Kapitel 91. Von Abschaum und Dreck

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"Tres", sagt Danny beschwichtigend, als er vor dem weissen Wohnblock den Motor abstellt. "Mach dir keinen Kopf. Es war nicht schlimm."

"Mh", bringe ich nur hervor, die Zähne fest aufeinandergepresst. Es steht ausser Frage, dass ich es verkackt habe. Ich habe seinen Blick gesehen, den des zweiten Richters. Er hat mich angeschaut, als wäre ich der Abschaum dieser Welt. Kind einer Drogendealerin und Prostituierten. Suizidales Problemkind aus dem Brennpunktviertel, das seine eigene Mutter erstochen hat und ihm, dem ehrwürdigen Berufsrichter im schwarzen Talar jetzt Vorwürfe macht.

Mein Betreuer öffnet die Autotür der Beifahrerseite, unsere Blicke treffen sich kurz, als die Sommerhitze mir ins Gesicht schlägt. "Tres", wiederholt er und legt mir eine feuchtwarme Hand auf die Schulter. "Wirklich. Du hast selbst gehört, was die Anwältin gesagt hat. Es ist nicht schlecht, dass sie dich einmal derart emotional erlebt haben."

"Hah", murmle ich und drücke die Finger hart auf meine Kehle, um jedes Schluchzen im Keim zu ersticken. Es tut mir leid, will ich eigentlich sagen, für den Aufwand, fahre mir stattdessen mit der freien Hand über die schweissnasse Stirn, verklebten Haarsträhnen. Das Auto ist innerhalb der letzten paar Minuten kochend heiss geworden, selbst mit offener Tür fällt mir das Atmen schwer. Atmen, Denken, alles schwer. Mein Körper ist schon elendig lange in diesem Panikzustand, flatterndes Herz, Übelkeit, jede Muskelfaser schmerzt vor Anstrengung. Hinter meinen Augenlidern flackert alles rot. Soll das so sein? Ich bin mir nicht mehr sicher. 

"Andreas", sagt Danny mit ruhiger Stimme, weil "Tres" nicht mehr zu funktionieren scheint. "Was denkst du. Sollen wir hochgehen und du legst dich eine Weile hin? Du wirkst sehr erschöpft grade."

"Ich kann eh nicht schlafen", erwidere ich heiser und zwinge mich, ihn anzusehen. Dannys braune Augen sind etwas zu mitleidig, als er meinem Blick begegnet.

"Okay", sagt er nur. Es überrascht ihn nicht, schliesslich hat er mich die letzten Nächte immer im Flur angetroffen. "Willst du lieber erst mal eine Runde spazieren gehen? Ich glaube, ein bisschen Bewegung täte uns beiden gut."

"Ich weiss nicht", bringe ich kopfschüttelnd hervor, scheitere plötzlich daran, das Schluchzen im Ganzen runterzuschlucken, sodass es in einem kläglichen Japsen endet. Danny drückt mitfühlend meine Schulter, als er neben mir in die Hocke geht. "Tres, du darfst weinen, ja? Das ist mir nicht unangenehm und du brauchst dich wirklich nicht dafür zu schämen."

Ich ziehe die Nase hoch, um das Wasser zu stoppen, dass aus meinen Augenwinkel rinnt, komme rasch auf die Füsse. Danny betrachtet kurz mein gequältes Gesicht, bevor er erneut eine Hand nach mir ausstreckt. "Komm", sagt er aufmunternd. "Nur eine kurze Runde zum Fluss rüber und zurück. Gesundheitsspaziergang."

Wir gehen die Strasse entlang, dort vorbei, wo ich verprügelt wurde. Wenn ich mit Gloria hier entlanglaufe, will sie immer die Strassenseite wechseln. Wegen dem Blut, sagt sie, als ob der wochenlange Regen nicht selbst den Asphalt weggefressen hätte. 

"Willst du Nick diese Woche treffen?", fragt Danny, als wir bei der grossen Fussgängerbrücke ankommen. Ich schüttle stumm den Kopf, froh, dass die Aufmerksamkeit nicht mehr auf meinen Tränen liegt, unfroh, dass er ausgerechnet über Nick reden will. Es ist grausam, wie oft ich an Nick denken muss. Und wie weh es tut, seine braunen Augen auf mir zu vermissen. 

Ich stütze mich auf dem metallenen Geländer ab, unten rauscht das Wasser stetig vorbei. Braun und schwer von den schweren Regenfällen der vergangenen Monate schwappt es rüber in die sommergrünen Wiesen, wo sich Enten und Jogger tummeln. Die lächerlichen Tränen fallen runter, als ich mich über die Brüstung lehne. Ich hoffe bisschen, sie landen irgendwann im Meer. 

"Ich bin hier reingesprungen", sage ich mit kratziger Stimme, als Danny sich neben mich gesellt. "Nicht genau hier. In den Fluss, meine ich, letztes Jahr. Wusstest du das?"

SchattenfallWo Geschichten leben. Entdecke jetzt