Kapitel 78

91.5K 1.6K 371
                                    

Stan Walker - Find You

Ich werde mitten in der Nacht wach, als ich schmerzhafte Schreie höre, leidende Schreie. Can strampelt neben mir wild herum, meine Alarmglocken schlagen laut auf, schnell schalte ich die Wandlampen an. Was ist los mit ihm? "Bitte", schreit er. Ich rüttele mit erhöhtem Herzschlag an seinen Schultern, versuche ihn aus seinem Leid zu befreien. Was ist passiert? "Can, du musst ruhig bleiben." Ich habe ihn so lange nicht mehr so aufgebracht gesehen. Er reißt seine Augen auf, seine Brust hebt sich gewaltig stark. "Ich bin nicht brutal, ich bin nicht brutal!", kommt es schreiend und flehend von ihm. Seine Augen sind mit Tränen gefüllt, meine auch. "Can, alles ist in Ordnung." Panisch blickt er sich um, schlägt meine Hände weg und zieht an seinen Haaren. "Ich will nicht, ich will das nicht!" Er hustet und schreit leidend. Meine Hände zittern, mein Herz pocht, ich weiß nicht, was ich tun soll. "Can, bitte", flüstere ich. Vorsichtig hebe ich Can an, damit er sitzen kann. Sein Rücken ist warm und verschwitzt. "Can, niemand tut dir etwas." Er schüttelt seinen Kopf. "Ich will das nicht machen, ich will nichts tun." Er ist außer Atem, er weiß nicht, was gerade mit ihm passiert. "Can, du musst nichts tun." Meine Stimme ist heiser, weil er leidet. Wild schüttelt er seinen Kopf, einige Schweißtropfen treffen mein Gesicht. Wie lange ist Can in diesem Zustand? "Das ist alles meine Schuld", kommt es brüchig von ihm. Mein Herz bricht, meine Tränen fallen aus meinen Augen. "Nein, Can", flüstere ich. Langsam stehe ich auf und nehme vorsichtig seine Hände. Sie zittern und sind nass, Can muss in einer Art Panikattacke sein. Ich sehe, dass seine Beine zittern, er kann nicht richtig laufen. Vorsichtig nähere ich mich ihm, suche nach der Erlaubnis in seinen verängstigen Augen, stütze seinen warmen und verschwitzen Körper ab und laufe ins Bad. Can mag Wasser, das beruhigt ihn.

Da wir schon in Unterwäsche sind, steigen wir direkt in die Wanne und setzen uns auf den Boden. Hat Can Platzangst? Ich hoffe nicht. "Es ist alles gut, Can", versichere ich ihm, schalte langsam das Wasser an und lege den Duschkopf auf seinen Schoß. Er schaut auf das springende Wasser, seine Brust bewegt sich langsamer, Can kommt mir wieder wie ein kleiner, hilfloser Junge vor. Seine Beine sind ausgestreckt, meine angezogen, er soll sich nicht belasten. Beruhigend fahre ich seine Beine auf und ab, beobachte, wie er wie gebannt auf das Wasser schaut, sehr wenig blinzelt und sich langsam beruhigt. Was hat die Panikattacke ausgelöst? War es wegen meiner vermeintlichen Angst? Can hat des Öfteren wegen negativen Aussagen von mir Albträume bekommen, ich beeinflusse ihn stark. In meinem Brustkorb, genau am Solar Plexus, baut sich Druck wegen seiner Angst auf. Es ist so verdammt schwer, vorsichtig zu reden, wenn man nicht immer etwas Positives zu seinem Gegenüber sagen kann, wenn dieser es wie eine Droge aufnimmt und an ihr zerfällt. Langsam nehme ich den Duschkopf an mich und wasche sein Haar, sage dabei das Al-Fatiha auf. Ob es legitim ist, dass ich das in so knapper Kleidung aufsagen darf, weiß ich nicht, aber es ist zu Cans Gunsten, es beruhigt ihn. "Alles ist gut", flüstere ich, fahre beruhigend durch sein dichtes Haar und massiere seine Kopfhaut mit Shampoo. Sein Kopf ist an meinem Bauch angelehnt, meine Hand krault seinen Hinterkopf und seinen Nacken. Ich hoffe, es geht ihm besser.

Das Duschgel nehme ich zur Hand und seife langsam seinen Oberkörper und seinen Rücken ein, nur unten nicht, wo seine Narbe die Grenze durchzieht. Ich massiere seinen Oberarm und sehe in sein leeres Gesicht, welches auf das Wasser schaut. Seine Gedanken sind bestimmt in einem Chaos, meine drehen sich nur um ihn. Sein Anblick lässt mich wieder ganz sensibel werden, doch ich reiße mich zusammen und massiere den anderen Arm. "So gut?", frage ich. Kaum erkennbar nickt er. Seufzend küsse ich seine Schläfe und massiere seine Hand. Ist er schon in der Lage, um mit mir zu reden? Er sieht nicht so aus. Wie geht es ihm? Hat er Hunger oder Durst? Er wirkt kaputt und müde. Den Schaum wasche ich von seinem Körper und fülle die Wanne ein wenig auf, vielleicht fühlt Can sich durch das Wasser sicherer. Kann ich ihn denn nicht schützen? Nein, ich bin doch dafür verantwortlich. Ich erschaudere. Stimmt das? Ist es meine Schuld? Ich kann doch nichts dafür, dass mich die Vergangenheit so mitgenommen hat, ich kann doch nichts dafür, dass ich dachte, dass ich damit klarkomme, es jedoch nicht ganz so ist. "Soll ich dir etwas holen?" Langsam schüttelt er den Kopf. Was könnte ich für Can bloß tun? Unter dem Wasser bewegt er langsam seine Hände vor und zurück, er ist in einer anderen Welt. Vielleicht möchte er alleine sein. Langsam und unsicher will ich aus dem Wasser steigen, als Can sich an mich schmeißt und heftig den Kopf schüttelt. "Nein, nein, bitte nicht, nein, bitte." Ängstlich sieht er mich an, legt seine Hände auf meine Wangen und schreit mit seinen Augen, dass ich ihn nicht verlassen soll. Ich nicke mit Tränen in den Augen.

AkzeptanzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt