Kapitel 44. Blut an den Händen

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Falc nimmt den Blick keine Sekunde von mir, während er sich das klingelnde Handy ans Ohr drückt. Er wirkt erschöpft und seine Hand zittert sichtbar stark, doch sein Gesichtsausdruck ist ruhig und in meiner Angst beinahe tröstlich. 

Von meinem Spiegelbild kann ich nicht dasselbe sagen. Die Furcht steht mir so deutlich im Gesicht geschrieben, dass ich Falc seinen besorgten Blick nicht verübeln kann. 

"Es ist alles in Ordnung. Du brauchst keine Angst zu haben", sagt der Kommissar beschwichtigend und bringt ein schwaches, aufmunterndes Lächeln zustande, das in seinem leichenblassen Gesicht fehl am Platz wirkt. Wortlos ziehe ich die Beine an meinen Oberkörper, was die Handschellen mit einem scharrenden Geräusch über das kalte Metall des Aufzugs kratzen lässt. Falc verfolgt meine Bewegung mit mitleidigem Blick, sagt aber nichts dazu.

"Hi Aaron, bist du noch in der Klinik?", höre ich den Kommissar dann mit gedämpfter Stimme ins Handy sprechen. Die Antwort ist zu leise, als dass ich sie verstehen könnte.

Resigniert schliesse ich die Augen und lasse den heissen Tränen auf meiner ausgekühlten Haut freien Lauf. Erst jetzt fällt mir wieder auf wie furchtbar kalt mir ist. Meine Kleidung ist durchweicht und klebt an mir wie ein mir feindlich gesinnter Schatten und meine Muskeln tun das, was mein Gehirn ihnen verzweifelt befiehlt, um meine Temperatur bei 37.5° zu halten: Zittern. Zittern, Zittern, Zittern, sogar meine Zähne klappern.

"Andreas, kannst du die Augen bitte offen halten?", unterbricht Falc sein Telefonat und ich gehorche ihm folgsam, obwohl meine Lider sich so schwer wie Blei anfühlen. Er nickt mir sanft zu und lässt wenig später sein Handy zurück in die Hosentasche gleiten. Auch er zittert vor Kälte. Und auch wenn er sich grosse Mühe gibt, ruhig und professionell aufzutreten, zeigen seine wirren, nassen Haare und das feine Rinnsal aus Blut, das seinen blassen Hals hinabläuft, etwas anderes.

"Du blutest", flüstere ich mit tränenerstickter Stimme, als er sich auf Knien neben mir niederlässt. Der Kommissar seufzt und dreht sich zum verspiegelten Teil des Aufzugs um. Mit einem Ärmel seines dunklen Mantels wischt er sich das Blut vom Hals, sodass nur noch ein gelbbrauner Schatten zurückbleibt. Als er sich wieder zu mir umdreht, ist sein Ausdruck weicher.

"Es tut mir leid, falls ich dir wehgetan haben sollte."

Ich senke den Blick. Ich war so kurz davor mir so sehr wehzutun, dass nie mehr etwas wehtun würde. Falcs Blick brennt auf meinen Schultern. Vielleicht sind es auch nur die Schmerzen.

"Wenn du dich etwas nach vorne beugst, kann ich dir die Handschellen abnehmen", meint er mit müder Stimme. Überrascht hebe ich den Kopf und begegne seinen dunklen Augen.

"Wirklich?"

Er fährt sich mit einer Hand durch die dunklen Locken, woraufhin sich mehrere dunkelrote Tropfen Blut aus seinem Haar lösen und langsam seinen Hals hinabtaumeln.

"Ich habe keine Angst vor dir, wenn du keine geladene Waffe in der Hand hältst, Andreas", sagt er matt. "Und es ist sinnlos, dich dafür zu bestrafen, dass du versuchst, dir das Leben zu nehmen."

"Ich...", beginne ich mit zitternder Stimme, aber er unterbricht mich mit einer sachten Handbewegung.

"Wir müssen nicht jetzt darüber reden. Willst du die Handschellen loswerden?"

Der Kommissar zögert keine Sekunde, als ich mich endlich vorbeuge. Er greift nach meinen gefesselten Händen und löst die Handschellen mit einem leisen Klicken. Der bohrende Schmerz in meinem gebrochenen Handgelenk lässt ein wenig nach, immerhin ein wenig.

"Gib mir deine Hände", sagt Falc dann und ich gehorche ihm bebend. Es tut weniger weh als erwartet. Alles tut gerade weniger weh, als der Gedanke, dass eine Kugel meine Schläfe durchschlägt.

"Versuchen wir in den Rollstuhl zu kommen?", meint er und legt einen Arm unter meine unverletzte Schulter und den anderen um meine Hüfte. 

"Auf drei."

Eins.

Zwei.

Drei.

An alles, das nach drei kam, kann ich mich nicht mehr erinnern. Weder wie ich auf die Beine gekommen bin, noch wie ich die paar anstrengenden Schritte zum Rollstuhl geschafft habe. Ob es nun mein Blutdruck oder mein Blutzucker waren, nach drei wird mir schwarz vor Augen. 

"Lucas, was ist passiert?"

Aaron lehnt mit zerwühltem Haar und in Pulli und Jeans in der Öffnung des Aufzugs und starrt überrascht auf die Überreste des Dramas. Ich frage mich müde, ob er die dunkelroten Blutspuren am Boden bemerkt, oder nur meinen Verband, der wie ein leerer Insektenpanzer auf dem Linoleum liegt. 

"Später, ich erkläre es dir später", unterbricht Falc ihn und wirft mir einen kurzen Blick zu. Aaron nickt nur und greift mit einer Hand nach der Lehne meines Rollstuhls ohne seinen Platz an der Tür zu verlassen. 

"Kannst du ihn zurück auf sein Zimmer bringen und ihm einen Arzt besorgen? Für den Arm meine ich", sagt der Kriminalkommissar, sobald er ebenfalls aus dem Aufzug tritt. 

"Ich...darf das nicht tun", bemerkt Aaron und ich spüre seinen Blick auf mir ruhen. Ihn nicht zu sehen, macht mir mehr Angst, als es sollte. Nur zu gerne würde ich mich zu ihm umdrehen, aber ich bringe den Mut dazu nicht auf. Nicht jetzt, nicht nachdem, was ich getan habe.

Falc schliesst gequält die Augen und lässt sich mit dem Rücken gegen die Wand sinken.

"Bitte, tu es für mich. Ich komme in einer Viertelstunde nach, ich muss nur zu meinem Spind, um mir trockene Kleidung zu holen."

"Lucas, er hat Angst vor mir. Das ist keine gute Idee."

"Er hat auch Angst vor mir", seufzt Falc. "Und ich weiss, dass du ihm nichts tun wirst."

Aaron lacht bitter auf. So laut, dass ich erschrocken zusammenzucke.  "Das weisst du, ja?"

"Aaron. Ich blute, ich muss in die Notaufnahme rüber. Ich würde das nicht tun, wenn es kein Notfall wäre, okay?", sagt der Kommissar ruhig und fährt sich mit einer Hand durch die dunklen Haare. Dunkles Blut bleibt an seinen Fingern kleben.

Der blonde Polizeibeamte schüttelt wortlos den Kopf.

"Ich begleite dich."

"Nein tust du nicht, ich finde hier jemanden, der mich begleitet. Bitte", beendet Falc erschöpft die Diskussion und wendet sich mit einer leichten Kopfbewegung mir zu.

"Er wird dir nichts tun. Ich komme sobald ich kann und dann können wir reden."

"Und Aaron, keine Sorge, ich gehe jetzt da rein und hole mir jemanden, der mich begleitet", sagt er zuletzt und deutet auf die geschlossene Türe des Ärztezimmers neben ihm. An der weissen Wand, wo er zuvor stand, klebt Blut. 


Aaron ist wieder da und schuldet wahrscheinlich jemandem eine Entschuldigung.

Tut mir leid, dass ihr so lange auf dieses Kapitel warten musstet, aber ich bin wirklich nicht weiter gekommen. Richtig zufrieden bin ich schlussendlich auch nicht. Allerdings dürft ihr euch jetzt auf eine baldige Fortsetzung freuen – also bis bald :)








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