Kapitel 15

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Halsey - Sorry

Donnerstag, 18. Juli

Ich weiß gar nicht, wie wenig ich geschlafen habe. Ich war zu sehr damit beschäftigt, über Cans Gewaltausbruch zu denken. Er hätte es fast getan, da bin ich mir sicher. Er wollte mir wehtun und das, obwohl er immer und immer beteuert hat, dass er es nie machen würde. Das hier war bewusst. Die Fälle davor waren unbewusst und er hat dann immer aufgehört, als ich ihm signalisiert habe, dass es wehtut. Immer und immer wieder hat sich das Szenario vor meinen Augen abgespielt. Wie er mich an den Haaren weggeschleudert hat, wie er mich gepackt hat und dafür gesorgt hat, dass meine Handgelenke rot und lila werden, wie meine Knie. Ich habe keinen Appetit und beschließe mich, zu duschen, da Meryem mit den anderen frühstücken gegangen ist. Ich wollte nicht mit Can in einem Raum sein. Ich verabscheue ihn, obwohl ich ihn noch liebe. Seufzend hole ich mir neue Kleidung raus und ziehe mich müde aus. Ich schaue nach unten und sehe die Schürfungen am linken Knie. Beide sind dunkellila befleckt. Ich muss schlucken und steige unter die Dusche. Das Wasser läuft in warmen Strahlen über meine schmerzende und müde Haut, sorgt für leichten Komfort. Hat Can Schuldgefühle? Ich hoffe es. Liebt er mich noch? Wenn nicht, dann... dann würde ich daran noch stärker zerbrechen. Hätten wir keine Semesterferien, dann müsste ich das Semester wiederholen, vielleicht sogar kurzzeitig abbrechen. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie es mitten im Semester wäre. Wie schlimm es wäre und wie belastet ich dann wäre. Ich schaue wieder nach unten. Mein Bauch ist kleiner geworden, meine Oberschenkel haben auch ein kleines bisschen an Masse verloren. Wieder muss ich auf die Blutergüsse schauen und spüre den Druck auf meinem Nacken.

Seine Wut an mir rauszulassen hat Can nie freiwillig, beziehungsweise bewusst getan. Es schmerzt so sehr, dass er zuschlagen wollte, nur weil er denkt, dass ich entjungfert wurde. Wie kann er noch solch Gedanken besitzen? Wieso sollte ich mich von gleich zwei fremden Männern entjungfern lassen, wenn ich mit der Liebe meines Lebens zusammen war und es auch da nicht getan habe, auch wenn es einmal fast dazu gekommen wäre? Wie schräg und unlogisch müssen Cans Gedanken sein? Was suggeriert ihn? Ich hoffe, dass Ramazan ihm eingetrichtert hat, dass ich mit niemanden geschlafen habe. Frustriert kneife ich mir in den Bauch, weil ich kurz vom Weinen bin und lasse den Tränen wieder ihren freien Lauf gehen. Er will mich als Schlampe oder sonstiges Beleidigen, schafft es aber nicht. Wieso schafft er es dann, mir weh zu tun und das bewusst? Mit einem schmerzverzerrten Gesicht schaue ich hoch und schließe meine Augen. Schluchzend halte ich meine Arme fest und lehne mich gegen die Glastür. Ich muss an den Tag denken, an dem Can geduscht habe und ich ihm meine Gedanken erzählt habe. Mir kommen die Stunden in den Sinn, in denen wir uns gegenseitig geärgert haben und dann zusammengekuschelt unter der Decke lagen. Die Tage voller Streit und Kummer, die im Gegensatz zu jetzt ein winziger Windstoß sind. Die jetzige Lage ist ein permanenter Herzanfall. Mein Gehirn geht seinen eigenen Weg, genau wie mein schwaches Herz. Und ich war einmal das junge Mädchen, die sich selber gesagt hat, dass sie niemals einem Player verfallen wird und ihm immer die Stirn bieten würde. Jedoch wusste dieses junge Mädchen nicht, dass sie für einen Player bestimmt wurde und am Ende Schläge von überall einstecken muss. Mir wären schöne Lügen eine bessere Stütze als das hier und das nur, weil ich seit langem nichts Schönes mehr gehört habe.

Man kann die Liebe nie kontrollieren, egal wie alt man ist. Egal, wie reif und erfahren man ist, die große Prüfung kommt unerwartet und mit sehr schweren Seiten, die man erst schaffen kann, wenn die Arme und Beine gebrochen sind. Aber was muss mir noch alles gebrochen werden? Ich fange langsam an, mir die Haare zu schamponieren. Ich will doch nur in einer glücklichen Beziehung sein. Heißt Liebe nicht, mit einer auserwählten Person glücklich zu sein? Zärtlichkeiten auszutauschen und für den anderen da zu sein? Ich bin eifersüchtig auf diese Art von Liebe, die die anderen haben. Ich will meine alte Liebe zurück. Wieder schließe ich die Arme um mich und lasse mit geschlossenen Augen das Wasser über meinen Kopf laufen. Ich spüre, wie mir der Schaum über das Gesicht läuft und stelle mir einfach Can vor, der die Arme um mich legt. Wann sagt Can wohl seiner Mutter Bescheid, dass wir kein Paar mehr sind? Wieso hat er es noch nicht getan? Hat er noch Hoffnungen, dass wir wieder zusammenkommen? Aber wieso benimmt er sich dann wie das Gegenteil seiner Hoffnungen? Seufzend schamponiere ich mir die Haare wieder und steige Minuten später mit frischer Kleidung zurück ins Bett. Cans T-Shirt hole ich unter dem Kissen hervor und atme seinen Duft ein, so widersprüchlich es auch ist. Ich schließe meine Augen und drücke das T-Shirt an mich. 1970 Somethin' spielt sich in meinen Gedanken ab und lässt mich etwas entspannen. Was wohl Marcel und Tom machen? Ich schaue auf mein Handy und sehe, dass Marcel mich gestern angeschrieben hat. Ich antworte ihm und schließe wieder die Augen, bis mein Handy vibriert.

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