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POV Dean

Mit dem Schoko-Eis in der Hand liefen Cas und ich zusammen die Straßen durch Berlin entlang. Wir hatten seit dem Vorfall nur wenige Worte miteinander gewechselt. Die Straßen waren vollgestopft mit Menschen, die es viel zu eilig hatten, um das schöne Wetter zu geniesen, aber auch ich hatte meine Probleme damit. Mich quälten Fragen, worauf es galt, eine Antwort zu finden und Cas war womöglich diese Antwort.

"Ist es für euch wirklich eine so große Sache, Gefühle zu haben?" Cas neben mir legte den Kopf schief.
"Huh...", gab er von sich. Ich sagte nichts und sah ihn weiter fragend an, bis er nach einigen Sekunden wieder anfing zu sprechen.
"...So genau kann ich dir das nicht erklären. Es ist ein Befehl des Himmels. Vielleicht ist es auch gar nicht das Problem, Gefühle zu haben. Ich denke, diese zu zeigen, spielt eine größere Rolle... Und natürlich an wen die Gefühle gehen. Einige von uns halten euch immer noch für mickrige schwache Primaten,... uhm... haarlose Affen." Bei dem letzten Teil des Satzes runzelte ich die Stirn und zog beleidigt eine Augenbraue nach oben.

Haarlose Affen. Wie nett.

Wir waren schon eine Weile unterwegs und langsam taten mir die Füße weh. Ich sah mich um und entdeckte etwas abseits auf einer kleinen Wiese eine Parkbank. Ich griff ohne zu überlegen nach Castiel's Hand und zog ihn hinter mich her zu der Sitzgelegenheit. Als Cas mich nur fragend ansah, kratzte ich mir mit der anderen Hand verlegen meinen Hinterkopf. Ich spürte, wie meine Wangen leicht brannten. Das könnte daran liegen, dass ich seine Hand immer noch in meiner hatte. Es fühlte sich aber einfach zu gut an, um sie loszulassen.

Ich setzte mich und zeigte auf den freien Platz neben mir.
"Mein rechter rechter Platz ist leer, ich wünsche mir mein Engel her!", trällerte ich und versuchte ernst zu bleiben. Cas wurde rot und wenn ich sage rot, meine ich, er hätte locker einer Tomate Konkurrenz gemacht, wenn nicht sogar übertroffen.
"Dean, mir wird ganz warm...", sagte er und senkte seinen mittlerweile hochroten Kopf. Seine Offenheit über seine noch nicht entdeckten Gefühlslagen ließen mich schmunzeln. Ich zog ihn runter zu mir auf die Bank und sah ihn in die Augen, während er meinem Blick versuchte auszuweichen.
"Ich weiß, wie ich dich abkühlen kann.", raunte ich neben seinem Ohr und war plötzlich Feuer und Flamme, als mir die Idee kam. Meine Stimme war mindestens eine Oktave tiefer geworden, so das sich meine Stimme für mich mal wieder vollkommen fremd anhörte. Langsam kam ich mit meinem Eis näher an sein Gesicht. Nun sah er mich doch an. Seine Augen waren geweitet und anscheinend hatte er keine Ahnung, wie er reagieren sollte.
"Du musst nur stillhalten...", flüsterte ich mit tiefer Stimme direkt neben seinem Ohr und sah, wie sich seine kleinen Haare im Nacken aufstellten. Langsam strich ich mit meinem Eis über seine Lippen, die er automatisch ein Stück öffnete. Ich fuhr die Konturen seiner Lippen vollständig nach und dann weiter seine linke Wange hinauf. Mit einem zufriedenen Lächeln beobachtete ich, wie das Eis in sekundenschnelle auf seinen Lippen schmolz und anfing, hinunterzulaufen. Seine Augen ließen nicht eine Sekunde von mir ab und das stechende Blau spornte mich immer weiter an.
Mein Herz raste und mein Atem wurde schneller. Dieser Mann.
Dieser Mann, der da gerade so verführerisch vor mir sitzt, brachte mich zu so etwas. In der Öffentlichkeit!
Bedächtig schloss ich die Lücke zu seinem Gesicht und fuhr mit meiner Zungenspitze erst über seine Wange und dann über seine Lippen, bis ich sie schließlich gänzlich auf seine legte und meinen Arm um seinen Rücken schloss. Seine Hand griff bestimmerisch in meinen Nacken und zog mich näher zu ihm herunter. Das Stöhnen, das ihm entglitt und gegen meine Lippen stieß, klang dunkel und voller Verlangen. Ich löste den Kuss und biss mir auf die Unterlippe. Allein dieses Geräusch brachte mein Blut zum pulsieren. Ein Zittern durchfuhr meinen Körper und diese angenehme Wärme blieb zurück.

Ich musste mich mehr zusammenreißen man!

Dann verdeckte er mit der Hand seine wunderschönen Augen. Es brachte mich wieder zum schmunzeln und die lodernen Flammen in meinem inneren wurden kleiner, würden aber mit Sicherheit nie erlöschen. Mit einem Grinsen stukte ich seine Nasenspitze in mein Eis, was ihn erschrocken zum lachen brachte.
"Das ist kalt, Dean!", brachte er kichernd hervor und so unmännlich es auch war, es machte mich glücklich.
Und in diesem Moment wurde mir eins klar...

Kein Anderer würde jemals diese Gefühle in mir auslösen können. Das schaffte nur er. Nur Cas alleine hatte das geschafft, was ich dachte, nie zu erleben.

Er hatte mir mein Herz gestohlen.

Und ich wollte es auf keinen Fall wieder zurück.

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2005, South Dakota Avera Sacred Heart Hospital

POV Erzähler

Mit traurigen Gesichtern fuhren zwei Schwestern, die mit einem weißen Leihnentuch bedeckte, mittlerweile sicher blasse Haut des dahingeschiedenen, den Flur entlang. Der Arzt, der nebenher lief, hatte den Blick gesenkt und reagierte auf nichts mehr in seiner unmittelbaren Umgebung. Er machte sich ganz offensichtlich für das Geschehen verantwortlich. Er hatte versagt und er fühlte sich von jeden Vorbeilaufenden beobachtet. Er spürte die Blicke und das Gemurmel über sein Versagen...

"Doktor Darsen? Sie haben noch weitere Patienten, die Ihre Hilfe brauchen. Für ihn war es vielleicht zu spät, aber seine Verletzungen waren von Anfang an lebensbedrohlich...", gab nun eine der Schwestern bedauerlich von sich und betrachtete den jungen Arzt mit Mitgefühl.

Doch er war in diesem Raum. Stand direkt vor diesem Mann. Aber er konnte ihm trotzdem nicht mehr helfen. Das war alles andere als leicht, gerade, weil er selbst nicht einmal die Dreißig voll hatte.

Der Arzt nickte zwar, schien aber immer noch in einer Art Trance zu sein. Hatte er doch das erste Mal in seiner jungen Karriere das Leben eines Patienten nicht retten können. Hatte er doch das erste Mal diesen schwerwiegenden Fehler begangen. Zu allem Überfluss musste er auch noch diese mehr als unglückliche Nachricht an dessen Familienmitglieder bekannt geben.

"Sie werden gebraucht, Doktor! Autounfall, der Fahrer ist Tod, der Beifahrer noch bei Bewusstsein, aber sehr schwer verletzt. Es ist ein Mann, Mitte vierzig!", kam nun eine andere Schwester eilig angerannt und stoppte kurz vor ihrem Ziel schweratmend und mit einer Hand auf den flachen Bauch gepresst.
Viel zu langsam schien der Arzt endlich zu begreifen, was die Schwester von ihm wollte und so etwas wie Leben kehrte in ihn zurück. Soweit man das neutral beobachtete, denn sein Gesicht glich immer noch dem eines Gespenstes. Mit dem ernsten Gesichtsausdruck und der blassen Haut sah er die Schwester auffordernd an.
"Bringen Sie mich zu ihm.", erklärte er kurz.

Während der Arzt davon eilte, schoben die Schwestern die Liege weiter zu ihrem Zielort, wo sich dann schlussendlich eine der Schwestern verabschiedete, um den Verwandten zu informieren. Zähneknirschend machte sie sich also auf, um ihn aus dem Schwesternzimmer anzurufen. Laut der Akte in ihrer Hand gab es nur noch einen nahestehenden Verwandten.

Seinen Bruder, Dean Collins...

Angel Don't CryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt