenlos und wirft mir ein grosses weisses Handtuch entgegen ohne auch nur eine Miene zu verziehen.
Ich widerspreche ihm nicht, was zur Folge hat, dass meine Haare anschliessend nur unwesentlich trockener sind, dafür wesentlich aufgebauschter.
Falc seufzt unzufrieden, als er mich ansieht. "Das muss reichen."
"Und jetzt los. Ich brauche wirklich meinen Kaffee."
Prüfungsphase vorbei, ich bin wieder da. Ich kann schonmal ankündigen, dass das letzte Kapitel im Krankenhaus sein wird und definitiv nicht das letzte Kapitel mit Nick.
Aber nächste Woche geht es erstmal im anderen Buch weiter x
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Schattenfall
Teen FictionDrogen in der Keksdose, blaue Flecken von Mamas Liebhaber, blutige Zähne und schlechte Noten in der Schule. Andreas hält nicht viel von seinem Leben. Aber sterben scheint schwieriger zu sein, als gedacht. Besonders als Nick zum ersten Mal sein trist...