Kapitel 20

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Isabella Gonzalez - Into You

Montag, 31. Juli

Ich bin seit fast einer Woche noch in Hamburg. Viele Notizen habe ich mir gemacht und werde sie im Laufe der Zeit, die ich bei meinen Eltern verbringen werde, als Text verfassen, sodass ich abgelenkt bin. Can ist seit Sonntag, glaube ich, wieder draußen. Ich weiß es nicht so ganz, weil ich anderweitig beschäftigt war. Ich muss schon zugeben, dass mein Leben noch nie so aufregend war: ich wurde indirekt bedroht, wurde fast geschlagen und vergewaltigt. Ich brauche Liebe und werde immer stumpfer, je mehr Hass und Abscheu auf mich prallt. Can hat sich nicht gemeldet. Ob er wohl darüber nachgedacht hat? Ich habe mir vorgenommen, wieder ambitiöser zu sein, obwohl... nein, das ist der falsche Begriff oder doch nicht? Ich bin durch die Liebe weicher und emphatischer geworden und muss eben wieder ein Stück von diesem Gegenteil zurückbekommen und wieder wie mein altes Ich aus der Oberstufe sein. Aber wenn ich Can zurückbekommen würde, dann würde ich das sein lassen. Aber ich kriege Can nicht zurück - nicht jetzt zumindest. Aber vielleicht sollte ich nicht so pessimistisch sein, denn Can hat mit mir geredet - auch wenn er betrunken war. Aber im Gefängnis war er nüchtern und mehr oder weniger willig zu sprechen. Das mit dem Anfassen wird vielleicht doch noch etwas. Pessimistisch, bin ich das noch? Ich meine, ich kämpfe um Can und das, obwohl er mich fast schlagen und nötigen wollte. Er hat auch zwei andere Frauen vor meinen Augen geküsst, aber zu dem Zeitpunkt waren wir ja schon getrennt. Zählt das immer noch als Betrug? Mein Herz und meine Seele fühlen sich betrogen, aber der Fakt, der besagt, dass wir kein Paar mehr sind, dementiert das Ganze nun mal. Trotzdem tut es immer noch weh, wenn ich daran denke.

Seufzend packe ich die Petrischalen und die Reagenzgläser weg, als meine Mischung nicht angeschlagen hat und packe meine Sachen zusammen, als ich mir meine Notizen aufgeschrieben habe. Lustlos schleife ich mich durch die großen und langen Flure. Gleich muss ich packen, da ich heute noch zu meinen Eltern fahren werde, die sehnsüchtig auf mich warten. "Shana." Ich drehe mich nicht um, als ich seine ekelige Stimme höre. "Shana, bitte!" Erbost drehe ich mich zu Aykan, der mich mit seinen grünen Augen nervös mustert. Wieso zum Teufel ist er nervös? Er hat mich doch geküsst, der Dreiste. Wie kann er jetzt dann noch nervös sein? "Was?", blaffe ich. "Lass uns bitte mit diesem Schweigen aufhören." Das ist doch nicht sein gottverdammter Ernst?! Ich verspanne mich und atme tief durch. "Du hast mein Leben zerstört, ist dir das etwa immer noch nicht klar oder was?", zische ich und gestikuliere wild herum. Nach Tagen zeige ich mal wieder Emotionen und bewege mich jetzt viel mehr, als in den Tagen davor zusammen. Er kratzt sich seinen Nacken und seufzt. Aykan soll nicht seufzen! "Shana, es tut mir doch leid." "Tut es nicht! Du hättest es nicht tun sollen! Als ob ich es erwidert hätte. Wenn ich dir schon beibringen will, dass ich nichts für dich empfinde, dann kann du keine verfickte Taktik aus einem Buch oder Film nehmen und mich an dich ziehen, in der Hoffnung, dass ich es dann auch spüre und den Kuss erwidere, wenn ich glücklich an jemanden vergeben war, den ich sogar heiraten wollte", gebe ich zynisch von mir. Kann dieser Typ nicht klar denken?

"Aber..." Er beendet seinen Satz nicht. "Was?", fauche ich. Dieser Junge regt mich so auf! Wieso habe ich ihm vertraut? Da habe ich einer Person einmal vertraut und keine Vorurteile gegen ihn gehegt und gepflegt und schon ist er das Miststück des Jahrtausends. "Er hat dir doch sowieso nicht gutgetan." Ich schreie innerlich und scheuere ihm eine. Ich konnte mich gerade einfach nicht kontrollieren, sowie Can es des Öfteren auch nicht kann. "Sag nie wieder etwas über Can oder mich, hast du mich verstanden?", zische ich und gehe dann raus aus der Uni, wo ich unser Auto unter den wenigen auf dem Parkplatz erkenne. Erzürnt setze ich mich ins Auto und schnalle mich an. Reden tue ich nicht. Wieso sollte ich auch? Wenn dann rede ich mit Ramazan darüber. Schnell kommen wir bei mir an, wo ich sofort mit dem Packen anfange. Ich will schnell weg von hier und dort in meinem alten Zimmer, in meinem alten Bett liegen und über neue Sachen nachdenken und diese vielleicht dann auch praktizieren. Cans T-Shirt packe ich noch mit ein, als ich dann fertig bin und von Ranja gefahren werde. Reden tun wir nicht wirklich. Worüber sollten wir denn auch bitte reden? Über Cans aggressives und fragwürdiges Verhalten? Über mich? Wie ich das nur aushalten kann? Ich weiß es nicht. Wie halte ich das nur aus? Ich war zwar immer einer der geduldigeren Menschen gewesen, aber sowas habe ich noch nie erlebt. Can müsste ich jetzt in einem komplett anderem Licht sehen. Das tue ich schon, aber nur zum Teil. Er ist immer noch der einfühlsame Junge, der sich um mich sorgt, nur zeigt er es nicht mehr, weil er verletzt ist. Can ist immer noch der beschützende Junge, auch wenn er mich angreifen wollte. Can ist immer noch der Junge, den ich liebe und den ich heiraten möchte.

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