Nicks Eltern sind Akademiker. Das muss ich nicht mal wissen, es reicht, die Regale mit Büchern zu sehen, die sich an jedem freien Ort in ihrer Wohnung bis an die Decken hoch ausbreiten. Ausserdem ist eine Stadtwohnung, mit einer schmalen Holztreppe, die hoch in eine zweite Etage führt, die direkt unter dem Dachstock liegt. Nick grinst verlegen, als er meinen überraschten Gesichtsausdruck bemerkt.
"Professoren", murmelt er entschuldigend und streift sich die nassen Stiefel von den Füssen. Sie landen im selben Moment dumpf und vom Regen tropfend auf dem Teppich, in dem seine Mutter vor uns erscheint.
"Willkommen Tres", begrüsst sie mich mit einem ernsthaften Lächeln. "Ihr seid ja völlig durchnässt. Jezu, Nick, nie wziąłeś parasola?"
"Hab ich vergessen", meint Nick seufzend und schiebt meine erstarrte Hand ein Stück nach vorne, damit ich Paulina verunsichert den Strauss Blumen hinhalten kann, den ich mitgebracht habe. "Kupił kwiaty, mimo że nie ma pieniędzy", sagt er dazu, als ich nur ein verlegenes Geräusch hervorbringe, grinst nur überlegen, als ich ihn verständnislos anschaue.
"Oh danke, das ist lieb!", erwidert Paulina lächelnd und nimmt mir den Strauss aus den Händen. "Ich gehe die gleich mal in Wasser einstellen."
Nick greift nach dem Kragen meines Mantels, als seine Mutter zurück ins Wohnzimmer verschwindet. Er zieht mich daran näher, nur ein paar Zentimeter, bis unsere Nasen sich berühren, seine braunen Augen funkeln belustigt. Seine Haare hängen ihm nass und zerzaust ins Gesicht, sie streifen meine Wange kühl.
"Du musst nicht so nervös sein", bemerkt er sachte, als ich immer noch kein Wort hervorbringe. "Meine Eltern sind nett, versprochen."
"Sicher", murmle ich und es klingt irgendwie wie eine Frage. Nicks Mundwinkel zucken ein wenig. "Komm, gib mir deinen Mantel", sagt er bloss und wischt mir eine Locke zur Seite, die durchnässt an meiner Schläfe klebt. "Du solltest dich aufwärmen."
"Danke", sage ich verlegen, als er mir das triefende Stück Stoff abnimmt und an einem Kleiderbügel aufhängt. Er hakt seinen Arm stützend bei mir unter, als ich mir einbeinig stehend die nassen Turnschuhe von den Füssen zerre. Ich glaube, Nick begreift nicht, wie sehr ich tatsächlich Angst habe, das hier zu verkacken. Scheisse Angst. Niemand hat mich je bei seinen Eltern vorgestellt. Niemand hat mich je überhaupt zu sich nach Hause mitgenommen. Ich weiss nicht, wie das geht.
Nick zieht mich mit sich ins Wohnzimmer. Hier drin ist es angenehm warm, aus der Küche riecht es nach gebratenen Zwiebeln und Rosmarin. Paulina hat die traurigen Blumen in eine runde Vase gesteckt, sie stehen mitten auf dem gedeckten Esstisch. Mein Herz fühlt sich an, als würde es gleich aus meinem Brustkorb springen, sich zwischen meinen geflickten Rippen durchquetschen und auf den hölzernen Dielen auflösen. Ich habe echt Bauchschmerzen.
"Tres", fragt Nick besorgt. "Alles okay?"
"Ja, tut mir leid", erwidere ich betreten und streiche mir das wirre Haar zurecht. "Ich will bloss, dass sie mich mögen."
Er schnaubt kaum hörbar, verdreht die dunklen Augen. Sein Eyeliner sitzt messerscharf, trotz Regen und Wind. "Sie werden dich eh mögen, du Idiot", meint er wenig beeindruckt. "Du hast meine Mutter eh schon getroffen und sie mag dich."
"Hm", murmle ich verlegen. Nick senkt den Blick nicht.
"Wirklich, meine Eltern sind nett, versprochen", sagt er leise und lässt seine Hand in meine Locken gleiten. Seine Lippen schmecken nach Zahnpasta, als er mich küsst. „Mach dir keine Sorgen, Tres, ich bin ja da."
„Okay", sage ich kleinlaut. „Tut mir leid."
Nick verzieht bei meiner Entschuldigung das Gesicht zu einer Grimasse. "Komm", sagt er leise und zieht mich an der Hand weiter zur Küche. Es riecht absolut göttlich und mein Magen erinnert mich grummelnd daran, dass ich es heute nicht mehr runtergekriegt habe, als einen mickrigen Riegel. Paulina sieht auf, als wir uns durch die offene Tür hineinschieben, sie lächelt mit weissen Zähnen. Der Mann neben ihr folgt ihrem Blick, Nicks Vater, mit graublondem Haar, scharfen grauen Augen und Schürze, ich kenne ihn aus dem Krankenhaus.
"Da seid ihr", bemerkt sie belustigt. "Mattis, sie sind völlig durchnässt, siehst du?"
"Hallo Andreas", begrüsst mich Mattis ruhig, sein Blick mustert mich interessiert. Er stellt sich nicht vor, aber natürlich weiss er, dass ich seinen Namen ohnehin kenne. "Freut mich, dich endlich hier zu haben. Essen ist gleich fertig."
"Eh, gleichfalls", bringe ich unsicher hervor. "Freut mich auch."
"Willst du etwas trinken, Tres?", fragt Paulina. "Cola? Tee? Sonst irgendwas?"
Sie sagt nicht Wein, obwohl sie zweifellos weiss, dass ich alt genug dafür bin und die Flasche direkt neben ihren spitzen Ellbogen auf der Theke steht. Nicht das es mich stört, ich habe das Konzept von Wein ohnehin nie verstanden, das intellektuelle aus edlen Gläsern Trinken. Wein schmeckt nicht, Alkohol schmeckt nicht. Muss er auch nicht, Alkohol ist dazu da, sich abzuschiessen, bis zur Besinnungslosigkeit zu trinken, bis man nichts mehr spürt.
"Eh, Cola gerne", meine ich zaghaft, weil Cola einfach ist. Wenig falsch zu machen. Die Glasflasche liegt kalt auf meiner Haut, ich wiege sie nervös hin und her. Nick legt beruhigend eine Hand auf meine, seine Finger verschränken sich mit meinen und bringen mich notgedrungen dazu, die Flasche neben mir auf der Spüle abzustellen.
"Kann ich irgendwas helfen?", frage ich verlegen, als sein Vater bereits zum dritten Mal neben mir etwas aus der Schublade holt.
"Nein", erwidert Mattis ohne aufzusehen. "Keine Sorge. Setzt euch doch schonmal ins Wohnzimmer."
"Jest zdenerwowany", sagt Nick belustigt, ohne seine Hand von meiner zu nehmen. Er ignoriert meinen fragenden Blick gekonnt.
"Keine Sorge, ich verstehe auch kein Wort", bemerkt Mattis beiläufig und öffnet den Ofen, was eine heisse Welle Luft um meine Beine schlagen lässt. Er hat noch kein einziges Mal gelächelt, auch wenn seine Stimme und seine Worte durchwegs freundlich klingen. Das passt irgendwie für Anwälte, wie er einer ist. Ich weiss nie, was sie gerade denken.
"Selber schuld, musst halt mal wieder deinen Sprachkurs besuchen, ojciec", bemerkt Nick grinsend. Sein Vater schnaubt und stellt das dampfende Blech auf dem Herd ab.
"Ich glaube, das wird in diesem Leben nichts mehr", meint er belustigt und wirft die Ofenhandschuhe neben sich auf den Tisch. "Hast du deinem Freund überhaupt schon die Wohnung gezeigt?"
"Ah nein! Willst du die Wohnung sehen, Tres?"
"Eh, gerne", entgegne ich und lasse mich von Nick mitziehen, aus der Küche, rüber ins Wohnzimmer. Die Cola bleibt unangetastet auf der Spüle stehen.
"Du hast Recht, deine Eltern sind nett", bemerke ich, bevor er die nächste besorgte Frage von sich geben kann. Seine dunklen Augen blitzen erheitert, als sich unsere Blicke treffen.
"Ja?", meint er neckend und macht einen Schritt rückwärts. Er stolpert, vielleicht bleibt sein Fuss an der Teppichkante hängen, vielleicht ist er einfach ungeschickt. Ich kriege ihn am Ellbogen zu fassen, bevor er in die schöne Stehlampe hinter sich prallt.
Nick lächelt nur.
"Danke", sagt er schlicht. "Schöne Socken übrigens."
Ich komme nicht umhin, die Augen zu verdrehen.
"Jetzt zeig mir endlich die Wohnung."
Nick grinst.
"Komm, ich zeig dir mein Zimmer."
Ich weiss, ihr wartet alle auf die andere Geschichte, aber ich kann Andreas nicht einfach im Stich lassen. Jedenfalls kommt das nächste Kapitel garantiert bald, weil ich nächste Woche endlich mal Pause von meiner Uni habe :,)
Was haltet ihr von Nicks Eltern? Und Nick selbst?
Frohe Ostern,
x
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Schattenfall
Teen FictionDrogen in der Keksdose, blaue Flecken von Mamas Liebhaber, blutige Zähne und schlechte Noten in der Schule. Andreas hält nicht viel von seinem Leben. Aber sterben scheint schwieriger zu sein, als gedacht. Besonders als Nick zum ersten Mal sein trist...