Kapitel 19

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Parson James - Waiting Games

Donnerstag, 25. Juli

Ich schaue in den Spiegel, was sehe ich? Ich sehe mich - logischerweise. Ich sehe mich in dünner und monoton. Mein Gesicht strahlt nichts Einladendes aus, meine Wangen sind nicht mehr so prall, wie sie einmal waren. Mein Gesicht wirkt blasser, aber wenigstens habe ich längeres Haar jetzt. Nach Jahren ist es mir endlich gelungen, sie so lange wachsen zu lassen, dass sie unter meine Brust gehen. Das ist doch schön. Meinen Unterarm habe ich gekühlt, trotzdem ist er jetzt etwas bläulich geworden. Soll ich Can deswegen hassen? Er wollte Cihan treffen und nicht mich... Can hat aber auch nach mir ausgeholt. Seufzend schließe ich meine Augen. Saliha und Ranja sind zurück, ich hätte auch alleine bleiben können. Das Schlimmste habe ich ja überlebt, Soufian ist im Knast und Can auch. Can ist im Gefängnis und dass für drei weitere Tage. Man hätte ihn auch auf Kaution freilassen können, aber Ramazan und Malik wollten, dass er drinnen bleibt. Vielleicht kommt er ja so etwas zur Vernunft. Ich werde ihn heute besuchen gehen, aber davor gehe ich Cihan besuchen. Nach seinem Anfall soll er für zwei Tage im Krankenhaus bleiben, damit sie Tests durchführen können. Ich hoffe, es geht Cihan gut. Seit gestern bin ich auch verstummt. Ich habe keine Kraft, um zu reden. Saliha und Ranja werde ich nicht sagen, was sich die Tage abgespielt hat. Ob Saliha mitbekommen hat, dass Can sich an mir vergehen wollte? Sie war ja bei Malik, als Ramazan Can angeschrien hat. Vielleicht ist Saliha ja auch im Zimmer geblieben, als Malik zu Ramazan und Can ins andere Zimmer gegangen ist. Das kann gut möglich sein, aber ich weiß es nicht. Vielleicht war sie ja gar nicht da.

Mit Ranja laufe ich still zum Auto. Sie fährt mich ins Krankenhaus, woraufhin ich von Ramazan dort abgeholt werde, damit wir ins JVA fahren können. Ich betrete das Krankenhaus und fahre auf die Herz-Station, wo Cihan im Zimmer 5B liegt. Elif ist bei ihm. Langsam trete ich hinein und schließe die Tür. Ich kann gerade nichts fühlen und wenig denken. Gestern war ein schlimmer Tag. "Wie geht es dir?", frage ich monoton. Ich hatte echt viel Mühe, diese Frage nicht als normalen Satz zu sagen. "Gut und dir?" Ich zucke mit meinen Schultern. Ich weiß es nicht. Ich fühle mich anders. "Was hat der Kardiologe gesagt?", frage ich und setze mich auf einen der drei Stühle an dem kleinen Holztisch in der Ecke. "Bis jetzt meinte er, dass das Herz etwas überlastet wurde, es sich aber wieder beruhigt. Ich darf diese Woche keine Arbeit praktizieren und muss jeden Tag spazieren gehen. Ich muss aber noch auf weitere Ergebnisse warten." Ich nicke. Hoffentlich wird es nicht noch schlimmer und er kriegt so schnell wie möglich ein Spenderherz. Es wird still, als Cihan nach meinem Unterarm greift und das Oberteil hochzieht. Ich verspanne mich, genau wie er, als er die Prellungen sieht. Schnell ziehe ich den Arm zurück und ziehe mein Oberteil runter. "Shana", presst Cihan leicht hervor. Ich weiß doch, wie mein Arm aussieht. Es war nur ein Unfall. "Halt dich von Can fern, bitte." Ich kann nicht, so gerne ich es auch will. "Ich versuche es", murmele ich. Ich gehe ihn ja heute besuchen und dann werde ich mich sicher fernhalten. Dann gehe ich einfach zu meinen Eltern für die restlichen Ferien und habe meine Ruhe - für eine bestimmte Zeit.

Als ich das Krankenhaus verlasse, steht Ramazans Auto auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Schweigend steige ich ein und werde nervös. Ramazan kann nicht viel mitbekommen haben. "Erzähl, Shana. Ich will jedes Detail wissen." Bei Ramazan kann ich mich öffnen. Er hat mich schon in den verschiedensten Szenarien gesehen. "Er war gestern bei mir", setze ich flüsternd an. "Es war eigentlich gut. Wir haben normal geredet, das hat mich sehr gefreut. Als dann Cihan aus der Tür trat, ist er ausgerastet und hat mit dem Gürtel um sich geschlagen." "Wollte er dich treffen?" Ich halte kurz inne. "Ja", flüstere ich. "Hat er es getan?", presst Ramazan hervor und fährt sichtlich schneller. "Aus Versehen." "Wie trifft man aus Versehen jemanden, den man treffen wollte, Shana?!", blafft er laut. Ich erlebe ihn so zum ersten Mal. "Er wollte Cihan treffen und ich wollte ihn abhalten. Dann ist der Gürtel gegen meinen Unterarm gekommen. Es gab eine heftige Kloppe, bis dann Polizei und Krankenwagen eintrafen." Ramazan seufzt resigniert. Wie lange wohl dieses Schweigen, dieses Unwissen anhalten wird? Wann werden Can die Augen geöffnet? Wie lange muss ich warten? Die Fahrt verläuft still. Redebedarf besitze ich nicht, dementsprechend kommt mir die Fahrt länger vor, doch auch sie findet ein Ende, sodass wir vor dem JVA Gebäude stehen, welches mit seinen Ziegelsteinen, die das Gebäude ausmachen, wenig Komfort ausstrahlt. Wir betreten das Gebäude und werden gebeten zu warten, als wir in einem Raum sitzen. Ich fühle mich etwas unwohl und es pocht auch etwas in der Brust, aber das kenne ich ja schon - es ist zur Routine geworden.

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