Kapitel 64. Porzellan

688 53 11
                                    

Es ist fast elf, als Nick kommt. Ich bemerke ihn erst, als er sich neben mir auf die Bettkante setzt. Seine Schritte sind leise und ich habe mein Gesicht tief im Kissen vergraben, damit das Licht, das durch die kaputten Jalousien dringt, mich nicht blenden kann. Erst als er mir vorsichtig durchs wirre Haar streicht, öffne ich müde die Augen.

"Hi", sagt er betroffen, als ich mich aufsetze. "Wie geht es dir?", fragt er und umarmt mich. Ich lasse meinen Kopf wortlos gegen seine Schulter sinken, der dicke Stoff seines dunkelgrünen Pullis kratzt auf meiner Haut. Nick schweigt, seine warmen Finger liegen still an meinem Nacken, als er mich behutsam hin und her wiegt.

"Sorry", murmle ich in die Wolle. "Ich wollte nicht, dass wir uns wieder im Krankenhaus sehen."

"Weiss ich doch", antwortet er leise und lehnt seinen Kopf gegen meinen. Seine feinen blonden Haare fallen mir in die Stirn, bis über die genähte Wunde an meiner Schläfe. Ich komme nicht umhin, daran zu denken, dass Aaron irgendwo dort den Lauf seiner Waffe angesetzt haben muss. Wie ich. 

"Es tut mir leid, dass ich nicht da war", sagt Nick leise. 

"Muss nicht, du kannst ja nichts dafür."

Er atmet beinahe geräuschlos aus, ich spüre, wie seine Brust sich senkt. Erschöpft schliesse ich die Augen.

"Ich wünschte, ich hätte wenigstens das scheiss Telefon gehört."

Er klingt ein wenig heiser.

"Das hätte nichts gebracht, ich war voll unbrauchbar gestern", murmle ich gegen seine Schulter. "Hm", sagt er leise.

"Nick", bemerke ich ruhig, ohne mich von der Stelle zu bewegen. "Es war nicht so schlimm. Mach dir keine Sorgen."

"Lucas sagte, dein Jochbein war gebrochen."

Ich zucke mit den Schultern, der blasse Viel-zu-viel-Schmerzmittel-Intus-Geisterschmerz zieht an meinen Rippen.

"Sie haben es ja operiert."

Nick hebt den Kopf. Er löst sich vorsichtig von mir, bis nur noch seine Hand in meinem Nacken liegt. Seine braunen Augen betrachten mich nachdenklich, bevor er sich beiläufig eine blonde Strähne aus dem Gesicht streicht.

"Was ist los?", frage ich ruhig. Es ist nicht allzu deutlich, bloss ein kleines, nervöses Funkeln im Blick, vielleicht auch, dass er seltsam selten lächelt.

"Was meinst du?"

"Ich bin nicht blind, trotz dem blauen Auge", bemerke ich zögerlich. Er hebt die Mundwinkel kaum merklich, sein Zeigefinger fährt sachte über die violett verfärbte Haut unter meinen verklebten Wimpern.

"Tut es weh?"

"Nicht so."

Ich zucke zurück, als er versehentlich meine kaputte Lippe berührt.

"Au. Das schon."

"Tut mir leid", entschuldigt Nick sich augenblicklich und lässt rasch die ausgestreckte Hand sinken. Der schmale Ring an seinem kleinen Finger glänzt im grellen Sonnenlicht, als er betreten wegsieht.

"Wir hätten heute Familienfest gehabt", bemerkt er schliesslich, sein linkes Bein wippt neben der Bettkante nervös hin und her.

"Ja?", murmle ich.

"Mein Grossvater organisiert das immer und er hat offenbar darauf bestanden, dass Frank auch kommt."

Er sieht mich abwartend an. Für einige Sekunden, bis ich verstehe, von welchem Frank er hier redet.

"Okay", sage ich müde. Nicks Hand liegt auf meinem Knie, seine Knöchel sind ein wenig gerötet.

"Er hat diesen...Kommentar gemacht, kurz nachdem ich mit Falc telefoniert habe. Und...das war dumm, wirklich, wirklich dumm..."

SchattenfallWo Geschichten leben. Entdecke jetzt