Kapitel 98

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Peter Manos - In My Head

Montag, 1. April

Ich laufe in das Zimmer rein, wo viele Frauen in einem Stuhlkreis beisammensitzen. Es ist wie eine Selbsthilfegruppe. Alle schauen mich abwartend an, ich räuspere mich. "Er war ein guter Mann." Viele Frauen nicken. Ich fahre mir über meinen schwarzen Rock. "Er wollte mir nie Schlechtes antun. Er konnte nichts für sein Leid." Ich atme tief durch. "Er war immer für mich da, er hat mich in seinen Armen gehalten und mich beschützt. Er war ein guter Ehemann." Unwillkürlich schluchzte ich. "Es ging alles zu schnell, er ging zu schnell." Mein Herz schmerzt so stark, ich muss es mir halten. "Er soll zurück! Komm zurück!" Immer wieder schlage ich mir gegen die Brust. "Vier Monate ist er weg, er soll wieder zu mir kommen!" Mein Herz schmerzt stärker, ich schreie. Eine Frau mit dicken, dunkelbraunen Haaren umarmt mich. Es ist Shevin. Alle Frauen, die ich durch ihn richtig kennengelernt habe, sitzen hier. Seine Mutter, Derya, Helin, ihre Mutter, Elif, Aleyna, Doris! Sie blickt mich mit einem traurigen Lächeln an. Ich weine stärker. Ich winde mich. "Er liebt mich doch! Wieso hilft er mir nicht?", schreie ich. Der Raum ist so kahl, so trüb, so grau. Ich höre Herzschläge. Laute Herzschläge. Das sind seine Herzschläge! Unruhig schaue ich mich um. Shevin hält meine Hand, dreht mein Gesicht zu sich, wischt mir die Tränen weg. "Bald ist es vorbei." Ich schüttele hysterisch den Kopf. Mein Herz schmerzt wieder so stark. Es schmerzt, wie bei einem Herzanfall. Wo ist er? Wieso beschützt er mich nicht vor diesen Schmerzen? Es tut so verdammt weh. "Wo ist er? Wann kommt er zurück?", weine ich. Cans Mutter schluchzt. Derya tröstet die. Aleyna schaut monoton auf den Boden. Ihr Gesicht wird von einem großen Bluterguss bedeckt. Helin und ihre Mutter grinsen wölfisch. Doris schaut traurig. Eine Hand legt sich auf meine Schulter, ich drehe mich sofort um. Alles ist schwarz. "CAN!"

Erschrocken zucke ich zusammen. Herr im Himmel, was war das? Mein Herz rast. Ich drehe mich zur Seite, er schaut besorgt. "Komm her", sagt Can ganz sanft. Seufzend lasse ich mich in seine Arme fallen. Meine Tränen kommen mir auf. Was hat das zu bedeuten? Wieso habe ich das geträumt? Tief atme ich seinen Duft ein, fahre seinen warmen Oberkörper. Er ist nicht weg, er ist bei mir. Can ist nicht weg, Can ist bei mir. Unruhig kreuze und öffne ich meine Füße. Wieso habe ich das geträumt? "Was hast du geträumt?" Wieso ist Can wach? Ich unterdrücke mir mit Mühe meine Tränen, die ich dann trotzdem rauslasse. "Hey, ganz ruhig", flüstert Can. Eine Hand legt er auf meinen Hinterkopf, während die andere über meinen Rücken fährt. Sollte ich zum Kardiologen? Ich habe diese Schmerzen wirklich spüren können. Wieso waren Aleyna, Helin und ihre Mutter in meinem Traum? Wollen sie sich an mir rächen? Nein, das lasse ich nicht zu. Ich beruhige mich von den Nebenwirkungen des Traums und atme tief durch. "Was hast du geträumt?" Can krault meine Kopfhaut. Das entspannt mich ungemein. Ich will irgendwie nicht darüber reden. Was war das für ein skurriler Traum? "Willst du etwas trinken? Soll ich dir Kakao machen?" Seine sanfte Stimme ist Balsam für mich. Ich nicke schniefend. Can küsst meine Schläfe, schaltet die Wandlampen an und geht in die Küche. Wow, dieser Traum war einfach nur wow. Er ist fragenaufrufend und verwirrend. Schwarzer Rock, Vergangenheitsform... um Gottes Willen! War Can in meinem Traum tot? Nein, das heißt doch nichts Gutes! Was passiert mit Can?! Nein, Can wird nichts passieren - Gott bewahre ihn bitte davor! Ich will mir nicht zu viele Sorgen machen, aber wie soll ich es einfach so hinnehmen, wenn mein Ehemann in meinem Traum tot war? Ich fahre mir seufzend über mein Gesicht.

Als Can wiederkommt, gibt er mir die Tasse und küsst meine Schläfe. "Wieso bist du wach?", frage ich, nippe dann am Kakao. Er zieht scharf die Luft ein. "Deine Laktose-," "Wieso bist du wach?" Ich drücke mich an ihn. Can ist hier, Can ist nicht fort. "Du hast im Schlaf nach mir gegriffen, ziemlich fest. Meine Brust ist rot geworden." Ouh. Sanft fahre ich über seine Brust. Wollte ich seinen Herzschlag spüren? Komisch, ich hatte im Traum Brustschmerzen. Das ist doch verrückt. "Was hast du geträumt?" Ich trinke meinen Kakao, murre danach leise. "Ich war in einem Raum mit deinen Schwestern, deiner Mutter, Elif, Aleyna, Helin und ihrer Mutter und sogar Doris. Ich hatte einen schwarzen Rock an und hab die ganze Zeit von Er gesprochen. Er war so und er hat dies getan und ich hatte Brustschmerzen im Traum, ganz verrückt." Wenn ich wieder an diesen komischen Traum denke, spüre ich eine stechende Gänsehaut an meinen Beinen. "Kannst du dich nicht an mehr erinnern?", hakt Can sanft nach. "Doch", seufze ich. "Deine Mutter hat geweint, Aleyna hatte einen großen Bluterguss im Gesicht und jemand hat eine Hand auf meine Schulter gelegt. Es wurde schwarz, ich habe deinen Namen geschrien und dann wurde ich wach." Ich atme tief durch, genieße seine große Hand, die meinen Arm auf und ab streicht. "Hast du von mir gesprochen?" Ich zucke mit den Schultern. "Ich glaube schon. Ich habe deinen Namen aber nicht bei der Erzählung erwähnt. Aber es könnte passen." Etwas müde schließe ich die Augen, will einfach nur an seine Wärme und seine Berührungen denken. "Kannst du wieder einschlafen?" Schulterzuckend trinke ich einen weiteren Schluck. "Wenn du müde bist, dann schlaf ruhig." Er verneint es. "Ich bleibe solange wach, bis ich einschlafe." Er entlockt mir ein Schmunzeln. "Wenn du müde bist, dann geht das sicherlich schnell." Den Kakao trinke ich aus und lege mich hin.

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