Kapitel 20.

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Als ich die Augen öffne, füllt eine makellose weisse Fläche mein gesamtes Gesichtsfeld aus. Alles um mich herum liegt tief in stürmischem Rauschen. Ganze Wasserfälle stürzen auf mich hinab.

Langsam kämpfen sich andere Geräusche ihren Weg hindurch. Leises, durchdringendes Piepsen, Gesprächsfetzen, quietschende Schritte, ein Vorhang der gezogen wird. Helles Licht flutet meine Augen. 

Ein Mann mit braunem Haar. Helle Augen. Ein weisser Kittel. Das Stethoskop um seinen Hals. Ein Arzt. Er bewegt seine Lippen, doch es dauert eine Weile bis ich die Worte begreifen kann.

"Hallo Andreas! Kannst du mich verstehen?"

Ich nicke und versuche mich zu orientieren. Weiss nur wo ich hinsehe. Eine weitere Person drängt sich neben den Arzt, seine blaue Uniform sticht aus dem deckenden Weiss heraus. Aaron.

Er ist noch da.

"Wie fühlst du dich?"

Statt zu antworten betrachte ich meinen bandagierten Arm und schüttle schwach den Kopf.

"Andreas, wie geht es dir?"

"Nicht sonderlich", murmle ich, den Kopf zu Boden gerichtet.

"Hast du Schmerzen?"

"Nein", murmle ich, ohne nachzudenken. Stattdessen überlege ich mir, wie ich so schnell wie möglich hier rauskomme. Und was dann? Keine Ahnung.

"Hey, Andreas. Die KriPo kommt gleich, -schaffst du es mit ihnen zu reden?", spricht mich der schwarzhaarige Polizist an, auf dessen Uniform "Kaya" steht.

"Ich will nicht mit ihnen reden."

"Andreas, sie sind die Einzigen, die den Mord an deiner Mutter aufklären können."

"Nein!", fauche ich und lasse meiner Wut freien Lauf.
"Ihr seid verdammte Arschlöcher! Ihr konntet mir nie helfen, ihr habt den Mörder meines Bruders nie gefunden, ihr habt ihn nicht einmal gesucht! Wie...wie könnt ihr jetzt einfach hier stehen und mir erklären ihr wärt die letzte Hoffnung? Ihr seid schuld an alldem, ihr verd..."

Weiter rede ich nicht, stattdessen rutsche ich aus dem Bett und stürze an den verdutzten Polizisten vorbei in den Flur. Doch meine Freiheit währt nur wenige Sekunden, denn im nächsten Moment werde ich hart gepackt und gegen die Wand gedrückt. Ich versuche mich zornig zu befreien, schlage, kratze und trete, doch das Einzige, was passiert, ist, dass meine Beine weggetreten werden und ich zu Boden sacke.

"Hey, hey, hey! Jetzt beruhigen wir uns erstmal, hmm?", höre ich den Polizisten über mir sagen, der sein Knie schmerzhaft zwischen meine Schulterblätter drückt. Meine Arme werden unter meinem Oberkörper hervorgezogen und einer davon auf meinen Rücken gelegt, der andere wird behutsam auf dem hässlichen, grauweissen Krankenhausboden ausgestreckt.

"Lass mich los!", fauche ich völlig ausser mir und versuche mich hektisch zu befreien. Doch der zweite Polizist kommt seinem Kollegen zur Hilfe und kniet auf meine Beine. Irgendjemand drückt meinen Kopf runter, so dass meine Wange auf dem kühlen Linoleum liegt. Der Arzt kniet neben mir und ich verstehe einzelne Wortfetzen, wie "Spritze", "ruhigstellen" und "festhalten".
Meine ganze Wut scheint zu verrauchen und stattdessen kommt eine grausame Mischung aus Scham, Erschöpfung, Hoffnungslosigkeit und unendlicher Trauer.

"Ey, Andreas. Shhh, alles wird gut. Alles wird gut.", redet einer der Polizisten auf mich ein und eine warme Hand streicht mir durchs Haar.

Doch es wird nichts mehr gut. Es ist schon alles kaputt. Absolut alles, was gut und hell war. Zertrümmert und weggewischt, wie die Sandburgen eines kleinen Kindes, wie kleine Eskapaden des Schicksals. Und ich kann mich nicht beruhigen.
Ich schluchze haltlos, die Welt verschwimmt und ich kämpfe mit aller Macht gegen den Druck, der mich am Boden hält.

"Andreas, beruhig dich! Hör mir zu: wir können über alles reden, wenn du dich nur beruhigst!"

"Nein! Ich will nicht reden, lasst mich endlich los, ihr Wichser! Sie ist tot. Ihr habt versagt. Sie ist tot, alle sind einfach tot!", schluchze ich rasend.

"Wir sollten ihm die Spritze geben, er ist verletzt und sollte sich nicht so anstrengen."

Der Druck des Polizisten in meinem Rücken nimmt zu und meine Schulter wird unsanft zu Boden gedrückt. Ich kann mich nicht mehr bewegen, liege völlig bewegungslos da. Nur das erstickte Schluchzen dringt durch.

Schritte hallen neben mir und ich erkenne weisse Kleidung, als sich der Arzt neben mich kniet. Die Spritze in seiner Hand lässt mich würgen. Oft genug habe ich gesehen, wie Mama sich all das Zeug spritzte, es sie um den Verstand brachte. Immer wenn die Kinder in der Grundschule mich im Sommer fragten, was all die blauen Flecken auf ihren Armen bedeuteten und weshalb sie so krank aussah, hatte ich gesagt sie nehme ihre Medikamente. Dass sie krank sei. Bis mich Mama irgendwann nicht mehr abholte und ich alleine durch die dunklen Strassen irrte.

"Keine Spritze! Bitte, keine Spritze!", heule ich auf und versuche wieder um mich zu treten, doch der Griff der Polizisten ist eisern.

Jemand fährt mir durchs Haar, doch die behandschuhten Finger berühren kalt meinen Arm.

"Ruhig Andreas. Es ist gleich vorbei, es wird nur kurz wehtun."

Ich lache trocken auf. Nach zehn Jahren Schläge in den Bauch, habe ich das Gefühl taub zu sein. Oder tot. Doch die brennende Panik gibt mir die Kraft den Arm zur Seite zu ziehen und die Spritze über den Flur zu schleudern.

Jetzt nimmt der Druck auf mir nochmehr zu. Ich habe das Gefühl erdrückt zu werden. Angst flammt wie ein Elektroschock in meinem Bauch auf. Ich beginne zu keuchen und schnappe panisch nach Luft, doch niemand lässt mich frei.

Stattdessen fährt ein kurzer, stechender Schmerz meinen Arm hinauf und lässt sich pulsierend in meiner Schulter nieder. Mit einem leisen Aufschrei reisse ich den Kopf in die Höhe und stosse mit dem Hinterkopf mit voller Wucht gegen etwas.

"Ahh! Verdammte scheisse, tut das weh!", flucht jemand hinter mir und der Griff lockert sich kurz.

"Verdammt, Andreas, halt endlich still! Wir wollen dir nichts Böses, wir helfen dir, okay?", redet der andere Polizist auf mich ein, doch mir bleibt ohnehin nichts anderes übrig, denn das Medikament entfaltet träge seine Wirkung.

Irgendwann lässt man mich los und ich werde wieder auf den Rücken gedreht. Verschwommen nehme ich die Personen in meinem Blickfeld war. Der schwarzhaarige Beamte, der mich immer noch behutsam zu Boden drückt, der Arzt, der gerade wieder in die Knie geht und Aaron, der sich mit schmerzverzerrter Miene die Nase hält und zwischen dessen Finger Blut hindurchrinnt.

"Tut mir leid, Aaron.", murmle ich gedämpft, doch er hört mich und lässt sich mit einem leisen Seufzen neben mir zu Boden gleiten.

"Irgendwie komm ich noch nicht ganz mit deinen plötzlichen Reaktionen klar", antwortet er, mit, durch die zugehaltene Nase, etwas verzerrter Stimme.

"Sorry, echt."

"Hab ich wohl verdient", meint er und ein schwaches Grinsen breitet sich auf seinem blutbesudelten Gesicht aus.


Hi, 

Ich hab heute kein Latein, weshalb ich eigentlich an meiner Psychologie-Arbeit zu den Folgen von Kindesmisshandlung im Erwachsenenalter schreiben sollte. Aber ich habe beschlossen, dass ich doch lieber ein neues Kapitel veröffentliche ;)

Was habt ihr heute so für Fächer?

Liebe Grüsse, 

Avocady


SchattenfallWo Geschichten leben. Entdecke jetzt