LXXVIII.

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Es gibt nicht wenige Momente im Leben, in denen die Persönlichkeit des Menschen sich zu spalten scheint; auf eine ganz schizophrene Weise entsteht dabei der Eindruck, man fechte einen Kampf mit sich selbst.
Das eine Selbst lässt an Widerstand nach oder überzeugt dazu den einfacheren Weg zu wählen, während das andere Selbst dagegen hält und oft unangenehm empfunden wird.

Zu diesem Zeitpunkt, alleine mit ihm, befand auch Giselle sich in einer solchen Lage; all die Zeit war sie der Überzeugung gewesen, dass es nicht richtig war, sich in der Vergangenheit zu verlieben, sich ausliefern zu lassen allen Gefahren, die es nur damals gegeben hat und sich emotional zu binden an jemanden, der mit hoher Wahrscheinlichkeit gar nicht für sie bestimmt war. All die Zeit hatte sie sich für den nach ihrer Meinung schwereren Weg entschieden, für den Weg des Widerstands, den Weg der Sicherheit, und bemerkte nicht, dass es womöglich nicht der Richtige, sondern der einfachere gewesen ist. Aus Angst, Unehrlichkeit und Feigheit hatte sie geglaubt ihre Selbstkontrolle auf die Probe zu stellen. Dabei lag die Herausforderung für sie überhaupt nicht darin sich selbst zu kontrollieren, sondern darin, ihren Gefühlen freien Lauf zu geben.
Sich selbst zu ermahnen und zu beherrschen war für sie nicht die Schwierigkeit; die Probe bestand gar nicht darin. Der schwere Weg, gegen den sie sich entschieden hatte, war es sich auf ihre Gefühle für ihn ein zu lassen und daran fest zu halten, was auch immer geschehen mochte.
Zu lange hatte sie Angst davor gehabt, nicht stark genug zu sein und durch ihre gefühlvolle Seite ausgenutzt zu werden; so lange bis sie überhaupt nicht mehr einsah, dass es an der Tatsache selbst, ihrer Zuneigung zu ihm, überhaupt nichts änderte, ob sie sie ihm gegenüber zu Vorschein brachte oder nicht. Die Gefahren, die sich daraus ergeben konnten, hätten das gleiche Resultat egal, ob er davon wusste oder nicht.

Ihre Gedanken jagten einander in ihrem Kopf und das Gewicht der Erkenntnis und der Einsicht drückte sich langsam auf ihre Schultern wie eine Last, die immer schwerer wurde.
–Ich... ich habe mir schon so oft die Frage gestellt wieso ...? Wieso grade du?– murmelte sie vor sich hin.
Häufig war es der Fall, dass wenn sie lange nachdachte, einige Teile ihres Gedankenlauf für den Rest der Welt fehlten und so kein Zusammenhang zwischen ihren Worten zu erkennen war; wie Inseln standen sie im Raum, wobei die Verbindung zwischen ihnen nur in ihrem Kopf zu erkennen war und einen klaren Verlauf hatte, jedoch in der Stille, wie in Wasser, unterging und nicht zu folgen war. Meistens starrten die Anwesenden sie dann perplex an, mit ihrer Dummheit in ihr Gesicht geschrieben; zwar verliefen Giselles Gedanken meist sehr logisch und so wären diese auch nicht unmöglich nach zu vollziehen gewesen. Jedoch überforderte leider ein Gedankenlauf dieser Art das Gehirn der allermeisten.
Nicht aber das seine; er war kein bisschen überrascht oder verwirrt, denn ihm war vollkommen klar, was sie meinte.
Viel mehr machte ihn ihre Aussage stolz. Stolz und unendlich glücklich; endlich gestand sie. Mit einem Mundwinkel nach oben gezogen lächelte er triumphierend vor sich hin; zwar war das noch kein Geständnis, aber aus ihrem Mund war es doch so was in der Art.
–Man muss auch nicht sagen können wieso man das tut...–bemerkte er leise. Er wollte sie auf keinen Fall unterbrechen. Dazu war er viel zu neugierig, wie sie wohl diese Situation meisterte. –Wenn man das so klar wüsste, wäre es kein Verhängnis mehr. Nicht für die ganze Welt... das Geheimnis wäre gelüftet...–
Plötzlich ging die Tür auf und Professor Brody trat in den Saal: –Was zum...?!– entfuhr es dem Lehrer. Hastig schüttelte er den Kopf. –Ja, hält hier denn noch überhaupt jemand an die Regeln? Kann man denn hier noch von Nacht-ruhe reden?!–beschwerte sich der Professor. –Wird hier Nachts denn überhaupt noch geschlafen?!–
–Glauben Sie mir Professor, wir hätten auch nicht mit Ihrem Besuch gerechnet...–scherzte Sirius frech.
Giselles Stirn legte sich in Falten; etwas stimmte hier nicht. Ein Geräusch, ein Schlag, ein Klopfen störte sie. Nervös sah sie sich um, um die Ursache zu finden, aber ihr blieb keine Zeit; sie beide mussten den Raum auf der Stelle verlassen und in ihre Schlafsäle zurück gehen. Dabei sollten sie noch dankbar sein, kein Nachsitzen für ihre inakzeptable Verhaltensweise und ihr Verstoßen gegen etliche Hausregeln, bekommen zu haben, denn das wollte der Professor seiner Enkelin nicht zumuten.
Und so fand sich Giselle schneller die Treppe zu den Kerkern hinunter laufend, den sich entfernenden Schuhen lauschend, als sie sich versehen konnte.
Sie hatte ein Geräusch gehört, eins das sie kannte, aber nicht identifizieren konnte.
Als sie in ihrem Zimmer ankam und beide Mädchen schon schlafend fand, entschied sie sich dazu auch zu Bett zu gehen, obwohl sie viel zu aufgewühlt war, um zu schlafen.
Die Tatsache, dass Sirius ein bisschen Schwäche gezeigt hatte, die Tatsache, dass er mental krank war, hatte sie dazu gebracht, ihm zu gestehen was sie für ihn empfand. Oder jedenfalls fast... sie mussten morgen auf jeden Fall morgen nochmal miteinander reden.
Erst jetzt wurde ihr bewusst, was es bedeuten würde, wenn sie nachgeben würde; es wäre für ihn der Beweis, dass der Fehler nicht in ihm lag, sondern in seinen Eltern. Der Beweis dafür, dass es nicht nur hell und dunkel gab auf der Welt, sondern auch Schattierungen dazwischen.
Er brauchte sie und liebte sie, weil sie der Beweis dafür war, dass nicht alles wozu seine Eltern ihn erzogen hatten nur so zu interpretieren war, wie die Blacks es taten. Wenn sie ihre Zuneigung zu ihm erwidernd zeigen würde, würde er sich sicher sein können, dass die Welt nicht nur aus Todessern und nicht Todessern bestand. Seine Mutter hatte eindeutig ihre Sympathie für Giselle ausgedrückt ihren Sohn jedoch für alles, was er war verspottet. Wenn Giselle aber nun ihre Zuneigung zu diesem bislang nach Meinung seiner Familie verachtenswerten Menschen zeigte, war das doch der Beweis dafür, dass er es gar nicht war. Wie in einem Dreieck...

Plötzlich war ihr klar, weshalb er sie so anziehend gefunden haben muss; sie entsprach in jeder Hinsicht dem Ideal der Blacks und dennoch war sie nicht ihrer Partei eindeutig zu zu ordnen.
Etwas provokativeres, als mit einer reinblütigen Hexe zusammen, die sogar seine Eltern zunächst für gut hießen, gegen alle Regeln, die diese aufstellten zu verstoßen, hätte Sirius gar nicht tun können. Das war, als hätte er ihnen ins Gesicht gerufen, wie wenig ihre Regeln ihn interessierten.
Ja, das hätte zu ihm gepasst.
Er hatte zwar seine Clique, aber selbst seine Freunde schafften es nicht, seine Selbstzweifel zu beseitigen. Es fehlte das entscheidende Verbindungsstück; nämlich, dass etwas oder jemand wen seine Eltern mochten auch ihn mögen konnte. Und sie verkörperte diese Person.

Jinx Of Time- Der Fluch Der ZeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt