Der lange Flur der Uni füllt sich von einer Minute zur anderen mit Lärm. Das Getrampel Hunderter Schuhe auf dem abgeschliffenen Steinboden vermischt sich mit einem Gewirr aus Stimmen, als die schweren Türen der Hörsäle sich öffnen.
Falc nippt seelenruhig an seinem Kaffee, als die Menge an Studenten in die Cafeteria flutet. Ich drücke fahrig den Löffel in das Stück Schokokuchen vor mir, zerquetsche ihn, bis eine tiefbraune Klebemasse zurückbleibt.
"Hast du auch hier studiert?", frage ich müde, weil er irgendwie aussieht, als würde er zu diesem Gebäude passen.
"Nein", meint er belustigt. "In Hamburg. Aber ich hab mal hier doziert."
"Doziert?", bemerke ich überrascht. "Wirklich? Was denn?"
"Viktimologie", erwidert er und nimmt mir den Löffel aus der Hand, als ich erneut klirrend gegen die Kante des Tellers stosse. "Die Lehre vom Opfer. Aber nur ein paar Semester, nicht regulär."
"Hast du einen Doktortitel?"
"Zwei sogar", sagt Falc mit einem matten Lächeln. "Iss deinen Kuchen."
"Worin hast du einen Doktor? Kriminologie?"
"Kriminologie und Strafrecht und Psychologie", meint er und legt mir den Löffel wieder neben meinen Teller.
"Psychologie?", frage ich erstaunt im selben Moment, in dem Nick neben uns auftaucht.
"Hey, ihr seid ja doch schon da", sagt er und geht neben dem kleinen Tisch in die Hocke. Seine braunen Augen begegnen meinen, bevor ich den Blick abwenden kann, sie harmonieren perfekt mit seiner zu grossen Lederjacke. "Wie geht's dir?", fragt er, sein Ohrring klirrt, als er gegen die metallene Tischkante trifft.
"Geht", erwidere ich betreten. In der Frühlingssonne hat sich das Gefühl von drohendem Untergang etwas verflüchtigt, aber jeder Gedanke an den Brief, der auf dem Wohnzimmertisch liegt, lässt mich übel werden. Nick legt seine Hand auf meine.
"Nicht", antworte ich knapp, ziehe sie weg, zerdrücke stattdessen den Rand des Kuchenstücks zu einer braunen Pfütze. Nick steckt sich verlegen einen Krümel davon in den Mund, die Schokolade färbt seine Unterlippe an einer Stelle braun. Meine Abweisung tut mir plötzlich leid.
"Du hast da was", murmle ich instinktiv, strecke den Zeigefinger nach ihm aus. Falc räuspert sich im selben Moment, verlegen zucke ich zurück. Nicks dunkle Augen blitzen.
"Andreas, iss bitte deinen Kuchen oder ich schmeiss ihn weg."
"Nein, ich ess ihn schon", protestiere ich betreten. Der Gedanke daran, das grosse Stück Kuchen in den verklebten Mülleimer neben der Essensausgabe zu schmeissen, als wäre es nichts wert, ekelt mich an, zerdrückter Zustand hin oder her. Das Geld, das er dafür ausgegeben hat, will ich nicht verschwenden.
"Okay", sagt Falc sachte, als ich mir bereits einen Löffel in den Mund schiebe. "Was wollt ihr zu Mittag essen?"
"Ich brauch nichts", murmle ich zwischen zwei Bissen, wohlwissend, dass er das nicht gelten lassen wird. "Klar doch", erwidert der Kommissar trocken. "Natürlich musst du was essen."
"Pizza?", fragt Nick und wischt sich endlich die Schokolade von der Lippe. Ich nicke unwillig, der Geschmack von geschmolzener Schokolade klebt auf meiner Zunge. Der Kuchen hinterlässt dunkle Schlieren auf dem Teller, als ich den Löffel drauflege.
"Pizza ist gut, ich kenn ein gutes Lokal hier in der Nähe", sagt Falc und stapelt seine Tasse auf meinen Teller, bevor er sie mit drei schnellen Schritten zur Geschirrrückgabe bringt. "Tres", sagt Nick, kaum ist er verschwunden. "Ich bin für dich da, egal was passiert, das weisst du, oder?"
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Schattenfall
Teen FictionDrogen in der Keksdose, blaue Flecken von Mamas Liebhaber, blutige Zähne und schlechte Noten in der Schule. Andreas hält nicht viel von seinem Leben. Aber sterben scheint schwieriger zu sein, als gedacht. Besonders als Nick zum ersten Mal sein trist...