-1- Ruhestörer

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Tief sog ich an meiner Pfeife. Das Pfeifenkraut benebelte meine Sinne und ließ mich grinsen, als ich einen großen Rauchring blies. Man musste zugeben, ich war der talentierteste Pfeifenraucher im ganzen Auenland. Und nicht nur der talentierteste, sondern auch der begeistertste. Ich führte die ansehnlichste Sammlung außergewöhnlichen Krautes des ganzen Landes. Jedenfalls war ich der Ansicht danach. Ein Vogel zwitscherte, dann mehrere, denn ich saß gemütlich auf der kleinen hübschen Holzbank vor meiner wunderschönen Hobbithöhle und genoss die seelische Ruhe der Natur. Doch lange sollte diese wohl nicht anhalten.
Mein Gesicht war dem Himmel entgegengestreckt und die Sonne fiel mir warm auf die Wangen, als sich plötzlich ein dunkler Schatten darüberlegte.
Leicht genervt öffnete ich ein Auge und auf meinen Lippen lagen schnippische Antworten, die ich dem Ruhestörer an den Kopf werfen könnte. Nachbarn? Verwandte? Freunde? Bekannte? Oder sogar Fremde? Nein danke! Niemand durfte mich beim täglichen Pfeifenkrautrauchen stören und mir die Entspannung dabei nehmen; das wusste eigentlich jeder Hobbit, der mich kannte, und das waren so ziemlich alle. Zwar habe ich ihnen das nie gesagt, doch nach der einen oder anderen Unterbrechung schienen sie es von selber verstanden zu haben. In meinem Sichtfeld stand ein großer alter Mann, umwickelt von einer langen grauen Robe und mit einem Holzstab in der Hand. Sein Gewicht lagerte er nach vorne und stützte sich darauf ab. Sein Kopf war mit einem gewaltigen Spitzhut bedeckt und aus seinem Gesicht spross ein langer weißer Bart bis zu seiner Hüfte. Ich war zu überrascht, um meine verärgerte Attacke auszusprechen und nahm verdutzt und mit einem Plopp-Geräusch die Pfeife aus dem Mund.
Der Mann bewegte sich nicht von der Stelle und lächelte mich schräg an. Ich starrte kurz unbeteiligt zurück, in der Hoffnung, er interpretierte meine abweisende Haltung richtig und verschwand. Doch das tat er nicht und sein Lächeln wurde stattdessen nur breiter. Na großartig. Ein fremder, in die Jahre gekommener Mann, der mich anlächelt. Was gibt es Schöneres im Leben? Eine Packung Pfeifenkraut vielleicht. Ich wurde ungeduldig.
,,Einen schönen guten Morgen, der Herr", sagte ich abwimmelnd, doch immer noch bemüht freundlich. Ich wollte nur meine Pfeife zu Ende rauchen und anschließend zurück in meine Hobbithöhle verschwinden. Sollte ich einen Sonnenbrand vortäuschen?, überlegte ich kurz, doch verbannte diesen Gedanken wieder. Das Lächeln des Mannes vor mir fiel. Er öffnete empört den Mund und sprach:
,,Der Herr? Ich denke, doch ein wenig Anstand wäre angebracht. Für wie eingerostet hältst du mich denn, werter Herr?" Ich dachte ich hörte nicht richtig. Statt einer Antwort starrte ich ihn nur an.
,,Und wie meinst du das, 'einen schönen guten Morgen'? Wünschst du mir nur einfach einen guten Morgen oder meinst du, es sei ein schöner Morgen, unwichtig, was ein jeder von uns zu wünschen vermag? Oder folglich, dass an diesem Morgen alles schön und gut zu finden ist oder doch etwa, dass man an diesem Morgen gut oder schön sein muss?" Solch einen Berg an Fragen hatte ich nicht erwartet und perplex sah ich ihn an. Dann erwiderte ich zögerlich:
,,Ehm... alles gleichzeitig, schätze ich. Mit Verlaub."
Ich fing mich schnell wieder und starrte ausgiebig auf den Holzstab des Mannes, den ich noch nicht ganz einordnen konnte, bevor ich in sein Gesicht blickte.
,,Kann ich Euch denn helfen? Oder was treibt Euch an einem so schönen Tag direkt vor meine bescheidene Hobbithöhle, wo ich doch unangekündigten Besuch immer wieder so gerne schätze?", spottete ich und hoffte, die Nachricht kam deutlich an. Doch der Mann schüttelte nur amüsiert den Kopf.
,,Wir werden noch sehen. Tatsächlich bin ich auf der Suche nach jemanden. Jemanden, der Interesse an einem Abenteuer hat." Die Pfeife rutschte mir aus dem Mund.
,,Wie bitte, ein Abenteuer? Oh, nicht doch, nein, ich denke nicht, dass irgendeiner westlich von Bree auch nur einen Hauch von Interesse an einem Abenteuer zeigen würde. Und diesen jemand findet ihr ganz sicher nicht hier, nein, bestimmt nicht vor meinem Gartentor! Diese Abenteuer sind üble, verstörende, unangenehme Dinge. Sie lassen einen immer zu spät zum Abendessen erscheinen und was wäre das Leben ohne reichliches Speisen!", erwiderte ich und sprang von der Bank auf. Ich legte mir die Pfeife wieder zwischen die Lippen, ging auf meinen Briefkasten zu und klappte ihn auf. Die morgendliche Post nahm ich heraus und klemmte sie mir unter den Arm. Der Mann beobachtete mich dabei fröhlich lächelnd und ich verlor allmählich die Geduld.
,,Ich sagte: einen schönen guten Morgen!", meinte ich verabschiedend und schritt auf meine Haustür zu.
,,Du bist unmöglich! Ich werde hier doch nicht vom Sohn der Belladonna Tuk mit einem 'Guten Morgen' abgewimmelt! Ich verkaufe doch wahrlich keine Knöpfe an der Tür wie der nächste Krämer!" Überrascht fuhr ich herum und runzelte die Stirn.
,,Wie bitte?" Woher kennt er den Namen meiner Mutter? Und was fällt dem Herrn ein, mich an diesem Tag in meinem Garten zu stören? Als reichen nicht schon meine neugierigen Nachbaren und Verwandten, die manchmal um meine Höhle herumschleichen...
,,Du hast dich verändert, lieber Bilbo Beutlin, und das nicht zwingend zum besseren, gebe ich notgedrungen zu." Was? Er kennt mich? Er kommt mir nicht bekannt vor, nicht im Geringsten.
,,Verzeiht mir, aber kennen wir uns irgendwoher?", fragte ich und kniff argwöhnisch die Augen zusammen. Auf den Lippen des Mannes bildete sich ein Schmunzeln.
,,Nun, du bist von meinem Namen unterrichtet, wenn auch du das Gesicht dazu nicht mehr kennen magst. Ich bin Gandalf, und Gandalf heißt ... ich!"
Verwundert zog ich wieder die Pfeife aus dem Mund und starrte ihn an. Jetzt, da er es erwähnte, konnte ich mich tatsächlich an ihn erinnern. Gandalf der Feuerwerksheld. Sah er schon immer so alt aus?, schoss mir durch den Kopf.
,,Moment.... Gandalf... Gand-, oh, ich erinnere mich! Ihr seid doch nicht der wandelnde Zauberer, der immer diese eindrucksvollen Feuerwerke aus dem Hut gezaubert hat? Ich weiß noch genau, der alte Tuk hat sie immer zum Mittsommerfest anzünden lassen! Nun, ich gebe zu, ich wusste nicht, dass Ihr noch tätig seid. Gerade in dieser Branche", merkte ich an.
,,Wo soll ich denn sonst sein?", fragte er. Ich unterdrückte ein Hüsteln.
,,Nun ja, Ihr wisst schon...", meinte ich und ließ meine Pfeife über die Landschaft schweifen. Ich hätte nicht gedacht, dass Zauberer doch so langlebig sind... Eine kurze Stille überzog uns und nur das Zwitschern der Vögel war zu vernehmen.
,,Nun, ich bin erfreut, dass du dich doch noch an mich zu erinnern scheinst. Wenn auch es nur meine Feuerwerke sind."
Ich nippte stark an meiner Pfeife. Das Kraut machte mir nun gar nichts mehr aus. Die Anwesenheit von Gandalf schien die gesamte Dröhnung aus meinem Kopf zu ziehen und ließ mich einsam zurück.
,,Gut, das wäre erledigt. Es wird sehr... nun, ich bezeichne es als 'aufregend' für dich und ohne Zweifel äußerst amüsierend für mich werden. Es wird Zeit, die anderen zu informieren. Das sollte ich tun." Wie meint er das? Soll ich jetzt etwa den Abenteurer darstellen, den er sucht? Bitte nicht! Und was meint er mit 'die Anderen informieren'? Entgeistert sah ich ihn an.
,,Wen denn informieren? Was? Ihr meint doch nicht- ... Nein! Nein, wartet!", rief ich, als der Zauberer schon dabei war, umzudrehen. Er stoppte und ich sah ihm verärgert entgegen.
Was verlangt der alte Zauberer denn von mir? Dass ich vor Freude meine sieben Sachen packen gehe und ihm einfach in unerkundete Wälder und Sümpfe folge, nur, um am Ende noch beraubt und erstochen zu werden? Lächerlich! Ich schüttelte den Kopf.
,,Habt Ihr nichts besseres zu tun, als mich an diesem schönen Morgen vor meiner Haustür zu belästigen? Ich bin nicht der, den Ihr sucht! Tut einfach so, als wärt Ihr nicht hier gewesen. Oder werdet Ihr mich etwa mit diesem Ding dort", ich zeigte auf den Holzstab, ,,erschlagen und mit auf dieses wunderbare Abenteuer schleifen? Da muss ich Euch doch enttäuschen, lieber Gandalf. Das ist nichts für mich. Ich genehmige mir jetzt viel lieber einen frischgebackenen Birnenkeks!" Mir blieb keine Zeit mich umzudrehen und fortzustapfen, denn Gandalf antwortete donnernd:
,,Bilbo Beutlin, du traust dir auch gar nichts mehr zu! Vielleicht werde ich tatsächlich deinen Vorschlag zur Rate ziehen müssen und dich zu deinem Glück zwingen!" Glück? Unglück, wohl eher!
Ich stand unbeeindruckt da und nippte an meiner Pfeife, während ich ihm in die grauen Augen blickte. Ich nahm einen letzten Zug vom benebelnden Kraut und ging einen kleinen Schritt auf ihn zu.
,,Nein! Hinfort mit Euch, werter Zauberer. Wir wünschen hier keine Abenteuer, niemals. Ein großes Nein, danke. Nicht heute, nicht an einem anderen Tag. Ich schlage vor Ihr sucht oberhalb des Bühls oder am Flussufer bei Hobbingen. Dort werdet Ihr am ehesten auf Verrückte treffen, die Euren Wünschen entsprechen. Schönen guten Morgen noch", sagte ich und beendete das ins Nichts führende Gespräch endgültig. Federnd drehte ich mich auf der Stelle um, ging erhobenen Hauptes auf meine Haustür zu und legte meine Finger um den kühlen Knauf. Ohne noch einmal den Blick nach hinten zu richten, stieß ich die Tür auf und schlüpfte in meine kuschelige Höhle. Oh, mein Beutelsend. Hier bin ich hoffentlich sicher. Statt nun wirklich zu den herrlich duftenden Birnenkeksen zu meiner Linken zu greifen, lehnte ich mich gegen die Tür und atmete erst einmal tief durch. Dieser Zauberer raubte mir jegliche Hemmung, nicht komplett durchzudrehen. Ich fuhr mir erschöpft durch die lockigen staubblonden Haare, wobei lockig im Auenland gar nicht mehr als eine Charaktereigenschaft galt, denn jeder hier trug eine Lockenpracht auf dem Kopf. Plötzlich hörte ich ein Kratzen an meiner Tür und konnte dieses Geräusch nicht einordnen. Was machte der Zauberer da? Leise schlich ich an mein Fenster und konnte kurz meine Haustür erkennen, als plötzlich ein Gesicht direkt vor meinen Augen erschien.
Erschrocken fuhr ich zurück und fasste mir ans Herz. Ich atmete laut aus. Dann lehnte ich mich wieder an der Fensterscheibe vor und blickte Gandalf mit zusammengekniffenen Augen hinterher. Summend spazierte er durch mein Gartentor.
,,Verrückter Lump", murmelte ich kopfschüttelnd und wandte mich nun den wichtigeren Dingen zu. Wie etwa, Besorgungen für mein Abendessen zu machen. Ich griff nach dem leeren Korb neben meiner Tür und warf mir meinen dunkelblauen Ausgehmantel über. Kurz wartete ich, bis der Zauberer hoffentlich einen großen Abstand zwischen uns beiden gebracht hatte. Dann trat ich aus der Tür und ging auf den Markt. Ein lebhaftes Stimmengewirr begrüßte mich und die Sonne knallte mir heiß in die Augen. Ich ging auf unseren örtlichen und auch den besten Fischer des Landes zu und ließ eine Forelle für mein Abendessen einrollen.
,,Danke, Chum", sagte ich und drückte ihm zehn Kupfergroschen in die Hand. Aufmerksam sah ich mich um, falls ich doch noch auf den Zauberer treffen sollte und stieß fast mit einem rollenden Holzkarren zusammen.
,,Tag, Herr Beutlin. Heute etwas wuschig im Kopf, wie? Da habe ich das perfekte Rezept gegen. Hier, fühl mal an meine Knollen. Wie schön fest sie sind. Frisch am Morgen ausgebuddelt", sagte der Bauer Worrywort und hielt eine dicke Gewürzknolle in die Höhe. Ich konnte das breite Grinsen, das sich bei seinen Worten auf meinen Lippen bildete, nicht zurückhalten. Ich hob meine Hand und fasste mit voller Kraft an das Gemüse.
,,Ist aus dem Westviertel. Die machen ihre Arbeit wirklich gut." Ich nahm meine Hand wieder herunter und räusperte mich.
,,Ja, wirklich beeindruckend, Worrywort... Sag mal, du hast nicht zufällig einen Zauberer hier herumschleichen sehen, oder?", fragte ich und sah mich wieder um.
,,Zauberer? Hm. Du meinst 'nen großen Kerl? Langer, grauer Bart? Mit Spitzhut und 'nem Holzstab?", überlegte er und da entdeckte ich in der Ferne einen hohen, grauen Spitzhut. Meine Augen weiteten sich und ich hechtete hinter Worrywort.
,,Nein, nicht, dass ich wüsste. Aber meine Augen sind auch schon etwas träge, muss ich zugeben", sprach dieser munter weiter und bemerkte gar nicht, dass ich nicht mehr neben ihm stand. Mit gesenktem Kopf rannte ich auf die Steinbrücke zu und drehte mich dann zaghaft um. Der Spitzhut, vor dem ich panisch das Weite gesucht hatte, entpuppte sich als ein hohes Kissen mit grauem Überzug. Seufzend richtete ich mich wieder auf und fuhr mir durch die Locken. Und schon habe ich Wahnvorstellungen.

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[A/N: Erst einmal ein herzliches Willkommen und vielen Dank, dass du dich dazu bereiterklärt hast, diese Story anzulesen (vielleicht sogar durch-, was ich sehr für dich hoffe). Das Chapter war sehr kurz, aber die nächsten umfassen immer um die 2.5 - 3k Wörter. (Manche sind auch länger wenn's der Kontext nicht anders zulässt.) Ich möchte anmerken, dass ich manches oder vieles, je nachdem wie sich alles im Laufe der Geschichte verhält, noch ändern bzw. überarbeiten werde. Außerdem möchte ich angeben, dass ich hier explizit auf Peter Jacksons Filme eingehe, auch auf die Extended Scenes und vielleicht den einen oder anderen Fakt aus den Behind The Scenes miteinbringe. Ich kann aber versprechen, dass es seeehr schwul und in den anfänglichen Chapters eventuell etwas cringe wird. Die Story kam glaube ich Ende 2017 oder Anfang 2018 raus, da war mein Schreibstil noch anders. Sie wird bestimmt um die 150k umfassen, wenn ich in dem Umfang weiterschreibe, wie es jetzt ist. Eine englische, noch unbearbeitete Fassung gibt es auf ArchiveOfOurOwn, einfach nach meinem Namen suchen. Also dann, haut rein und viel Spaß! ;) [1. Überarbeitung am 06.11.19; 2. am 19.09.20] ]

King Under The Moantain | bagginshieldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt