Kapitel 39. Luft, Liebe und Krankenhausfrass

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"Was?", frage ich beinahe sprachlos, obwohl ich ihn genau verstanden habe. Nick wirkt plötzlich verunsichert und zieht seine Beine an, so dass er nun im Schneidersitz am Fussende meines Bettes sitzt. 

"Sie ist eine Freundin der Familie und auf Jugendstrafrecht spezialisiert. Und...wirklich gut indem was sie tut."

"Danke", sage ich überwältigt. Vielleicht hat mir Nick gerade meine Zukunft gerettet, aber statt eine heldenhafte Figur zu machen, starrt er verlegen auf seine Fingernägel. Mich überkommt das heftige Verlangen mit der Hand in seinen tanzenden Haarsträhnen zu vergraben, die im Halbdunkel beinahe rot erscheinen.

"Kann ich dich umarmen?", fragt er dann mit vor Verlegenheit geröteten Wangen. Ich glaube nicht, dass dieser Hauch von Rot je an einem Menschen besser ausgesehen hat als an ihm. Er ist attraktiv. Ich finde ihn attraktiv. Mehr als das. Und das macht mir Angst.

"Ich glaube nicht, dass ich gerade so gute Umarmungen geben kann", murmle ich nervös. Nicks Augen funkeln belustigt auf.

"Wer hat etwas von geben gesagt?"

Nick rutscht ein paar Zentimeter näher zu mir ran, so dass sich unsere Schenkel berühren und ich bleibe wie erstarrt auf die Ellbogen gestützt liegen. Mein Bauch flattert und meine Haut kribbelt, trotz der beiden Stoffschichten, die meine Haut von seiner trennt.

"Lass mich dir helfen", sagt der Blonde mit einem beinahe neckischem Lächeln, das einen Millimeter seiner weissen Zähne sehen lässt und platziert eine warme Hand auf meinen Rücken. Mein Körper hat noch nicht einmal die Gelegenheit zusammenzuzucken, bevor er mich in seine Arme zieht.

Nicks warmer Atem trifft meinen Nacken, seine hellen Haare kitzeln meinen Hals und erst in diesem Moment wird mir bewusst, wie sehr ich mich hiernach gesehnt habe. Ich habe mich nach Berührung verzehrt, jahrelang habe ich darauf gewartet und insgeheim darauf gehofft. Ich schmiege mich in Nicks weiches Haar, drücke mich gegen seinen warmen, lebendigen Körper und atme seinen Geruch ein. Er riecht nach Shampoo und Desinfektionsmittel und ein wenig Schweiss, genau wie ich. Das Standard-Krankenhausparfüm eben.

Ich will ihn nie wieder loslassen.

Aneinander geschmiegt verharren wir lange so und auch wenn mir nach weinen zumute ist, bin ich so ausgehungert nach menschlicher Nähe, dass ich einfach still verharre, aus Angst, dass dieser Augenblick gleich vorbei ist. 

Nick lässt mich auch dann nicht los, als es klopft und sich die Zimmertür knarrend öffnet. Stattdessen hält er mich eng an sich gedrückt, eine Hand auf meinem Rücken und eine zwischen meinen Schulterblättern und ich spüre, wie sich seine Brust an meiner hebt und senkt. Sein Herzschlag beruhigt mich und sein warmer Hals an meiner Wange lässt mich alles andere vergessen. Vielleicht liegt es auch nicht nur an der fehlenden menschlichen Wärme, nein, es liegt an Nick. 

"Ich bringe das Essen", sagt eine Stimme von der Tür her und ich erkenne über Nicks Schulter hinweg eine junge Frau im blauen Kasack mit Essenstablett, die uns nervös beobachtet.

"Danke, Sie können es hier hinstellen", meint der blonde Student lächelnd und lässt mich sanft zurück in die Kissen sinken, um ihr den Klapptisch hervorzuziehen.

"Ich...sollte Ihnen beim Essen helfen, Herr Stern", sagt sie und wirkt dabei als sei es ihr sichtlich unangenehm. Ich spüre, wie mir die Röte ins Gesicht schiesst.

"Ich mach' das schon", kommt Nick meiner Antwort zuvor. Erstaunt hebe ich den Kopf, wahrscheinlich immer noch tiefrot. "Was?"

Er grinst beinahe spöttisch und faltet die Beine wieder zum Schneidersitz. Die junge Frau – ich bin mir ziemlich sicher, dass sie entweder in der Ausbildung oder im Praktikum ist, nickt und tritt noch einmal aus der Tür um ein zweites Tablett abzustellen.

"Sie essen doch hier oder?", fragt sie Nick und er blinzelt verwirrt.

"Äh ja, gerne..."

"Der Kommissar hat für Sie noch eines bestellt", bemerkt sie, als sie seine fragende Miene bemerkt. "Guten Appetit."

Sobald die Tür hinter ihr ins Schloss fällt, bricht Nick in Lachen aus. Er lacht leise, sodass sein Brustkorb leicht hin und her wippt und seine Augen funkeln vor Belustigung.

"Er hat wirklich an alles gedacht", sagt er und dabei entfährt ihm ein glucksender Laut, der mein Herz beinahe zum Stillstand bringt. Nick dreht den Kopf zu mir hin, als er mich lachen hört und beobachtet erstaunt, wie ich mich kichernd ins Kissen sinken lasse.

"Ich glaube ich habe dich noch nie so lachen gesehen", bemerkt er mit geröteten Wangen und verschränkt seine Arme vor dem Bauch.

"Du hast mir nie gesagt, warum du im Krankenhaus bist", spreche ich den Gedanken aus, der mir schon seit einiger Zeit im Kopf herumspukt. "Du hast mir auch so einiges nie gesagt", sagt Nick mit einem verschmitzten Lächeln, aber ich komme nicht umhin, zu bemerken, dass er plötzlich blass und müde aussieht.

"Warum bist du hier? Was ist mit dir?", frage ich beunruhigt und stütze mich wieder auf meine Ellbogen.

Nick seufzt und streckt die langen Beine aus, ohne seine verschränkten Arme von seinem Bauch zu nehmen.

"Sie haben eine meiner Nieren entfernt", sagt er knapp und atmet hörbar aus. "Ich habe...hatte einen Tumor."

Mir wird kalt.

"Aber jetzt nicht mehr?", frage ich mit leicht zitternder Stimme und spüre selbst, wie kindlich das klingt.

"Ich hoffe schon", sagt er und zwingt sich zu einem Lächeln, bevor er behutsam nach meiner Hand greift. "Mach dir keine Sorgen um mich, mir geht es gut."

"Wirklich?", frage ich beunruhigt und stütze mich so weit nach oben, wie es mir möglich ist.

"Ja, wirklich. Komm, lass uns essen", lenkt er von sich ab und zieht seine warmen Finger zurück, nur um sich fahrig durchs blonde Haar zu fahren. Als er wieder zu mir hinsieht, lächelt er warm und deutet auf das zugedeckte Tablett.

"Alora, mangiamo!"

 Der starke Geruch von Essen zieht durch das Zimmer, als er einen Teller mit mit tiefbrauner Sauce durchtränkten Teigwaren aufdeckt.

"Mmh, bleibt nur noch die Frage, was das ist...", murmelt Nick und stochert mit der Gabel in der Pampe herum. Triumphierend hält er eine kleine tropfende Portion in die Höhe und prostet mir damit zu.

"Wenn du es nicht schnell isst, dann isst es wohl deine Decke", meint er resigniert, als er eine Hand darunter hält, um zu verhindern, dass es entkommt.

"Guten Appetit", wünscht er mir und ich muss mich zusammenreissen, nicht vor Lachen an meinem Essen zu ersticken, als er Sekunden später selbst einen Bissen nimmt und eine angewiderte Grimasse zieht.

"Nächstes Mal sollte uns der Kommissar Pizza bringen."


Dieses Mal ging es nicht ganz so lang bis zum nächsten Kapitel und ich hoffe es gefällt euch, obwohl es ein wenig langweilig ist. :/

Aber vielen Dank an alle, die abstimmen und kommentieren – und nächste Woche geht's beim anderen Buch weiter.

xx





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