Kapitel 65. Ich weiss

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Falcs Bürogebäude ist gross und kahl und ich fühle mich darin augenblicklich unwohl. Vielleicht ist Büro auch der falsche Name, vielleicht heisst es eigentlich Kommissariat oder sonst was. Jedenfalls hat es dieselbe Neonbeleuchtung wie ein Krankenhausflur, einfach mit grauen Wänden und tristen Palmen statt tristen Orchideen.

Falc lässt mich auf einem Besuchersofa neben einer massiven Kaffeemaschine Platz nehmen. "Warte hier", weist er mich an und steigt mit schnellen Schritten die steile Treppe am Ende des Korridors hoch.

Ich weiss nicht genau, warum er mich unbedingt hier haben will. Es macht mich nervös. Der Kaffee ist gratis, als ob sich jemand überlegt hätte, dass Leute, die im Morddezernat im Flur sitzen, das gebrauchen könnten. Er schmeckt nach Spülwasser und ich trinke ihn würdelos auf ex, bevor Falc zurückkommt. 

"Hier rein", sagt er und öffnet eine Tür zu meiner Rechten. Sie führt in ein ebenso graues Zimmer mit zwei grossen Schreibtischen und einer kleinen Couch, auf denen sich allesamt Papiere stapeln. "Setz dich doch", bemerkt er ruhig und deutet auf das Sofa, das verschwimmt, als ich mich mit meinem geschwollenen Auge zu ihm hindrehe. Falc bleibt stehen, als ich mich umständlich auf dem rotbraunen Leder niederlasse. Ich weiss, dass er mich genau beobachtet. 

"Geht's mit den Schmerzen?"

"Ja", sage ich, verlegen, dass er nun freie Sicht auf mein verunstaltetes Gesicht hat.

"Du kannst mir immer sagen, wenn etwas ist, ja?"

"Ja", sage ich wieder. Falc sieht mich nachdenklich an.

"Wir müssen reden", bemerkt er schliesslich. Allein sein Ton lässt meine Schultern sich schmerzhaft verspannen. "Tut mir leid, dass wir das in diesem deprimierenden Raum machen müssen, aber ich warte noch auf eine Freigabe, die jetzt jederzeit kommen sollte. Wenn du willst, können wir nachher in ein Café oder so. "

Es quietscht, als er sich einen Bürostuhl heranzieht, um mir genau gegenüber zu sitzen. Nervös beobachte ich ihn dabei, wie er sich den dunklen Mantel auszieht und über einen Sessel in der Ecke des Raums wirft. 

"Okay", sagt er knapp, als er sich endlich setzt. "Ich weiss, ich zwinge dich jetzt praktisch zu einem Gespräch, aber ich denke, ich muss ein paar Dinge mit dir bereden."

"Okay", murmle ich, wie ein dämlicher Papagei. Falc lächelt matt.

"Du musst mich ziemlich hassen", bemerkt er. "Ich würd's jedenfalls."

"Ich hasse dich nicht."

Er lacht leise. "Ich wusste, dass du das sagen würdest. Aber ehrlich, ich glaube, niemand wird gerne so bevormundet, wie ich es bei dir getan habe."

Ich zucke mit den Schultern. "Mehr die Handschellen", sage ich verlegen.

"Es tut mir leid", sagt Falc ernst. "Ich weiss, das war schlimm für dich."

"Es hat sich unfair angefühlt", ergänze ich, weil es sich so anfühlt, als wäre das der einzige Moment, um ihm zu erklären, wie furchtbar demütigend diese Zeit für mich war. 

"Entschuldige. Ich dachte, es wäre zu deinem Besten."

"Ich hätte nie was gemacht."

"Ich weiss nicht. Du warst so verzweifelt, dass ich dir viel zugetraut hätte."

"Wenn ich verzweifelt bin, brauche ich keine Handschellen", bringe ich erstickt hervor. "Du hast alles viel, viel schlimmer gemacht."

Falc scheint von meiner Aussage kaum überrascht zu sein. Es macht mich wütend, irgendwie, sogar sein verständnisvolles Nicken tut es.

"Ich weiss", sagt er bloss. "Du hättest etwas anderes gebraucht. Aber zu diesem Zeitpunkt war ich in erster Linie Polizist und das war nicht mein Job. Ich weiss, das lässt mich wie ein Arschloch klingen, aber ich war nicht dafür da, emotionalen Support zu leisten."

"Dann tu nicht so, als ob du dich kümmern würdest."

Falc sieht mich mitleidig an.

"Ich kümmere mich", sagt er sachte. "Bitte glaub nicht, dass ich das nicht tue. Was ich gerade gesagt habe, bezieht sich nicht auf heute. Ich hoffe, ich kann dir mittlerweile genau diese Unterstützung bieten."

Ich antworte nicht, obwohl es sich wie eine furchtbar kindische Reaktion anfühlt. Falc sieht mich mit ernsten braunen Augen abwartend an.

"Weisst du", beginnt er, nachdem ich bestimmt fünf Minuten lang schweigend auf meine Fingernägel gestarrt habe. "Ich habe es immer als sehr frustrierend empfunden, wenn du mir wichtige Dinge verschwiegen hast. Aber mittlerweile habe ich das Gefühl, du tust es nur, weil du Angst hast, dass ich wütend reagiere. Stattdessen versuchst du einfach, sie selbst zu lösen, auch wenn es aus eigener Kraft praktisch nicht geht."

Er sieht mich an, aber ich sehe beschämt zur Seite.

"Deine Mutter war oft wütend, nicht wahr?"

"Ja", sage ich knapp. Lag an den Drogen. Oder sie war einfach so. Schlussendlich waren sie eh eins, sie und die Drogen.

"Tut mir leid, ich will mich hier nicht als Pseudotherapeut aufspielen, bitte sag mir, wenn ich falschliege."

"Nein", sage ich bloss. "Kann sein."

"Okay", antwortet Falc leise. "Entschuldige, dass ich manchmal so gereizt drauf reagiert habe, aber ich habe es überhaupt nicht verstanden."

Er sieht mir einen Moment dabei zu, wie ich einen Knoten in die ersten Kordeln mache, die ich seit Langem in meinem Hoodie tragen darf.

"Es ist okay, wenn du grade nicht antworten willst, aber ich will dir nur noch mal sagen, dass ich nicht wütend reagieren werde, unabhängig davon, was du mir erzählst."

"Ich weiss", sage ich knapp. "Aber du kannst mich ins Gefängnis bringen oder mir Handschellen anlegen."

"Ja", sagt Falc ruhig. "Aber ich werde keines davon tun. Ich habe mir grosse Mühe gegeben, um dich von der U-Haft fernzuhalten."

"Du hast mir trotzdem damit gedroht."

"Ich kann nicht riechen, ob Leute schuldig oder unschuldig sind, Andreas. Druck auszuüben, funktioniert da oft nicht schlecht."

Ich schliesse einen Moment lang die Augen. Manchmal spiele ich jeden Schritt noch mal durch, an diesem Tag. Die Treppen hoch, die Tür, Mama.

"Tres, wie läuft deine Therapie?", durchschaut mich Falc mühelos. Meine Haut fühlt sich seltsam kalt an, die Kordel schnürt meinem Zeigefinger das Blut ab. 

"Okay", murmle ich. Unterirdisch, denke ich. Wahrscheinlich sollte ich Falc sagen, dass ich eine neue Therapeutin will, weil ich ständig das Gefühl habe, dass sie mich einfach nicht mag und ich das nur allzu gut verstehen kann. Aber ich sage nichts.

"Wie ist deine Therapeutin?", fragt er weiter.

"Okay", wiederhole ich. Falc sieht enttäuscht aus, aber er kommentiert meine Einsilbigkeit nicht weiter.

"Schau", sagt er stattdessen. "Ich weiss, meine Rolle ist widersprüchlich und wahrscheinlich sehr belastend für dich, halb Ermittler, halb irgendwie involviert in dein Leben. Ich habe mir überlegt, was ich tun soll und bin zum Schluss gekommen, dass die einzig richtige Entscheidung ist, den Fall abzugeben."

"Abgeben?", frage ich leise. Er nickt.

"Vielleicht schon nächste Woche."




Ich bin wieder da! Mir ist schon klar, dass ihr wahrscheinlich lieber ein Update im anderen Buch hättet und mein abwechselndes Schreiben euch nervt, aber das ist bis jetzt die einzige Methode, die sich bei mir bewährt hat, um keine Schreibblockade zu erleiden und diese Bücher je fertigzuschreiben. 

Jedenfalls, – wie findet ihr, hat sich Falcs Verhalten mit der Zeit verändert? 

Diese Woche kommt hier noch mal das nächste Kapitel, vielleicht auch noch ein weiteres im anderen Buch :)

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