Kapitel 14.

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Die Behandlung im Krankenhaus ist reine Routine. CT, Abtasten, Verband, Schmerzmittel.
Leichte Gehirnerschütterung, kann man auch in der Psychiatrie auskurieren.

Der junge Assistenzarzt, der mich sehr zu seinem Leidwesen untersuchen musste, nickt mir kurz aufmunternd zu. Noch eine kleine Motivation zum Abschied.

"So Andreas, das sieht alles sehr gut aus, du darfst jetzt bereits wieder nachhause. Dieses Schmerzmittel solltest du nehmen, wenn die Schmerzen zu stark werden. Versuch am besten viel zu schlafen und viel zu trinken. Wenn du nun plötzlich Übelkeit, starke Kopfschmerzen, Gleichgewichtsprobleme oder eine Veränderung deines Gesichtsfeldes, deiner Motorik oder deiner Sprache bemerken solltest, informiere uns bitte schnell, okay?"

Ich nicke bloss schwach, wehre mich fortwährend gegen die Hand wehre, die sich fest auf meine Schulter legt und mich stützen will und versuche mehr oder weniger elegant zum Ausgang zu gelangen.

"Andreas?"

Die neue Stimme lässt mich kurz aufblicken und ich erkenne überrascht ein Paar braungesprenkelter Augen, die prüfend an mir herabgleiten.
Der Sanitäter aus der Anstalt, na toll.

"Was machen Sie noch hier?", murmle ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und weiche dem Arzt aus, der nun wieder einen zaghaften Schritt auf mich zu wagt.

"Ich warte auf dich.", antwortet dieser mit einem schiefen Lächeln und nickt mir aufmunternd zu.

"Und weshalb?"

Sein Grinsen wird grösser und er stösst sich von der Wand ab.

"Mensch Andreas! Du machst einem die Annäherung ja nicht gerade leicht!"

"Gehört auch nicht zu meinen ausgeprägten Charakterzügen, ich bin da eher der unnahbare Psycho.", murmle ich, halb im Ernst, und spüre kurz darauf seinen Blick in meinem Rücken.

"Ich bringe dich zurück, Andreas."

Beinahe synchron erlischt unser Lächeln und die kalte Realität macht sich wieder in mir breit.

Es gibt keinen Weg daran vorbei.

"Super. Ich war schon immer ein Fan von Zwangsfixierung.", stosse ich rau aus, während wir uns einen Weg durch die weissen Flure bahnen.

"Du wurdest noch nie zwangsfixiert, oder?"

"Doch.", murmle ich und atme erleichtert ein, als wir hinter den Glastüren hervortreten und mir die abendliche Herbstluft entgegenschlägt.

"Wann?"

"Nachdem ich im Krankenhaus eingeliefert wurde. Aber ich war bewusstlos."

Kurz herrscht angespannte Stille, nur die Schritte, die auf dem regenbenetzten Vorplatz verhallen.

"Weshalb dürfen Sie mich zurück bringen? Bis jetzt hatten sie immer Angst, dass ich abhaue oder...", beginne ich langsam, während der namenlose Sanitäter die Autotüren öffnet und mir bedeutet mich auf den Vordersitz zu setzen.

"Oder was, Andreas?", schleudert er unerwartet scharf zurück und seine Augen bohren sich in meine Gesichtshälfte.

"Das du es schaffst dich umzubringen? Anderen weh tust? Hör mal, ich kenne dich nicht lange und trotzdem hast du mir das alles erzählt.
Ich verstehe deine Kriterien nicht, diejenigen nach denen du jemandem dein Vertrauen schenkst oder Misstrauen entgegenbringst.
Ich habe nur einen Schimmer Ahnung von dem, was du erlebt hast.
Aber ich sehe, dass du stark bist.
Du hast lange durchgehalten, du bist intelligent, ehrlich, treu und bestimmt auch sehr liebevoll, auch wenn du das nicht gerne zeigst.
Ich will nicht, dass du dich einfach umbringst."

Schweigen. Der Motor vibriert und draussen sehe ich wie Regentropfen sich ihren Weg über das Glas bahnen. Die Dunkelheit färbt alles dunkelblau, schwarze Schemen ziehen vorbei.

"Ich weiss, das du nicht von einer Minute auf die andere plötzlich den Gedanken beiseite legst, dich umzubringen. Und ich weiss auch, dass du Gründe dazu hattest, aber ich bitte dich, überleg es dir nochmal.
Wir können dir helfen, auch wenn es dir momentan unmöglich erscheint, ist es kein Verrat an deiner Familie!"

"Weshalb sollte es keiner sein? Wir sind ein Team, wir waren immer ein Team, wir schaffen es zu zweit!", stosse ich scharf aus, starre aus dem Fenster. Erkenne sein Zerrbild im Glas.

Er dreht sich ein wenig zu mir, ohne den Blick von der Strasse zu nehmen.

"Andreas, ist der Sinn eines Teams der, das einer für die Bedürfnisse des anderen zugrunde geht?"

"Ja.", murmle ich. "Wenn dann der andere ans Ziel gelangt."

"Würdest du es wieder versuchen?"

"Ich weiss nicht. Es ist schwierig, ich...ich glaube nicht, dass ich es würde. Nicht jetzt zumindest, auch wegen...allem was heute passiert ist. Ich...ich will wissen was damals passiert, weshalb es passiert ist."

"Weisst du was ich gerne tun würde? Ich würde dich gerne gehen lassen."

Wieder langes Schweigen, nun prasselt der Regen hinab, rote Lichter vor uns blinken. Stau.

"Tun Sie es."

"Ich kann nicht Andreas. Du würdest dir etwas antun und keinen Unterschlupf haben. Ausserdem würde die Polizei dir sofort auf den Fersen sein."

"Sagen Sie ich sei abgehauen. Im Stau."

"Andreas, das geht nicht. Wohin würdest du gehen?"

"Vielleicht in eine andere Stadt, oder sogar ein anderes Land."

"Und was willst du da werden? Strassenpenner oder was?"

Der Stau verstärkt sich, wir kommen gar nicht mehr voran.

"Andreas...ach scheisse...komm zu mir nachhause. Vielleicht holst du deine Sachen zuhause während ich zur Polizei fahre und dann..."

"Was ist mit der Polizei? Werden die nicht nachsehen?"

"Das glaube ich kaum. Fluchtgefahr bestand bei dir ja ohnehin und weshalb solltest du bei mir sein? Ausserdem: das Autoschloss ist sowieso kaputt!"

Seine Finger kritzeln rasch etwas auf ein Papier, dann reicht er es mir. Eine Adresse und eine Telefonnummer.

"In der Innenstadt, in der Nähe vom Fluss. Und...ich weiss das du kein Handy hast, aber im Notfall, frag."

Dann hält er kurz inne, greift nochmals nach dem Zettel, und schreibt abermals.

"Das was ich hier tue ist völlig irrational, dumm und illegal, aber ich vertraue dir Andreas. Bitte sei da, okay? Wir regeln das zusammen!"

Das Papier knistert zwischen meinen Fingern, als ich es erneut entgegennehme. Eine weitere Adresse steht darauf.

"Dein Vater, er wohnt dort.", murmelt er leise und nickt mir zu.

"Na los, Andreas. Verschwinde."

Ich öffne die Tür und kalte Regentropfen schlagen mir ins Gesicht, als ich einen Fuss auf die Strasse setze. Doch eine Hand hält mich zurück und ich spüre wie Arme mich in eine Umarmung ziehen.

"Ich vertraue dir Andreas."

Und mit diesen Worten und dem Bild der braungesprenkelten Augen im Kopf renne ich los.

SchattenfallWo Geschichten leben. Entdecke jetzt