Gewinnen um jeden Preis

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Jetzt nur nicht schwächeln! Ich schaute in den Spiegel und wischte mir die Schweißperlen aus dem Gesicht. Schnell noch neues Make – up nachlegen und dann wieder raus ins Rampenlicht. Diese Bitches können sich warm anziehen. Sie haben nicht die geringste Chance gegen meine Königsdisziplin. Ich dehnte mich noch etwas in meiner Garderobe. Plötzlich erfasste mich wieder der Gedanke, der mich seit Jahren verfolgt und Grund für meine Arroganz und Eitelkeit war. Was wenn ich doch mal einen Wettkampf verlieren würde? Im Leistungssport wird man schnell ersetzt und so überkam mich wieder die Angst des Alleinseins. Ich versuchte ruhig zu atmen, doch es funktionierte nicht und die Schweißperlen kamen erneut zum Vorschein. „Scheiße! Nicht schon wieder" sprudelte es aus mir heraus und rannte zu meiner Tasche. Ich hielt es vor Verzweiflung und Druck nicht mehr aus. Ich hatte mir schon oft geschworen, dass es das letzte Mal sein wird, aber ich kann einfach nicht die Finger davon lassen. Ich habe keine Freunde und meine Mutter beutet mich mit dem Sport aus und das obwohl ich erwachsen bin. Sie sieht in mir eher eine Trophäe als eine Tochter. Ich bin einsam und ungeliebt. Applaus und Anerkennung bekomme ich, wenn ich heute Gold mit nach Hause bringe. Ich nahm aus meiner Tasche eine kleine blaue Dose in der sich einige Pille befanden. Ich schaute sie kurz zögerlich an, bis es plötzlich an der Tür klopfte. „Noch 5 Minuten Mädchen!" Dann verschwand die Stimme wieder und ich schluckte hastig 2 von den Teilen runter. Normalerweise wirken die Tabletten schnell und ich wurde augenblicklich ruhiger. Dann schnappte ich mir noch eine Wasserflasche und bereitete mich auf meinen Act vor. Ich bin dran mit Bodenturnen und habe eine hammermäßig Performance vorbereitet. Ich gehe im Kopf die Melodie durch und erinnere mich an die Schritte und Kombinationen. Dann ertönte ein Signal und ich begab mich, mit einem übertriebenen Lächeln, in die Mitte der Bühne. Ich brachte mich in eine elegante Position und wartete ab. Ich zählte innerlich damit ich wusste, wann mein Einsatz war. Die Musik ertönte und ich begann mit einem Ratschlag und Spagat. Aus dem Spagat erfolgte eine Drehung zur Seite, um mich daraufhin, mit einer eleganten Armbewegungen wieder aufzurichten. Ich musste zugeben, dass ich schon immer eine Neigung zum dramatischen besaß und seit der ersten Sekunde schaffte ich es, die Jury und Zuschauer zu verzaubern. Meinen Mittelteil tanzte ich mit japanischen Schleierfächern. Ich bin absolut perfekt, dachte ich und turnte meine Kür tänzerisch zu Ende , um mich schließlich wieder zurück, in meine Ausgangssituation zu begeben und zu verbeugen. Ich erhielt riesigen Applaus und ging zurück. Nun hieß es abwarten, bis das Urteil gefällt war. Ich würde auf die Verkündung in meiner Garderobe warten. Auf meinem Weg zurück in die Garderobe,  stellte sich mir eine meiner Konkurrentinnen in den Weg. Ich hatte ja schon erwähnt, dass ich nicht sonderlich beliebt war und es hieß letzten Endes „Fressen oder gefressen werden"! „Na wen haben wir denn da?!" ertönte es schrill und ironisch. Ich antwortete: „Lass mich durch Samantha, oder soll ich dir die Augen auskratzen." Das Mädel grinste nur frech in sich hinein und sagte nichts mehr. Ich wurde richtig wütend, stürmte an ihr vorbei und verschwand hinter meiner Tür. „So eine blöde Scheiße, die macht nur Ärger. Wer weiß, was sie sich dieses Mal überlegt hat, um mir eins auszuwischen." Auf einmal kamen mir die Tränen und ich wollte einfach nicht mehr so weiter machen. Keine Freizeit, keine Freunde, keine Familie. Ich bin ganz allein und werde auch immer allein bleiben. Ich ertrage diese Gefühle nicht mehr. Ich sprang zu meiner Tasche und holte die Dose erneut hervor. „Scheiß drauf!" schrie ich und ehe ich mich versah, hatte ich alle Teile runtergeschluckt. Auf meinem Tisch stand eine Flasche Sekt, die für meinen Sieg gedacht war. „Danke Mutter das du mal wieder so selbstverständlich daran glaubst, dass ich gewinne" blubberte ich vor mich hin. Ich nahm die Flasche, öffnete Sie und trank. Ich fühlte mich benebelt und alles verschwamm ineinander... Das Zeug wirkt echt hart und die Kombination mit dem Sekt haut mich komplett um. Ich taumelte einige Minuten hin und her und redete wirres Zeug. Mein Kreislauf war völlig aus den Fugen geraten und ich wurde ohnmächtig.... Genaugenommen waren dies soeben die letzten Minuten meines einsamen und verzweifelten daseins. Kalt und bläulich verfärbt, lag ich auf dem Boden und schaumiges erbrochenes quoll aus meinem Mund heraus. Für eine Rettung war es zu spät, aber ich hätte es ohnehin nicht gewollt, dass man mich zurück holt...

Im Netz der GefühleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt