Kapitel 55

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Anstatt in Panik zu verfallen entscheide ich mich für Gegenangriff. Ich setze mein charmantestes Lächeln auf und entgegne ihm „Wie möchtest du denn, dass ich dich vorstelle?" Nimm das, David! Jetzt bist du im Zugzwang!

„Hm naja, also es gibt da ein paar Möglichkeiten. Du könntest mich als normalen Kollegen vorstellen, mit dem du dich gelegentlich mal triffst. Oder natürlich als Kumpel." Autsch, ich spüre die Friendzone unter meinen Füßen. Ich will schon etwas entgegnen, als er weiterspricht. „Oder du erzählst, dass ich dein intelligenter, hutaussehender und natürlich wahnsinnig heißer Freund bin. Das liegt ganz bei dir." Dabei wackelt er wild mit den Augenbrauen, sodass ich laut losprusten muss. Bei so viel Selbstverliebtheit kann ich nicht ernst bleiben.

„Das sind in der Tat viele Möglichkeiten. Eine besser als die andere" Ich strecke meine Hand über den Tisch nach seiner aus, David ergreift meine direkt und streicht mit seinem Daumen über meinen Handrücken. Die Bewegung löst in mir ein Gefühl von Geborgenheit aus. Ich muss wieder daran denken, dass wir uns letzte Nacht unsere Liebe quasi gegenseitig gestanden haben. Ist es damit eigentlich ausgesprochen, was wir sind?

Nein, Liebe und Beziehung sind nicht für jeden selbstverständlich. Wir sollten also doch nochmal dieses Thema aufgreifen. Angst steigt in mir auf. Die Gedanken was passieren könnte sind wieder allgegenwärtig.

David kennt mich mittlerweile gut, er merkt, dass ich wieder in Gedanken bin. „Teil deine Sorgen mit mir, Nolan. Sprich aus, was dich bedrückt." „Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll..." Murmel ich vor mich hin, mein Blick starr auf den Tisch gerichtet. Ich traue mich nicht, David  anzusehen. Zu groß ist die Angst, enttäuscht zu werden. Wovor habe ich eigentlich Angst? Er hat gestern gesagt, dass er mich liebt. Dennoch bin ich gerade den Tränen nahe, eine Panikattacke droht sich anzubahnen.

Zu groß ist die Angst, dass er sagt, dass die Liebe ihm nicht reicht. Oder, dass er es nicht so gemeint hat. Und dann geht er. Und ich bleibe in einem Scherbenhaufen zurück. Weil ich nicht genug bin.

Aber genau dieses Verhalten ist wieder typisch für mich, ich habe immer das Gefühl nicht genug zu sein. Daher zweifle ich immer daran, wenn Menschen mir gegenüber Zuneigung bekunden. Ich kann nicht glauben, dass Menschen mich liebenswert finden, ohne, dass ich etwas dafür tue. Das hängt mir nach, seit ich in der Schule war. Nicht selten habe ich Ablehnung erfahren. Menschen, die am einen Tag interessiert an mir waren, weshalb ich mich immer wieder geöffnet habe, haben einige Tage später schlecht über mich gesprochen, mich ignoriert und verstoßen. Das ist auch der Grund, warum ich so zielstrebig bin. Weil ich das für mich tue, das kann mir niemand wegnehmen. Menschen können mich verlassen, aber Leistungen bleiben. Und so ging das immer weiter, heute habe ich daher Probleme, neben der Arbeit noch zu leben, ohne Angst zu haben.

„Nolan. Bleib hier bei mir, drifte bitte nicht wieder ab." Höre ich David im Hintergrund meiner Gedanken, weshalb ich automatisch meinen Blick etwas hebe um festzustellen, dass David mich besorgt mustert.
„Es tut mir leid David, ich ..." Weiter komme ich nicht, denn David ist aufgestanden, hat mir unter die Arme gegriffen und mich direkt auch auf die Beine gezogen. Seine eine Hand wandert an meinen Rücken, die andere hebt mein Kinn vorsichtig an, dass ich ihn weiter ansehe.
„Nolan, entschuldige dich nicht für deine Gefühle. Ich bin hier und du kannst mit mir reden, schließ mich nur bitte nicht aus. Ich sehe doch, dass du gerade leidest." Bei diesen Worten kommen mir wieder Tränen. Lange werde ich sie nicht zurückhalten können.

Aber Er sieht mich. Er respektiert mich. Er erkennt meine Gefühle an und will mir nicht weh tun.
Seine Hand an meinem Rücken gibt mir Halt, ich fühle mich sicher in seinen Armen. Bei ihm bin ich sicher, er wird nicht gehen und mich ausschließen. Hoffe ich.

„David, ich liebe dich und ich weiß nicht, wie es weiter gehen soll." Ich hole kurz Luft, ehe ich weiterrede, denn in mir ist gerade eben ein Damm gebrochen, Tränen laufen mir über die Wangen, aber das registriere ich gerade nicht wirklich. Ich rede daher einfach weiter und ignoriere dabei, dass David seine Augen aufreißt, weil ich während ich rede das Schluchzen anfange. „Ich fühle mich bei dir so gut, wie ich mich lange nicht gefühlt habe, aber ich hab Angst, David. Angst, dass ich was hinein interpretiere, was du nicht empfindest. Angst, dass ich dich frage, ob wir zusammen sein wollen und du dann gehst. Dass du dann einfach gehst und ich wieder alleine bin. Alleine in meinem erwachsenen und ernsten Leben, das durch Leistung bestimmt wird." Ein weiterer Schluchzer überkommt mich, das ist so unmännlich. Meine Mauer ist eingerissen und die Worte sprudeln nur so, ohne über Konsequenzen nachzudenken. Also rede ich einfach weiter.

„Weißt du, ich habe mich so lange gegen das hier gewehrt. Ich wollte dich nicht in  meinem Leben. Ich wollte weiter seriös meine Arbeit machen, ohne unnötig abgelenkt zu werden. Ich lasse Menschen nur ungern in mein Leben aus Angst verletzt zu werden. Das ist seit meiner weniger schönen Schulzeit so. Aber du hattest von Anfang an einen Platz, auch wenn ich es erst nicht mal mir selbst eingestehen wollte. Ich will nicht abhängig sein, von der Liebe eines Menschen, der irgendwann gehen könnte. Bei Maurice war das Okay, ihn habe ich nie verloren, wir sind heute noch Freunde. Aber das ist nicht die Regel und deshalb habe ich Angst. Ich weiß nicht ob ich es ertrage, wenn du gehst. Aber das ist egoistisch." Ich wische mir mit dem Handrücken über mein Gesicht, welches mittlerweile komplett nass ist. Warum bin ich gerade so emotional?

David sieht mich noch immer an. Es fühlt sich an, als würde er mir direkt in die Seele blicken.

Coworker - ManxManWo Geschichten leben. Entdecke jetzt