Kapitel 88

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Finding Hope - 3:00 AM

Freitag, 24. Oktober

Can

"So, Can. Wie geht es Ihnen heute?" Ich zucke mit meinen Schultern. Ich fühle mich komisch hier, auch, wenn mir der Therapeut sympathisch ist. Vielleicht liegt es daran, dass es hier so ruhig wirkt. "Ganz gut", murmele ich. Meine Daumen fahren über das kleine Bild. "Deine Ehefrau ist auch wieder dabei?" Er lächelt leicht und ich muss auch lächeln. Auf dem Bild grinst Shana in die Kamera, die Soße des Burgers trieft ihre Hand hinab und es hängt ihr sogar ein wenig Soße an der Nase. "Wir hatten ja die erste Probesitzung und jetzt kommen noch fünf weitere probatorische Sitzungen. Ich werde Ihnen Fragen stellen und hoffe, dass Sie mir eventuell noch mehr erzählen. Das erste Mal war es recht ruhig." Ich nicke. Das kriege ich sicherlich hin. "Ich-, ähm, ich soll darüber reden, dass ich mich manchmal betrinke, wenn ich wieder diese Selbstzweifel habe und dass ich es verabscheue, wenn man meine Narbe anfasst." War das überhaupt so richtig? Oder müsste ich erst warten, bis Dr. Al-Kon mir eine Frage stellt? Er schreibt sich etwas auf und blickt dann zu mir. "Sie sollen? Wer sagt das?" "Shana sagt das. Sie möchte, dass ich all meine Probleme anspreche, damit ich auch wirklich in jedem Sinne geheilt werde." Er nickt und notiert sich wieder etwas. "Selbstzweifel haben Sie weswegen?" Ich brumme leicht. Gerade fiel es mir doch so einfach. Nicht zittern, nicht zittern. "Unfall, Unfall, Autounfall", flüstere ich verwirrt, als ich mir den Kopf kratze. Wieder notiert er sich etwas. Er notiert sich viel. "Sie wiederholen zweimal das Wort Unfall, bevor sie es ganz aussprechen. Hat dies einen bestimmten Hintergrund? Es hat etwas Kindliches an sich", meint er. Ich ziehe die Augenbrauen zusammen. Was soll das heißen?! "Ich war auch ein Kind", äußere ich leicht wütend. "Ganz ruhig, das war nicht böse gemeint. Das Kommentieren gehört zu meinen Aufgaben und dient nicht zur Verachtung Ihrer Persönlichkeit." "Ich will geduzt werden", murre ich. Der Doktor nickt. Dieses Sitzen nervt mich.

"Gut, Can, so gut?" Ich nicke. Shana würde mir sicherlich in die Seite kneifen, wenn sie hier wäre, deswegen tue ich es selber. Dr. Al-Kon beobachtet mich dabei und zeigt danach mit dem Stift auf mich. "Wieso hast du das getan?" "Das hätte Shana sicherlich gemacht, weil ich gemein zu Ihnen war", antworte ich. "Shana hat einen großen Einfluss auf dich?" Ich nicke. "Sie ist meine Frau, meine erste und große Liebe, der ich vertraue. Ich mache diese Therapie ja nur für sie. Sie hat oft wegen mir geweint... das hat mir wehgetan." Ich murmele leicht und leise, fahre über das kleine Bild. "Manchmal kam es auch zu Panikattacken." "Du hattest Panikattaken, als du deine Frau weinen gesehen hast?" Ich schüttele den Kopf. "Immer bin ich dadurch aufgewacht und wenn nicht, dann waren es Albträume. Ich werde sozusagen von meinen Dämonen dafür bestraft." Verstehend nickt er, und er nickt einige Male wieder, als er sich etwas Langes aufschreibt. "Ich würde gerne wieder auf den Autounfall zurückkommen, den du als Kind erlebt hast. Weißt du noch wie alt du warst?" Nicht. Zittern! Ich muss mich echt zurückhalten, nicht zu schreien. Angestrengt sehe ich ihn an, er versteht sofort. "Du bist nicht bereit darüber zu reden, das verstehe ich, aber dir muss im Klaren sein, dass du es irgendeinmal tun musst, damit wir weiterkommen." Ich lege meine Hände auf meine Knie und atme tief durch. Das kann ich nicht alleine sagen, Shana muss bei mir sein. "Ich werde es nur sagen können, wenn meine Frau bei mir ist. Nur sie kann mir dabei Sicherheit geben." Angestrengt schlucke ich. Nein, das ist zu viel für mich. "Dann würde ich es bevorzugen, wenn sie bei der nächsten Sitzung dabei ist, sodass ich deine Hintergrundgeschichte voll und ganz kennenlerne." Aber ich will es nicht sagen! Ich habe doch damit abgeschlossen! Dann wärst du nicht hier.

"Can, ist alles in Ordnung?" Das fragt mich Shana auch öfters. "Du erscheinst mir so, als wärst du zurückgeschleudert worden." Angestrengt sehe ich ihn an. "Das ist ein schwieriges Thema", presse ich hervor. Meine Augen tränen leicht, ich schüttele den Kopf. "Hat es damit angefangen?" Ich nicke. "Könnten Sie mir andere Fragen stellen? Ohne Shana bin ich nicht in der Lage dazu." Ich schaue mich im weißen Zimmer um, in der Ecke ist eine Pflanze, die mich an Shelly erinnert. Sie sieht genauso aus, wie Shelly. "Ist das eine Zwergdattelpalme?", frage ich leise. Er schaut zur Pflanze und nickt. "Kennst du dich mit Pflanzen aus?" Ich schüttele den Kopf. "Einmal hat Shana gesagt, dass sie mich heiraten würde, wenn ich ihr eine Palme schenke. Sie mag Palmen." Sie war so glücklich, als ich ihr die Palme geschenkt habe. Sie ist so süß, so wertvoll. "Und danach kam die Hochzeit?" Schnaubend schüttele ich den Kopf. Danach kam der Hurensohn Aykan. "Danach kam die Trennung." Ich spanne meinen Kiefer an. "Ich habe ihr wehgetan." "Wie?" Wenn ich wieder daran denke, will ich Dinge zerschmettern. Mein Bein wippt vor Aufregung. "Ich habe ihr wehgetan, ich habe sie an den Haaren-," Ich halte mir die Hände vors Gesicht. Wieso ist das passiert? "Häusliche Gewalt?" "Ich hatte mich nicht unter Kontrolle! Ich hatte zu der Zeit zwei Tumore! Die Amygdala war unter anderem betroffen, ich kann ihr nicht wehtun!" Was für eine verdammte Last das doch ist. "Ich konnte ihr nie wehtun, das war immer wer anders. Ich liebe meine Shana doch, ich will sie nie anschreien, ich will nie aggressiv werden und ihr Angst machen", murmele ich verzweifelt. Das Bild liegt auf dem Boden. Da sollte es nicht liegen. Schnell hebe ich es auf und wische mit meinem Daumen drüber.

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