Kapitel 18

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MIIA - Dynastie

Mittwoch, 24. Juli

Es ist etwas gewöhnungsbedürftig, dass Cihan und Elif hier sind, aber es ist eigentlich ganz nett - wenigstens habe ich Gesellschaft. Ich habe ihnen klargemacht, dass sie auch raus dürfen und das alleine, aber sie wollen lieber bei mir bleiben. Ob ich ihnen einfach zu sympathisch bin oder ob sie einfach nur Mitleid haben, weiß ich nicht. Ich sollte nachfragen. Es ist sowieso nur Mitleid und vielleicht auch eine Sicherheitsmaßnahme, die von Cihan kommt - da bin ich mir ziemlich sicher. Can hat sich nicht gemeldet. Was mit ihm passiert ist, weiß ich nicht. Ich denke aber nicht, dass Ramazan zugeschlagen hätte. Ob er ihn wenigstens zum Arzt gebracht hat? Hoffentlich. Can hat vergessen, dass er mir mein T-Shirt aufgerissen hat und mit mir schlafen wollte - er wollte mich nötigen. Wie mild soll ich den Fehler jetzt machen? Ich darf die Größe des Fehlers nicht minimieren, trotzdem tut es ein Teil von mir. Kommt irgendwann einmal die Antwort auf meine Fragen? Wie lange werde ich das noch durchstehen? Müsste ich mich nicht komplett von Can losbinden? Er wollte mich schlagen, hat es fast getan und wollte sich an mir vergehen. Müsste ich nicht aufhören, Can zu lieben, statt die ganze Zeit weiter zu brennen? Ich gieße Shelly und schaue sie mir an. Seine Stimme ist in meinem Kopf. So schön, so melodisch, so sanft, jedoch rau. Er verfolgt mich, mental und psychisch. Aber mehrmals mental. Ich würde ihn so gerne hier fesseln, damit er mir zuhört. Ich muss seinen Kopf öffnen und mir angucken, was da nicht stimmt.

Seufzend bringe ich die Schüssel zurück in die Küche und setze mich ins Wohnzimmer. Elif ist auf der Arbeit und Cihan arbeitet neben dem Studium. Alleine zu sein macht mir sowieso nichts. Ich verstehe Ranja und Saliha nicht so ganz. Okay, es wurde eingebrochen, aber letztendlich bin ich das eigentliche Opfer und nicht sie. Ich bin hiergeblieben, obwohl mir etwas Schlimmes passiert ist. Wenn sie jedoch anderer Meinung sind, dann kann ich es ja auch nicht ändern, nun denn. Soll ich ins Labor? Aber was soll ich da? Bis eine bestimmte Säure, die einen zu langen Namen hat, aus dem Mittel entfernt wird, dauert etwas lange. Die Notizen habe ich zu Texten verfasst und sitze hobbylos auf dem Sofa. Hier ist nicht einmal Habib, den ich streicheln kann. Ich könnte auch etwas raus. Soll ich Marcel anschreiben? Ich weiß nicht so ganz. Die Sache mit Can ist mir etwas zu heikel, aber ich brauche Ablenkung. Etwas nervös nehme ich mir mein Handy und schreibe ihn an. Aber was ist, wenn sie keine Zeit haben? Mach einfach.

'Habt ihr Zeit?' Ich hätte vielleicht mit einem Hi anfangen können. Etwas mulmig brumme ich und kriege dann eine Antwort.

'Für dich doch immer, Schätzchen. Lass uns doch etwas Essen gehen. Ich kenne einen guten Italiener. Wir können dich abholen, wie wärs?' Hinter seinem Satz ist ein lächelnder Smiley, was mich leicht schmunzeln lässt.

'Gerne.' Ich kann nicht immer in der Wohnung hocken. Hoffentlich habe ich genügend Appetit.

Okay, was soll ich anziehen? In Hamburg ist es warm - logisch, wir haben Sommer. Ein Kleid? Ich weiß nicht so ganz. Vielleicht doch eine Jeans, ich bin nicht im Kleiderfieber. Mit meiner hellblauen Hollisterhose - Cans und meine Lieblingshose - und einem schulterfreien, schwarzen Oberteil, das mit einem Volant verziert ist, nehme ich mir meinen Highlighter zur Hand und trage ihn mir auf. Er glitzert so schön. Mein Handy gibt einen Laut von sich.

'Dann her mit der Adresse.' Ich schreibe, wo ich wohne, glätte mir dann die Haare und binde sie zu einem Zopf.

Solange die beiden brauchen, um hier her zu fahren, öffne ich das Fenster und setze mich auf die Fensterbank. Ich schaue auf die Straße und genieße die Wärme, die mich empfängt. Mir ist nicht ganz bewusst, was Can mir eigentlich alles angetan hat. Es waren bis jetzt nur drei Dinge, aber diese drei Dinge sind die Praktiken der Unmoral; Betrug, Gewalt und Nötigung. Obwohl... Can hat mich ja nicht wirklich geschlagen. Auch wenn wir nicht mehr laut Can zusammen sind, hat er mich betrogen - finde ich. Das ist paradox: er denkt, dass ich ihn betrogen habe, was ich aber nicht getan habe und betrügt mich deswegen, was er nicht als Betrug sieht, weil er laut seiner Definition keine Beziehung führt, obwohl ich diejenige war, die subjektiv gesehen, betrogen wurde. Was jetzt wohl mit diesem Soufian ist? Hat Can ihn sehr übel zugerichtet? Seine Hände sahen nicht gerade gesund aus. Als ich an vorgestern denke, zucke ich stark zusammen. Wieso sieht die Liebe bei anderen so leicht aus? Ist Can etwa nicht der Richtige für mich? Nein, das kann nicht sein. Es gibt keinen anderen für mich. Niemals könnte ich jemanden so sehr lieben, wie ich Can liebe. Ich sollte eigentlich nicht verzeihen, ich habe früher ironischer Weise nie verziehen, aber ich habe Can oft verziehen - vielleicht zu oft. Ich weiß nicht, ob ich ihm diese Fehler verzeihen kann, wenn wir irgendwann einmal wieder zu einander finden.

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