Prolog

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Es war ein heisser Augusttag gewesen, doch nun, während die Sonne langsam hinter den Dächern der hübschen Einfamilienhäuschen verschwand und die Schatten länger wurden, kühlte die Luft rasch ab.

Die beiden kleinen Jungen standen auf dem Trottoir und warfen sich gegenseitig einen Fussball zu. Sie sahen sich erstaunlich ähnlich. Dunkles gelocktes Haar und funkelnde Augen. Zwillinge.

Der Junge lachte laut, als sein Bruder die Kontrolle über den Ball verlor und mit ungeschickten Bewegungen versuchte ihn wieder zu halten. Das Spielzeug plumpste geradewegs auf seinen Kopf.

„Aua!", beschwerte sich das Kind und griff sich mit einer Hand an den Kopf. „Du schiesst blöd! So kann ich ihn nie fangen!"

Der Junge streckte ihm, immer noch lachend, die Zunge heraus, während er sich gleichzeitig mit einem triumphierenden Blick in den grossen Augen, auf den Ball stürzte.

„Das ist meiner!"

Die beiden Brüder balgten sich lachend darum, bis einer es schliesslich schaffte ihn zu halten und sich, die weissen Zähne bleckend, darauf plumpsen liess.

„Meiner! Ich habe gewonnen!"

„Nur, weil ich dich gewinnen lassen wollte! Und jetzt schiess schon...du bist soooo langsam!"

Der kleine Junge warf den Ball und sein Bruder fing ihn mit einem Hechtsprung nach vorne auf. Schnell holte er aus und schleuderte den Ball mit einer heftigen Bewegung in die Luft. Doch sein Schuss war zu weit nach rechts gegangen, er landete mitten auf der gegenüberliegenden Seite der Strasse.

„Du schiesst wie eine Banane!", kicherte sein Bruder, dann setzte er mit schnellen Schritten dem Ball nach.

Er war beinahe über der Strasse und streckte schon die Hand nach seinem Spielzeug aus, als das Auto um die Kurve kam.

Es fuhr viel zu schnell.

Der Junge sah es. Sah es mit quietschenden Reifen auf seinen Bruder zurasen. Er riss den Mund auf um zu schreien, doch im selben Moment prallte das Auto mit voller Wucht frontal gegen den kleinen Körper.

Das Kind wurde durch die Luft geschleudert, die dunklen Augen vor Überraschung aufgerissen, den Mund zu einem Schmerzensschrei aufgerissen.

Sein Bruder streckte die Hände nach ihm aus, rannte auf ihn zu, doch es war zu spät. Mit einem dumpfen Knall schlug der Kopf des Jungen auf den harten Asphalt auf.

Für einen Moment stand er einfach da und sah zu, wie das Auto weiterraste, es hatte nicht einmal gebremst, sah zu wie Blut aus der Nase seines Bruders floss. Dann gaben seine Beine unter ihm nach und er sank neben ihm auf die Strasse.

Der Junge lag da, eine immer grösser werdende Blutlache um ihn herum, die dunkelgrünen Augen geweitet in einem Ausdruck von Verwirrung und Schmerz.

Sein Bruder schüttelte ihn, legte seinen Kopf auf den Boden um ins Gesicht seines Zwillings zu schauen.

„Samu. Samu! Wach doch auf!", schluchzte er laut, doch Samu antwortete nicht. Er zuckte auch nicht, lag nur da, mit seinem starren Ausdruck und dem feinen Rinnsal aus Blut das aus seinem Mundwinkel ran.

„Samu, wach auf! Bitte! Lass uns doch weiterspielen! Du bist nicht langsam, da...das habe ich nicht so gemeint! Wach doch endlich auf! Wach doch bitte au...uuf...". Jetzt weinte er, umarmte den noch warmen Körper, der schlaff dalag.

Er schmiegte seinen Kopf an den Hals, dort wo man das Herz schwach pochen hört, dort wo jetzt nichts mehr war.

Er schloss die Augen. Atmete in das weiche warme Haar seines Bruders. Seine Tränen rollten sein Gesicht hinab und durchtränkten sein T-Shirt und das seines Zwillingsbruders.

So lagen sie da und er spürte, hörte nichts mehr. Weder die Sirenen des Rettungswagens, noch die lauten Stimmen der Leute, die um sie herum knieten.

Dann irgendwann packten ihn plötzlich starke Arme unter den Schultern und zogen ihn mit einem Ruck etwas zur Seite. Er schrie und klammerte sich an den kalten Körper seines Zwillings, aber jemand löste seine Finger von Samus Schultern und zerrte ihn zur Seite.

Er wehrte sich mit Händen und Füssen, aber der Griff des Mannes, der ihn festhielt, verstärkte sich nur noch. Schliesslich setzte er ihn grob auf der Bordsteinkante ab und brummte ihm ein wütendes ,Hier bleibst du, verstanden? ' zu, bevor er zwischen ein paar Autos hindurch zurück zur Strasse trottete.

Langsam erkannte er seine Umgebung wieder, sah den Rettungsdienst, der sich nun in grellen Uniformen über seinen Bruder beugte, die Polizisten, die gerade aus dem Auto hasteten und die Leute die dastanden und einfach nur glotzten.

Sah den Mann, der ihn weggebracht hatte und nun in seine Richtung zeigte, die tiefschwarzen Bremsspuren des Autos, den Sanitäter der in seine Richtung blickte und den Notarzt, der langsam aufstand und den Kopf schüttelte.

Selbst er verstand was damit gemeint war.

Seine Lungen fühlten sich an, als würde man sie mit voller Wucht zusammenpressen und eine eiserne Kälte umfasste ihn. Es war so kalt. So kalt wie Eis. Sein Körper schüttelte sich, seine Hände ballten sich zu Fäusten und ein leises Wimmern drang durch seine zitternden Lippen.

Er hörte noch Schritte auf ihn zukommen. Klick. Klack. Klick. Klack.

Dann konnte er seinen Kopf nicht mehr halten und sank schwer nach hinten. Ein hämmernder Schmerz jagte durch seinen Hinterkopf und seine Sicht wurde dunkel.

SchattenfallWo Geschichten leben. Entdecke jetzt