Kapitel 63. Halb vier

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Triggerwarnung für Erbrechen und Gespräche über Homophobie und Suizid

"Du bist wach", konstatiert Falc mit gedämpfter Stimme. Im tiefgelben Licht des Korridors zeichnet sich seine Gestalt schwarz im Türrahmen ab. Ich sitze mit angezogenen Beinen im Bett, den schweren Kopf auf die Knie gelegt. Im Bad brennt das Licht und malt durch die halbgeschlossene Tür Schatten an die Wand, die ihre langen Glieder nach mir ausstrecken.

"Wie geht es dir?", fragt Falc leise und setzt sich vorsichtig neben mich auf die Bettkante. Meine Stimme hört sich matschig an, als ich den Mund öffne.

"Geht. Es ist nich' so schlimm."

Er nickt sachte, aber mir entgeht nicht, dass er mich im Halbdunkel genau mustert.

"Du siehst nicht gut aus."

"Hm", murmle ich matt und schliesse kurz die Augen. Reden schmerzt.

"Warum schläfst du nicht?"

"Kopfweh."

Er nickt wieder.

"Danny war vorher ein paar Mal hier, aber du hast noch geschlafen."

"Wie spät ist es?"

Falcs Augen blitzen schwarz.

"Halb vier", sagt er sachlich. "Danny ist mit den Mädchen nach Hause gefahren, um noch ein wenig Schlaf zu finden. Er kommt in ein paar Stunden wieder."

Ich wippe ein wenig hin und her, um das Blut zurück in meine Beine fliessen zu lassen und die Schmerzen in meinem Kopf zu verstreuen. Mir ist speiübel, schon seit ich wach geworden bin, wahrscheinlich dauert es noch etwa fünf Minuten bis ich mich wieder ins Klo erbrechen muss.

"Kann ich irgendetwas für dich tun?", fragt Falc behutsam.

"Kann ich...eine neue Flasche Wasser haben?"

"Klar, ich bin gleich zurück."

Ich stolpere beinahe augenblicklich ins Bad, als er das Zimmer verlässt, sinke auf die Knie und klammere mich am Toilettenrand fest. Würge, bis nichts mehr kommt ausser das wattige Gefühl, dass doch noch mehr kommen müsste.

"Hier, trink etwas", sagt Falc, der geisterhaft wieder hinter mir aufgetaucht ist. "Geht schon", murmle ich erschöpft und halte meinen Kopf unter den Wasserhahn, schlucke, spucke wieder aus, nehme ein Stück Zahnpasta in den Mund, um den beissenden Geschmack loszuwerden.

Der Kommissar mustert mich mit ernster Miene, als ich wieder zu ihm sehe.

"Du solltest nicht laufen. Nimm doch einfach die Schüssel."

"Mir wird vom Geruch gleich wieder schlecht", bemerke ich müde und lasse mich wieder ins Bett sinken. "Kannst du...das Licht im Bad anlassen?"

"Du könntest auch klingeln."

"Lieber nicht."

"Lieber schon. Du solltest dich schonen, Andreas."

"Okay", sage ich zusammenhangslos. "Was ist mit Nick?"

"Ich konnte ihn nicht erreichen", antwortet Falc milde. "Aber ich habe auch erst vor Kurzem angerufen."

"Warum?"

Er lächelt matt. "Ich hatte viel zu tun."

Ich frage nicht nach, mein Kopf ist ohnehin voll. Voll mit Kopfschmerzen und Müdigkeit, die an jedem klaren Gedanken nagen.

"Ich mache das Fenster ein wenig auf, hier drin ist kaum noch Sauerstoff", sagt Falc nach einer kurzen Pause. Er öffnet die Storen mit einem leisen Rasseln, kippt das breite Fenster ein Stück gegen innen. Der eiskalte Februarwind nimmt die Gelegenheit augenblicklich wahr und fegt mit kleinen, nieseligen Regentropfen in den kleinen Raum, die mich schaudern lassen.

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