Kapitel 25

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Der Arzt stellte nun eine Maschine nach der anderen ab und man konnte regelrecht sehen, wie auch das letzte bisschen Leben noch aus seinem Körper verschwand. Den beiden Männern an ihrer Seite, machte das schwer zu schaffen. Das merkte sie. Sanft zog sie Liam noch etwas näher an sich und legte den anderen Arm um Sean, der mittlerweile in Tränen ausgebrochen war. Dann warf sie einen Blick auf Grace. Sie war vollkommen konzentriert auf ihren Mann und Diana erkannte, dass sie jetzt einen Moment brauchte, um damit klar zu kommen. Gleichzeitig merkte sie aber auch, wie schwer den beiden Männern jede weiter Sekunde in diesem Raum fiel.
"Kommt. Lasst uns gehen. Ich glaube eure Mutter braucht jetzt etwas Zeit für sich.", sagte sie und Grace warf ihr einen dankbaren Blick zu. So verließen sie nun den Raum und schließlich auch das Krankenhaus, um sich draußen auf eine Bank zu setzen. Noch immer hatte sie einen Arm um Liam gelegt und den anderen um Sean. Die Beiden brauchten jetzt einfach eine Stütze und gerade Sean hatte außer ihnen keinen mehr. Seine Mutter hatte momentan einfach nicht die Kraft, um ihm zu helfen. Sie musste erst einmal selber damit klar kommen.
Lange saßen sie einfach nur schweigend da und das Einzige, was zu hören war, war ein leises Schluchzen von Sean. Langsam beruhigte auch er sich allerdings wieder und es herrschte absolute Stille.
Irgendwann kam dann auch Grace zu ihnen und sie fuhren zu dem großen Bauernhof. Liams altes Zuhause. Hier hatte er 16 Jahre lang gewohnt, bevor er nach Amerika zog und Sean lebte noch heute hier. Es sah eigentlich alles aus, wie immer. Die Arbeiter kümmerten sich um die Tiere und alles andere, die Hühner liefen frei über den Hof und auch die Pferde galoppieren über die Koppeln, als wäre nichts passiert. Nur eine Sache fehlte. Der fröhliche Mann in der Latzhose und dem karierten Hemd, der sie gut gelaunt begrüßte. Das fehlte, denn dieser Mann würde sie nie wieder begrüßen. Er war tot.
Traurig stiegen sie nun aus und betraten das Haus. Auch hier war alles, wie sonst und Diana bezog zusammen mit Liam sein altes Zimmer. Wie immer. Alles war schon längst zu einem normalen Ablauf geworden. Dabei fehlte nun allerdings eine Person und das fiel Liam sehr schwer. Das sah sie ihm an.
Gemeinsam mit Sean gingen sie nun raus und gingen die übliche Runde über den Hof. Einmal alle Tiere begrüßen.
Bei der Pferdekoppel angekommen blieben sie schließlich stehen. Die Tiere kamen sofort zum Zaun galoppiert und ließen sich vertrauensvoll von ihnen kraulen. Sie wussten schon, dass Diana immer was dabei hatte und auch diesmal bekamen sie jeder eine Möhre.

Es wurde schon bald dunkel, als sie schließlich wieder rein gingen. Dort war Grace bereits am Kochen und Diana half ihr nun noch etwas, bevor sie schließlich gemeinsam etwas aßen. Noch immer sagte niemand etwas, bis Liam und Sean schließlich zu Bett gingen. Zurück blieb nur Diana, die noch ein paar Dinge zu erledigen hatte und Grace, die noch ein wenig aufräumte, bevor sie sich dann zu Diana setzte. Interessiert schaute sie zu, wie Diana einen Haufen fertiger Fotos verschickte und noch einige Mails beantwortete, bevor sie ihren Laptop dann aus machte und zur Seite legte. Schweigend saßen sie nun da, bis Grace sagte: "Danke, dass du dich so um meine Beiden kümmerst! Das bedeutet mir echt viel! Sie sind die Letzten, die ich noch habe."
"Kein Problem. Ich mach das gerne.", sagte Diana.
"Könntest du mir einen Gefallen tun?"
"Was denn?"
"Könntest du bitte gut auf Liam aufpassen und ihn die nächsten Tage nicht aus den Augen lassen? Ich hab schon gemerkt, dass er es nochmal versucht hat. Ich will nicht, dass er es schafft."
"Ich passe auf ihn auf. Versprochen! Ich kann dir nicht versprechen, dass er es nicht nochmal versucht, aber ich geb alles, um es zu verhindern. Ich hab Psychologie studiert. Ich kenne die Anzeichen alle. Das haben wir im Studium hoch und runter gemacht. Und mit Selbstmord kenn ich mich sowieso aus. Da hab ich damals haufenweise Bücher drüber gelesen und gehofft, dass ich sie danach verstehen kann. Das tu ich bis heute nicht, aber dafür kenne ich mich perfekt damit aus."
"Du glaubst gar nicht, wie glücklich ich bin, dass Liam jemanden gefunden hat, der ihn so gut versteht. Eine bessere Frau könnte ich mir für ihn gar nicht wünschen. Danke, dass du auf ihn auf passt! Vielen, vielen Dank!"
"Kein Problem. Er ist ja die meiste Zeit der, der auf mich aufpasst. Er ist es, der tagelang mein Geheule erträgt, wenn Jim wieder geht. Da kann ich ihm das so mal zurück geben."
"Das tust du jeden Tag. Glaub mir. Liam liebt dich über alles. Mit jeder Sekunde, die du mit ihm verbringst, gibst du ihm alles zurück. Ohne dich würde er jetzt garantiert nicht mehr leben. So glücklich, wie er jetzt mit dir ist, war er noch nie. Du glaubst gar nicht, wie viel du ihm gibst. Durch dich und Jim weiß er jetzt wieder, dass es sich lohnt zu leben. Hätte er euch damals bei dem Austausch nicht getroffen, hätte er es so lange versucht, bis er es irgendwann geschafft hätte."
"Moment mal. Hat er schon öfter versucht sich um zu bringen?"
"Ja. Ich hab ihm eigentlich versprochen niemals mehr mit jemanden darüber zu sprechen, aber ich denke dir kann ich vertrauen. Bitte sag ihm davon nichts!"
"Mach ich nicht. Was war damals?"
"Ich kann dir nicht erklären warum, aber er hatte damals schwere Depressionen. Unzählige Male hat er versucht sich um zu bringen und wir haben alle Psychologen in der Umgebung durch. Keiner konnte ihm so wirklich helfen, bis zu dem Austausch. Als er Jim kennen gelernt hat, hat er aus irgend einem Grund neuen Lebensmut geschöpft. Als er damals nach der einen Woche wieder kam, war er ein völlig neuer Mensch. Schon da hat er den Entschluss gefasst irgendwann zu euch zu ziehen. Ungefähr ein Jahr bevor er zu euch gezogen ist, ist dann meine Mutter gestorben. Da hat er es noch einmal versucht, aber danach ging es dann wieder. Er ist dann mit Jim zusammen gezogen und da ging es ihm relativ gut. Richtig leben tut er erst wieder, seit du bei ihnen wohnst. Du hast ihm gezeigt, dass es sich lohnt zu leben und das man auch nach schwierigen Erlebnissen und wirklich schweren Zeiten weiter leben kann. Als ihr damals zusammen gekommen seid, habe ich ihm zum ersten Mal wieder richtig glücklich gesehen."
"Okay. Das erklärt vieles. Deshalb zeigt er so deutliche Anzeichen für Depressionen und will zu keinem Psychologen."
"Du bist doch Psychologin. Kannst du das nicht wieder gerade biegen?"
"Ich bin keine Psychologin. Ich hab nur Psychologie studiert. Damit bin ich noch lange keine Psychologin."
"Kannst du ihn trotzdem vielleicht irgendwie wieder hin kriegen? Ich hab gerade echt Angst, dass das wieder anfängt, wie früher. Ich will nicht, dass er wieder in alte Muster verfällt!"
"Ich geb mein Bestes ihn irgendwie wieder hin zu kriegen. Wir könnten mal mit Lilly reden. Das ist eine alte Studienkollegin von mir. Die ist jetzt Psychologin und hat schon die schlimmsten Fälle wieder hin gekriegt.", meinte Diana nun und kramte ihr Handy hervor.
"Kannst du die denn jetzt anrufen? Es ist mitten in der Nacht!"
"Bei denen ist es acht Uhr abends. Die müsste noch wach sein."
Kurz darauf hatte sie Lilly auch schon am Telefon und sie unterhielten sich mit ihr. In Ruhe berichteten sie ihr über alles und sie half ihnen so gut, sie konnte. Jede Menge hilfreiche Tipps gab die Frau ihnen, bevor sie schließlich wieder auflegten. Grace war von den ganzen Fachbegriffen nun noch verwirrter, als vorher, aber Diana hatte sie verstanden und wusste nun, was zu tun war. Sie war schon auf der richtigen Spur und hatte eigentlich alles richtig gemacht.
Nun gingen auch die Beiden ins Bett und Diana legte sich, so leise es ging, zu Liam. Das wäre allerdings nicht nötig gewesen, denn dieser war sowieso wach. Ihn beschäftigte einfach viel zu viel als dass er schlafen könnte. Das erkannte auch Diana, als sie dann neben ihm lag.
"Ist alles okay?", fragte sie, doch von ihm kam keine Antwort.
"Schatz? Geht's dir nicht gut?", fragte sie besorgt, doch wieder kam keine Antwort.
"Bitte sprich mit mir! Was ist los? Ich will dir nur helfen!", sagte sie nun schon leicht panisch. Das letzte Mal hatte er so ausgesehen, als er versucht hatte sich um zu bringen und das machte ihr Angst.
"Das Bedürfnis ist da.", sagte er nun leise und mit zittriger Stimme. Diana verstand sofort und schloss ihn sanft in ihre Arme.
"Bitte nicht! Ich bin für dich da! Ich helfe dir! Ich tue alles für dich, aber bitte lass das! Bitte!", flehte sie schon fast und zog ihn dicht an sich. Er blieb nur schweigend liegen. In diesem Moment hatte er keine Ahnung, was er tun sollte. Er hatte das Bedürfnis sich jetzt sofort die Pulsader auf zu schneiden und es fiel ihm unglaublich schwer dieses Verlangen einfach nur noch zu sterben zu unterdrücken. Er fühlte sich wieder wie damals. Mit dem großen Unterschied, dass er nun nicht nur seine Eltern und seinen Bruder zurück lassen würde, sondern gleichzeitig drei kleine Kinder, die ohne Vater aufwachsen müssten, und eine wundervolle Frau und das wollte er nicht. Er wollte es wirklich nicht, aber das Verlangen wurde immer größer.
"Kann ich dir irgendwie helfen?", fragte sie besorgt.
"Bitte bleib einfach bei mir und pass auf, dass ich nicht nochmal den gleichen Fehler mache!", sagte er mit zittriger Stimme.
"Ich lasse nicht zu, dass du stirbst! Sobald wir wieder zuhause sind, fahren wir zu Lilly. Die hilft dir. Wir kriegen das wieder hin! Das verspreche ich dir!"

In ihren Armen schlief er schließlich ein und auch sie schlief schon bald tief und fest. Trotzdem ließ sie ihn nicht los und war sofort hellwach, als er sich am nächsten Morgen bewegte. Blitzschnell schreckte sie hoch und sah, wie er langsam auf stand.
"Alles gut.", meinte er nur.
"Wie geht's dir? Immer noch so schlecht, wie heute Nacht?", fragte sie besorgt. Der Schreck der letzten Nacht lag ihr noch in den Knochen.
"Es geht schon besser.", meinte er jedoch.
"Na dann ist ja gut. Hattest du so Probleme eigentlich schon mal?", fragte sie nun. Sie wollte das, was seine Mutter ihr erzählt hatte, nochmal von ihm hören.
"Nein.", sagte er sofort, doch seine gesamte Körpersprache sagte das Gegenteil. Sie sah ihm an, dass er log.
"Du lügst. Das merke ich. Aber wenn du nicht nicht darüber reden willst ist das auch okay. Sag bescheid, wenn du so weit bist mir die Wahrheit zu sagen. Ich bin jeder Zeit für dich da. Das weißt du, oder?"
"Ja. Wie kommst du drauf, dass ich lüge?"
"Schatz, ich hab Psychologie studiert. Da lernt man so etwas. Außerdem kenn ich dich jetzt schon eine halbe Ewigkeit. Ich merke, wann du lügst. Aber wie gesagt. Wenn du bereits bist mir die Wahrheit zu erzählen dann sag bescheid."
"Hast du mit meiner Mutter schon irgendwas geplant für heute?"
"Nein. Ich bin den ganzen Tag für dich und Sean da."
"Kann ich dir was zeigen?"
"Ja klar."

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