Kapitel 26

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Bushido - Vergiss mich

Freitag, 15. November

Wir sind also seit Dienstag getrennt. Ich kann dieses Wort nicht ab. Getrennt; zwei Silben. Für eine Trennung braucht man auch mindestens zwei Personen, die man trennen kann. Ich habe die Tage, neben dem Lernen, zum weinen und zum schreien verbracht, wenn ich alleine war. Von Can habe ich nichts gehört, gar nichts. Ich will nicht, dass es wehtut, aber dass ich ihn permanent um mich herum spüre und das sogar genieße, bringt mich um. Er fehlt mir, auch wenn ich damit klarkommen muss, dass er nicht mehr meins ist. Er ist mir fremd geworden, auch wenn ich ihn manchmal wiedererkenne. Seine Art hat mir doch immer gutgetan, auch wenn er manchmal etwas brutal wurde. Ich kann das alles nicht vergessen - niemals. Es waren zu viele schöne Momente und Momente voller Zweifel und Angst. Mein Herz schmerzt, weil Can nicht mehr meins ist. Ich dachte, mit ein wenig Geduld und der passenden Akzeptanz kriegen wir das wieder hin. Ich dachte, wir heiraten und werden glücklich. Ich wirke nach außen wie jemand totes. Ich rede fast gar nicht mehr. Wenn meine Mutter anruft, muss ich mich zwingen, damit ich antworten kann. Wann Can wohl angefangen hat, mich nicht mehr zu lieben? Ich dachte, dass Liebe grenzenlos wäre, sie alles besiegt und alles heilt, aber nein: Hass, Zweifel und Wut sind genauso stark und vielleicht sogar stärker. Ich dachte, dass Liebe unsere Medizin wäre. Ich dachte, dass wir Seelenverwandte sind.

Ich dachte, wir würden niemals dem anderen von der Seite weichen. Can sollte niemals von meinen Augen weggehen, aber er ist nicht mehr der, den ich liebe. Doch, er ist es. Ich liebe ihn immer noch und ich habe Angst, dass ich ihn irgendwann nicht mehr lieben werde. Ich fürchte mich vor den Tag, an dem ich mich neu verlieben werde, weil ich weiß, dass ich Can niemals vergessen werde. Er hat mein Herz, er hat meine Seele, er hat meine Gedanken. Er ist der Einzige, der so eine starke Macht hat und sie gegen mich einsetzen kann. Konnten wir schon immer wissen, dass wir uns so sehr lieben und uns irgendwann mal vergessen müssen? Von Jahr zu Jahr wurde unsere Sehnsucht größer, bis wir einmal gemeinsam abgestürzt sind. Dieser Absturz tut so weh. Er hat uns so zerstört, dass wir uns nicht wiedererkennen können. Can kann mich nicht wiedererkennen, weil er krank ist und ich kann Can nicht mehr ganz wiedererkennen, weil er krank ist. Trotz seiner Krankheit kann ich ihn wiedererkennen - ich widerspreche mir und wiederhole mich, weil ich an nichts anderes denken kann. Ich dachte, dass Liebe dafür sorgt, dass man alles akzeptiert, solange es dem anderen guttut. Jedes Mal, wenn mir Cans gelben Augen in den Sinn kommen, schmerzt es. Dieser Weg muss endlich enden, denn ich laufe über Lava. Die Fragen, die ich habe, kann ich mir jetzt selber beantworten, aber die Antworten sind pures Gift für meine Psyche. Ob ich schon stumpf bin, weil ich so traurig und deprimiert bin? Dieses Stumpfsein würde mir vielleicht guttun.

Die letzten Tage an der Uni vergingen langsam, aber still. Jessica hat mich zum Glück nicht ausgefragt und Aleyna ist auch nicht gekommen. Aykan ist sowieso weg vom Fenster und hoffentlich fällt er mit Aleyna dort hinunter. Das alles hätte nicht passieren müssen, wenn ich einfach nicht mit Aykan geredet hätte. Seit wann bin ich überhaupt so empathisch geworden? Wäre ich noch wie früher, dann hätte ich den Fakt einfach ignoriert, dass Aykan mich liebt. Ich will wieder wie früher werden und diese Tage habe ich das auch gut hingekriegt. Ich habe mit meiner Mimik geredet, weswegen mich viele eingebildet angeschaut haben, aber das interessiert mich nicht. Wenn sie ein Problem haben, dann können sie ja gerne zu mir kommen. Ob ich sie dabei ernst nehmen werde ist eine andere Sache. Ich sollte eigentlich schlafen, aber die Tage sind für mich allesamt Nächte, die nicht enden. Kalte, dunkle Nächte, voller Trostlosigkeit und mentalem Tod. Warum konnte Can nicht einfach bleiben? Warum habe ich losgelassen? War ich zu schwach? Nein, das kann nicht sein. Ich bin geblieben, als er die schlimmen Dinge getan hat. In meinen Augen waren wir noch zusammen, deswegen habe ich alles stumm hingenommen, aber als er mir das mit Aleyna erzählt hat, hat es mir gereicht. Ich müsste eigentlich aufhören an ihn zu denken, aber es wäre eine Gabe Gottes, wenn ich alles mit einem Lächeln hinnehmen könnte. Er hat meinen letzten Atemzug in der Hand und nutzt ihn aus. Weiß er überhaupt, was er in mir anstellt? Wie sehr er mich foltert? Weiß er, wie sehr ich leide und wie sehr ich alles wieder rückgängig machen würde, nur damit ich wieder seine Hand halten darf, ohne dass er denkt, dass er brennt?

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