Kapitel 26

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Kurz darauf saßen sie mit Grace und Sean am Tisch und aßen gemeinsam etwas. Wieder herrschte absolute Stille, bis Liam irgendwann sagte: "Diana und ich sind heute den ganzen Tag unterwegs. Wir nehmen Moonlight mit."
Von den Anderen kam nur ein Nicken und so war es eine beschlossene Sache.
Wenig später gingen sie auch schon raus zur Pferdekoppel. Ein Pfiff reichte und schon standen alle vier Pferd vor ihnen. Gekonnt halfterte Liam die pechschwarze Stute auf und Diana stand staunend daneben. Seit wann konnte er das denn? Hatte sie da irgendwas verpasst?
Es wurde allerdings noch besser, denn kurz darauf band er die Stute perfekt an und putzte sie kurz über, um sie dann ohne jegliche Fehler zu trensen. Das alles sah aus, als hätte er jahrelang nichts anderes gemacht.
"Was wird das jetzt?", fragte sie verwirrt.
"Ich bin jetzt so weit und erzähle dir alles über meine Vergangenheit.", meinte er.
"Und was hat das mit dem Pferd zu tun und seit wann kennst du dich so mit Pferden aus?"
"Das ist Moonlight. Sie ist mein Pferd. Mit ihr bin ich damals Dressur bis S Niveau geritten."
"Willst du mich jetzt verarschen?"
"Nein. Das ist mein voller ernst. Ich kann dir gerne Beweisbilder und Schleifen bringen."
"Das heißt..."
"Ich hab dir nie alles über mich erzählt. Und das werde ich heute tun."
"Warum..."
"Wart ab. Wir reiten jetzt los und dann kannst du mich alles fragen, was du willst."
"Okay."
Kurz darauf half er ihr auf den bloßen Rücken der tollen Stute und setzte sich selbst dahinter. Vorsichtig griff er um sie herum und nahm die Zügle leicht auf. Ein leises Schnalzen reichte und schon schritt die Stute eifrig vorwärts.
Im Schritt verließen sie den Hof und ritten die Auffahrt entlang, bis sie schließlich in einen Wald ein bogen.
"Gut fest halten! Sie hat verdammt viel Schwung!", warnte Liam nun, bevor er die Stute an trabte. Mit viel Schwung hatte er auf jeden Fall nicht übertrieben. Es war unglaublich wie viel Schwung diese zierliche Stute entwickeln konnte, aber gleichzeitig war es auch einfach nur toll!
Locker trabten sie nun durch den Wald, bis sie an einem langen Feldweg an kamen, der mit Gras bewachsen war.
"Wagen wir einen Galopp?", fragte Liam. Diana nickte nur. Sie schwebte im siebten Himmel. Dieses Pferd war einfach der absolute Hammer! Das kam schon fast an den Andalusier ran, den sie mal geritten war.
"Okay.", sagte Liam und schon flogen sie im gestreckten Galopp an den Feldern vorbei. Nun war Diana endgültig begeistert. Dieses Pferd sah nicht nur toll aus und hatte absolut geniale Gangarten, sondern konnte auch noch extrem schnell rennen. Sie war einfach der absolute Hammer!
Am Ende des Weges grenzte ein weiterer Wald an und Liam parierte die Stute mit einem minimalen Aufnehmen der Zügel zum Schritt durch. Da kam dann doch das perfekte Dressur Pferd in der Stute hoch.
Langsam ritten sie nun durch den Wald, bis Liam plötzlich von dem Weg ab lenkte und mitten durchs Gebüsch ritt. Und wieder einmal was Diana komplett verwirrt. Was hatte er denn jetzt vor?
Es dauerte allerdings nicht lange, bis sie plötzlich an einer riesigen Lichtrung an kamen und Liam die Stute durch parierte, um von ihrem Rücken zu steigen. Diana tat ihm das nach und konnte den Mund vor Staunen kaum noch zu kriegen. Da war sie dann doch das kleine Stadt Kind, dass noch nie auf so einer tollen Lichtung stand. Liam setzte sich allerdings unbeeindruckt und als wäre es das Normalste auf der Welt auf die Wiese. Diana brauchte noch einen Moment, bis sie sich dann zu ihm setzte.
"So. Jetzt bist du mir eine Erklärung schuldig! Warum kannst du so verdammt gut reiten und warum weiß ich nichts davon? Warum hast du all die Jahre so getan als hättest du keine Ahnung von Pferden? Warum hast du ein eigenes Pferd hier, dass einfach mal der absolute Hammer ist? Warum hast du sie nicht mit genommen? Warum hast du mir davon nie erzählt? Und was verheimlichst du mir noch alles?", sprudelte es nun aus ihr raus. Sie hatte so viele Fragen, die ihr durch den Kopf schossen, dass sie gar nicht mehr auf hörte zu reden.
"Ganz langsam! Eins nach dem anderen!", stoppte Liam sie allerdings.
"Dann erzähl jetzt und hör auf mich so auf die Folter zu spannen! Du hast mich innerhalb von den paar Minuten jetzt komplett verwirrt und ich will jetzt eine Antwort!"
"Okay. Ich fang mal ganz von vorne an. Mein Opa hatte damals jede Menge Pferde und ist professionell Dressur geritten. Er hat mir alles beigebracht, was ich kann und mir schließlich Moonlight geschenkt. Er hat sie selber ein geritten und hat sie komplett ausgebildet. Ich bin mit ihr dann so etwa ein Jahr Turniere auf S Niveau geritten und hab auch einiges gewonnen, bis er dann starb. Danach hab ich mir geschworen nie wieder auf irgend ein Pferd zu steigen und wollte nichts mehr von Pferden wissen. Mein Opa war alles für mich und ohne ihn wollte ich nicht mehr reiten. Ich fand es einfach unfair, dass ich Spaß haben konnte, während er tot war. Zu diesem Zeitpunkt war ich total am Ende und heute weiß ich, dass ich wohl heftigste Depressionen hatte. Ich hab andauernd versucht mich um zu bringen. Ich wollte einfach nur noch zurück zu meinem Opa und nicht mehr leben. Meine Mutter hat mich dann zu jeglichen Psychologen geschliffen, aber niemand konnte mir helfen. Bis Jim kam. Das war ungefähr ein Jahr nachdem mein Opa starb. Er hat mir gezeigt, dass mein Leben doch nicht ganz so sinnlos ist und dass es sich doch noch lohnt zu leben. Da hab ich dann den Entschluss gefasst zu euch nach Amerika zu ziehen. Ich hab es hier einfach nicht mehr ausgehalten. Jede Ecke hat mich an ihn erinnert und das konnte ich einfach nicht mehr. Bei euch hatte ich einfach den Abstand, den ich so dringend gebraucht habe und eure Mutter war einfach so ein herzensguter Mensch. Deshalb bin ich ja dann auch zwei Jahre später mit Jim zusammen gezogen. In dem Jahr davor ist meine Oma gestorben. Das war so ein kleiner Rückfall und ich habe da noch einmal versucht mich um zu bringen. Das war aber nur ein kurzer Aussetzer. Als ich dann zu Jim gezogen bin, ging es mir erstmal wieder deutlich besser. Der Abstand war einfach da und das war gut so. Mit der Zeit kamen dann aber die Erinnerungen und mit ihnen auch die Depressionen ein wenig wieder. Es war nicht ganz so schlimm, dass ich das Bedürfnis hatte mich um zu bringen, aber sie waren da. Gerade, wenn ich alleine war. So ging das, bis eure Mutter starb und ich euch leiden sah. Da wusste ich, dass es mir doch ganz gut geht und ich hab mich zum ersten Mal wirklich mit mir selber beschäftigt. Da wurde mir klar, dass ich doch ein ganz tolles Leben hab. Als du dann kamst und alles aufgemischt hast, war das dann alles irgendwie vergessen. Ich weiß nicht wie, aber irgendwie hast du mir gezeigt, wie man richtig lebt und das tat unheimlich gut. Als wir dann zusammen gekommen sind, war ich zum ersten Mal seit Jahren wieder so richtig glücklich. Zu dem Zeitpunkt hab ich irgendwie mit dem Ganzen abgeschlossen und wirklich angefangen ein ordentliches Leben zu führen. Seit dem hatte ich keine Probleme mehr, bis dann meine Mutter am Montag angerufen hat. Das Erste, was mir da durch den Kopf geschossen ist, war mich um zu bringen und wären die Kinder nicht da gewesen, hätte ich das wohl auch gemacht. Ich weiß nicht warum, aber seit dem ist irgendwie alles wieder da, was all die Jahre weg war und ich hab ehrlich gesagt echt Angst, dass es wieder wird, wie früher. Ich will nicht sterben. Wirklich nicht. Ich bin eigentlich wirklich glücklich, aber irgendwas in mir sagt mir, dass das nicht so ist und dass es besser ist, wenn ich sterbe. Ich hab echt Angst, dass du beim nächsten Mal vielleicht nicht dabei bist und dass ich es vielleicht sogar schaffe. Und ja, ich bräuchte vielleicht wirklich einen Psychologen, aber ich will das einfach nicht. Deine Freundin ist wahrscheinlich echt nett uns könnte mir vielleicht sogar helfen, aber das ist so ein kleines Kindheits Trauma. Ich werde mich nie wieder einem Psychologen wirklich öffnen können. Dafür haben die damals einfach zu viel Mist gebaut. Ich hoffe du kannst das vielleicht irgendwie verstehen und verstehst jetzt, warum es vielleicht nicht unbedingt die beste Idee ist mich zu einem Psychologen zu schicken. Und warum ich dir nichts davon erzählt habe ist ganz einfach. Ich habe meine Vergangenheit bis Montag einfach komplett verdrängt und wollte nichts davon wissen. Deswegen habe ich dir auch nicht erzählt, dass ich perfekt reiten kann. Du hättest dann direkt versucht mich wieder aufs Pferd zu kriegen und dann wäre alles wieder hoch gekommen. Das wollte ich nicht."
Diana brauchte nun erst einmal einen Moment, um das zu verdauen. Es musste schrecklich für ihn gewesen sein, dass sie jeden Tag von den Pferden erzählt hatte und er sich jedes Mal dumm stellen musste. Er musste so gelitten haben und sie hatte es einfach nicht gemerkt. Warum hatte sie das nicht gemerkt? Warum war sie so blind gewesen? Warum hatte sie nicht gleich gesehen, dass ihm das zu schaffen machte? Oder wollte sie es einfach nicht sehen? Wollte sie es vielleicht die ganzen Jahre über einfach nicht wahr haben?
"Ist alles gut bei dir? Du bist ganz schön blass.", fragte Liam nun besorgt.
"Ja. Ich brauch jetzt nur mal eben einen Moment, um das zu verdauen.", meinte sie und nun herrschte wieder Schweigen, bis sie sanft einen Arm um ihn legte und ihren Kopf auf seiner Schulter platzierte.
"Ich helfe dir. Irgendwie krieg ich dich wieder hin. Wir schaffen das auch ohne Psychologen. Das wird alles wieder. Du wirst nicht sterben. Alles wird wieder gut. Jetzt kenn ich ja die komplette Wahrheit. Da kann ich dir auch helfen. Und dafür musst du dich jetzt mit deiner Vergangenheit auseinander setzen. Ich weiß, dass das verdammt schwer ist, aber du musst dich damit beschäftigen, um einen Schlussstrich ziehen zu können. Du musst damit endlich richtig abschließen und alles verarbeiten, anstatt es nur in irgend eine hintere Schublade zu stecken. Das hilft dir nicht und es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich diese Schublade öffnet und alles wieder da ist. Das ist jetzt der Fall und du versuchst alles wieder weg zu sperren. Das funktioniert nicht. Zumindest nicht auf Dauer. Deswegen werden wir jetzt zusammen anfangen deine Vergangenheit auf zu arbeiten. Stück für Stück jeden Tag ein bisschen. Ich helfe dir und zusammen schaffen wir das schon.", sagte sie einfühlsam.
"Danke! Danke, dass du für mich da bist und mich verstehst! Das bedeutet mir wirklich viel!", sagte er dankbar.
"Ich bin immer für dich da und werde es auch immer sein. Ich gebe immer alles, um dir zu helfen und das wird sich nie ändern."

"Und wie fangen wir jetzt an?"
"

Als aller erstes fängst du mal ganz schnell wieder an zu reiten! Das hat dir total gefehlt. Das merkt man. Reiten ist eine Leidenschaft, die nie erlischt. Du bist jahrelang geritten und das fehlt dir. Ich telefoniere gleich mit Kent, dass der uns da hilft. Der hat die richtigen Kontakte und kann das organisieren, dass sie mit uns kommt und bei uns in irgend einem Stall unter kommt."
"Okay."
"Kannst du das eigentlich noch?"
"Was?"
"Dressur reiten."
"Keine Ahnung. Ich saß über 20 Jahre nicht auf dem Pferd. Aber eigentlich verlernt man so etwas nicht."
"Konntest du das auch so richtig mit Piaffe und so?"
"Piaffe und Passage jetzt nicht, aber alles andere eigentlich schon. Einer Wechsel konnten wir auch nicht. Das war das Letzte, was ich mit meinem Opa damals trainiert hab."
"Na dann machen wir deinen Opa jetzt stolz. Du packst jetzt mal die Reithosen aus und sobald wir zuhause sind, ruf ich Allison an. Die trainiert bestimmt gerne mit dir."
"Du meinst jetzt nicht Allison Brock die Dressurreiterin, die diesen tollen Rappen reitet, oder?"
"Doch. Genau die meine ich. Der Rappe heißt übrigens Roosevelt."
"Kennst du die etwa?"
"Ja. Ich fotografiere doch allgemein die amerikanischen Teams im Reitsport. Da hab ich die Dressur Reiter auch alle schon kennen gelernt und Allison hat auch schon für mich gemodelt."
"Oh mein Gott! Die reitet unglaublich gut!"
"Ein Telefonat und sie ist deine Trainerin. Wenn du willst kann ich dir das komplette Dressur Team vorstellen. Nächstes Wochenende bin ich da wieder zum Fotografieren. Da ist nur Dressur. Wenn du willst, kann ich dich gerne mit nehmen. Du musst dann nur damit leben, dass wir von morgens um acht bis spät abends da sind. Das fängt an mit M und geht dann bis Grand Prix."
"Okay."
"Gut. Dann telefonier ich gleich auch noch mit Allison."
"Wir haben da nur ein Problem."
"Und das wäre?"
"Moonlight ist jetzt bald 30 Jahre alt. Die kann garantiert keine hohe Dressur mehr gehen."
"Hat Sean nicht irgendwann mal gesagt, dass die eine Tochter hat?"
"Ja. Nightsea. Aber ich weiß nicht, ob die überhaupt eingeritten ist."
"Wie alt ist die denn?"
"Keine Ahnung. Auf jeden Fall nicht sehr alt."
"Notfalls reiten wir die eben ein. Allison hat da Erfahrung mit."
"Oh man. Ich werde wieder Dressur reiten. Das hättest du mir mal vor einer Woche erklären sollen. Da hätte ich dir einen Vogel gezeigt."
"Tja. Ich hab doch gesagt, dass wir deine Vergangenheit wieder aufarbeiten. Da gehört das auch dazu."
"Ja. Das tut es."
"Dann komm. Lass uns zurück reiten. Wir haben einiges zu klären."
"Ja."

Missing youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt