LXXXI.

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(1977)

Die Zeit bis zum Weihnachtsball verging rasend schnell. Häufig hat man den Eindruck dass die Zeit langsamer vergeht, wenn viele Dinge mit einem passieren, paradoxer Weise. Zeit, die gut ausgenutzt wird und in der vieles geschieht, ist in mehrere Phasen gegliedert und erzeugt so die Empfindung, länger anzudauen, als Zeit, die am Stück auf monotone Weise vergeht.
Auf Hogwarts geschah bis zum Ende November kaum etwas Neues.
Zwar wurden die Schüler immer häufiger mit Verlusten konfrontiert, verursacht durch den Krieg, denn einige verloren Verwandte, Bekannte und Freunde, aber hinter den Mauern des Schlosses wurde die Ruhe bewahrt. Viele Volljährige machten Pläne, was sie nach der Schule machen wollten, diskutierten über Politik und einige konnten es kaum erwarten in den Krieg zu ziehen.
Einer von diesen war James Potter. Nur zwei Wochen nach Sirius Geburtstag hatte er einen Brief bekommen, der mittlerweile schon all zu vielen in der Schule bekannt war; der kleine weiße Umschlag mit schwarzem Siegel und schwarzem Rand, ließ ihn schon alles wissen, bevor er überhaupt den Umschlag öffnete.
Seit dem war er wie ausgewechselt. Seine Erscheinung war bei weitem nicht mehr so Aufsehen erregend, seine Aura, die vorher immer etwas spielerisches, scherzhaftes ausstrahlte, war verschwunden und ganz allgemein wirkte er gebrochen und erwachsen.
Sirius Black hatte sich durch diese Nachricht ebenfalls stark verändert. Sein Hass gegen seine Vergangenheit und seine Abstammung verschärfte sich noch um einiges und es kam immer häufiger vor, dass er durch winzige Angelegenheiten komplett die Fassung verlor. Seine Freundschaft zu James hatte sich durch den Verlust, der sie beide zu tiefst betraf, noch viel weiter verstärkt, er war noch viel mehr auf seinen besten Freund fixiert als zu vor,  jedoch distanzierten sie sich beide verhältnismäßig von den anderen Rumtreibern. Vorher waren sie ein Herz und eine Seele, aber seit dem sich Sirius Wutanfälle häufiger auch gegen Remus und Peter richteten, ging etwas zwischen ihnen verloren. James verteidigte seinen besten Freund natürlich immer und auch er versank häufig in melancholische Phasen. Lily  schaffte es im Gegenzug ihn Tag für Tag auf zu heitern. Sie und James waren sich durch die Angelegenheit viel näher gekommen und beide machten den Eindruck perfekt auf einer Wellenlänge zu liegen. Vielleicht war es gerade diese kindische Art James, dessen Bruch Lily dazu brachte sich auf ihn ein zu lassen, denn so viel war klar; sie waren beide hilflos in einander verliebt.

Giselle und Dumbledore hatten in der Zwischenzeit einen Plan für Charles entwickelt, um ihn für die nächsten Jahre in Sicherheit zu bringen. Der Plan besagte, dass Charles in seiner Animagusform durch einen guten Freund Dumbledores, einem Forscher, der sich mit magischen Geschöpfen weltweit beschäftigte, nach Marokko geschmuggelt werden sollte in dessen Koffer. Dem Schulleiter nach, hatte dieser Zauberer namens Newt Scamander, viel Erfahrung mit Tieren und Dumbledore vertrat die Meinung, dass es ausgesprochen unauffällig war, wenn Mr Scamander in seinem Koffer noch ein weiteres Tier zusätzlich zu den magischen Geschöpfen, mit auf die Reise nahm.
So ganz vertraute Giselle ihm nicht, aber da sie keine Alternative hatte und von Mr Scamander schon gehört hatte, war sie letztendlich einverstanden damit und auch ihr Vater erklärte sich bereit für die Reise. So kam der Tag des Abschieds schon eher als erwartet. Dumbledore teilte ihr mit, wieder in Form eines Rätsels, wann und wo Newt Scamander ihren Vater abholen würde. Der Termin besagte die folgende Nacht.
Sie und Charles trafen sich ein wenig früher in der Eulerei und machten sich dann zusammen auf den Weg nach zum Raum der Wünsche. Dort trafen sie Dumbledore, mit dessen Hilfe sie in den Raum gelangten und über einen Geheimgang zum Eberkopf kamen. Auf dem Weg, im Geheimgang redenden sie nicht viel, aber die wenigen Worte die zwischen ihnen vielen waren sehr tiefgründig und vielsagend.
Sie waren schon eine Weile auf dem Weg als Charles die Konvention begann:
–Bist du auch so... naja eben so... so einer wie ich? Einer, der immer missverstanden wird und der womöglich, als Uhr gerade in die Gegenrichtung laufen würde?– fragte Charles sie ernst. Sie stolperte im Dunkeln, aber das fiel ihm nicht auf.
–Ich befürchte ja. Ich werde auch häufig missverstanden und oft kann ich kein bisschen zum Ausdruck bringen, was in mir vorgeht. Nicht ein mal ein wenig. Gar nicht.– sie blieb stehen um seine Reaktion ab zu warten. –Weißt du, wie sich das anfühlt? Alle deine Empfindungen in dir zu sammeln und irgendwo zu verstauen?–
–Siehst du genau das meine ich; es ist einem gar nicht bewusst, was man fühlt, weil man das Gefühl schon verstaut und unterdrückt hat, noch bevor es überhaupt identifiziert werden kann. Man gewöhnt sich dran. Man gewöhnt sich daran gar nichts mehr zu fühlen.– stimmte Charles zu. –Und irgendwann gibt es keinen Ausweg mehr.–
–Ich weiß. Es wird immer schlimmer. Aber ich kann es trotzdem nicht ändern.– mit zögerlichen Schritten gingen sie weiter.
–Eine meiner Mitbewohnerinnen hat mich schon als Autist eingestuft...–
–Wieso denn das?–
–Naja, Autismus ist eine sehr vielseitige psychische Krankheit. Sie kann sehr unterschiedlich sein. Manche können nur unter Kommunikationsschwäche leiden andere haben  ein einziges Gebiet worin sie unschlagbar, wofür sie aber im restlichen versagen. Gemeinsam haben sie alle, dass sie die Welt anders sehen, als gewöhnliche Menschen. Wenn etwas zwei Bedeutungen hat rechnen sie immer zu erst mit der Variante mit der die wenigsten rechnen würden. Die Fähigkeit Verbindungen zwischen Dingen zu machen und sie zu kombinieren ist ein völlig anderer Mechanismus als bei Menschen ohne Autismus.–
–Was dann vermutlich dazu führt, dass Autisten sehr häufig missverstanden werden und andere auch oft missverstehen.-
Giselle nickte betroffen.
–Es ist doch schon etwas Wahrheit dran oder? Ich meine, du und ich... uns passiert das schon ziemlich oft, nicht wahr?–
Charles ging einfach weiter und antwortete nicht. Aber er schien nach zu denken. Schließlich stellte er eine Frage zurück: –Ist das vererbbar?–
Giselle biss sich in die Lippe; sie wusste zu wenig über die Krankheit, um dieses Frage zu beantworten.
–Ich gehe davon aus, dass eine Tendenz vererbbar ist.– sagte sie schließlich leise.
Es verging wieder etwas Zeit bis sie miteinander redeten. Beide waren tief in die eigenen Gedanken versunken, die Realität ganz ausblendend.
–Denkst du nicht, dass Marokko zu nah ist? Ich meine vielleicht sollte ich weiter weg gehen, damit sie mich mit Sicherheit nicht doch wieder erkennen...–
–Du sprichst die Landessprache, du kannst dir einen Bart wachsen lassen und...Es wird dich schon keiner wieder erkennen.- versicherte sie ihrem Vater, obwohl sie selbst Zweifel hatte.
Es tauchte etwas Licht am Ende des Tunnels auf; ein Türrahmen an dessen Spalten etwas Licht in den Geheimgang fiel.

Jinx Of Time- Der Fluch Der ZeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt