Neuanfang

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POV Jenny

Die Tage vergingen schnell bis zum neuen Jahr, was ich mit Chris in seinem Garten verbrachte. Er wohnte etwa 8 Meilen entfernt auf der anderen Seite von Brooklyn und ich hatte die meiste Zeit, seitdem wir zurück auf Michigan waren, bei ihm verbracht. Wir waren uns näher denn je und ich hatte Evans in eine kleine Schachtel gepackt und tief in mir verschlossen, damit ich mich auf dieses Geschenk konzentrieren konnte, was mir gegeben wurde. Doch auch nach dem Neujahrsbeginn ließ ich Julia nicht zurück in mein Leben. Auch sie hatte ich in diese kleine Schachtel gesperrt, denn ich hatte Angst, dass mit ihr mein frisch verheilter Bruch wieder brechen würde und sie das Pflaster wieder abreißen würde, mit dem ich meine Haut noch zusammen hielt.

An diesem frühen Morgen am 3. Tag des Januars im neuen Jahr saß ich mit einer Kaffeetasse auf der Terrasse des Schauspielers, der noch im Bett lag und hatte meine Schulsachen vor mir ausgebreitet. Mit einer Zigarette in der Hand lernte ich meine Texte und meine Aufgaben, die ich bekommen hatte. Konzentriert nahm ich einen Schluck des heißen Gebräus, bevor ich die Tasse wieder auf den Tisch stellte und einen weiteren tiefen Zug an der Zigarette nahm. Ich vergrub meine Gefühle in mir, wie damals, aber es war erträglich, zumindest bis jetzt. 

"Du bist ja schon auf." weckte mich mein verschlafener Freund aus meinen Gedanken und Unterlagen und dort sah ich ihn in seiner Boxer und dem T-Shirt stehen, welches er zum Schlafen anhatte.

"Schatz, zieh dir was über, es ist kalt!" meinte ich, bevor ich einen letzten Zug aus meiner Zigarette nahm und sie in den Aschenbecher drückte, den Chris extra für mich hergestellt hatte. Er war wirklich kein Fan davon, dass ich rauchte, konnte aber nichts daran ändern, denn er wusste, wie einfach es war, dass ich aus der Tür lief. Ich hatte nichts mehr zu verlieren.

Auf der anderen Seite tat er mir gut. Er gab mir das Gefühl, geliebt zu werden, auch wenn ich dieses Gefühl nicht genießen konnte. Er half mir, dass es mir besser geht und war in den dunklen Zeiten für mich da. Und obendrein hatten wir guten Sex, der für ihn sprach. Doch auch er wusste, dass ich mit den Gedanken nicht 100% bei ihm war.

Schnell stand ich auf und legte ihm die zweite Decke um, die neben mir auf einem der Stühle lag, denn er machte keine Anstalten, sich wieder nach drin zu bewegen. Ich genoss die Kälte. Hier lag zwar wenig Schnee, viel weniger als in Michigan, aber etwas lag. Sie ließ mich merken, dass ich noch lebte und als Bonus baute ich mir ein gutes Immunsystem.

"Leg dich doch nochmal hin, wenn du so müde bist, es ist gerade einmal 7 Uhr. Ich mache Frühstück bis du aufwachst." versprach ich ihm und brachte ihn so wieder dazu, sich ins warme Bett zu kuscheln. Ich hatte noch nicht einmal die Türe richtig geschlossen, hörte ich sein Schnarchen wieder. 

Zwei Stunden und etliche Zigaretten später machte ich mich durch die Terassentür im Wohnzimmer auf in die Küche, damit ich ihm wie versprochen Frühstück machen konnte. Später würde ich zurück in meine Wohnung fahren, um noch ins Gym fahren zu können und danach wollte ich noch mehr lernen. Meine Prüfungen waren in ungefähr einem Monat und ich fühlte mich nicht vorbereitet. Dort konnte ich auch in Ruhe die Skripte und Lieder üben, die ich vortragen musste, ohne, dass mich jemand störte.

Das Frühstück bestand aus Spiegeleiern, frisch aufgebackenen Brötchen und Bacon für Chris, ich war inzwischen auf vegetarische Ernährung umgestiegen. Zuerst sollte es nur ein Monat werden, aber dann hatte ich nur positive Seiten an vegetarischer Ernährung gefunden und so war ich nicht zurück gegangen. 

Der Geruch des Essens musste ihn aufgeweckt haben, denn ich war gerade fertig mit dem Decken des Tisches, da öffnete sich auch schon die Tür zum Schlafzimmer und ein etwas wacher aussehender Chris durch die Türe kam.

"Guten Morgen, schöne Frau. Danke fürs Frühstück machen." brummte er und drückte mir einen Kuss auf meine Lippen, bevor er sich setzte und ich das Essen servierte. Danach schenkte er mir noch den Orangensaft ein und wir begannen fröhlich zu essen.

Als der Abwasch endlich erledigt war, packte ich meine Sachen, um in meine Wohnung zu fahren, doch Chris hatte andere Pläne und fing an, mich zu küssen. Langsam aber sicher drückte er mich gegen die Wand im Flur und seufzte wohlig, als seine Hände über meinen Körper wanderten und ich ließ es geschehen. Nicht weil ich es unbedingt wollte, sondern weil es ihn glücklich machte. Und wenn es ihn glücklich machte, dann war wenigstens einer von uns glücklich.

Als ich zwei Stunden später dann endlich bei mir in der Wohnung stand, sackte ich erst einmal auf dem Boden zusammen und weinte. Ich vermisste die Zeit, die ich mit Julie, Seb und Chris gehabt hatte und ich fragte mich wieder und wieder und wieder, womit ich seine Taten verdient hatte, denn alles, was ich jemals getan hatte, war ihn zu lieben, mit allem, was ich war. Und er hatte mich ersetzt wie ein kaputtes Handy. Noch schlimmer: er hatte mich gegen das Vorgängermodell eingetauscht.

Der Tag verging schleichend, doch das Lernen lenkte mich ab. Und als ich nach einigen Stunden wieder nach oben schaute, merkte ich, dass es draußen schon dunkel war und ich hatte keine Motivation mehr, ins Gym zu gehen. Stattdessen ließ ich meine Unterlagen verteilt auf dem Boden liegen und stellte mich raus auf den Balkon, um eine zu rauchen und meine Nachrichten zu checken. Wieder unzählige Nachrichten von Julia. Sie hatte selbst nach 2 Monaten nicht aufgegeben. Doch wieder löschte ich sie, ohne sie auch nur zu lesen, wie die letzten 1000 ebenfalls. Nachrichten von Sebastian, der ebenfalls versuchte, mich zu erreichen. Ich blockierte seine Nummer sowohl auf WhatsApp als auch so, damit er mir nicht mehr schreiben konnte und ignorierte auch diese. 

Gerade wollte ich mein Handy wieder sperren, da fiel mir das Profilbild meines Exfreundes auf. Er hatte ein altes Bild von mir und ihm genommen, eines, was in Deutschland noch entstanden war und das machte mich ein wenig wütend. Zuerst wollte ich ihm schreiben, doch dann entschied ich mich doch dazu, ihn zur Rede zu stellen. Kurzerhand stellte ich meine Nummer auf Anonym und wählte seine Nummer. Die Wut brodelte so in mir, als das Freischaltzeichen kam und ich wartete darauf, dass er abhob.

"Evans?" hörte ich nun seine Stimme, wie er sich meldete, und ich erstarrte zu einem Block Eis. Da war sie, die Stimme, die ich so sehr liebte und so sehr verabscheute. Er hörte sich fertig an, als würde ihm etwas zu setzen. Hatte Slate ihn etwa verlassen? Er hatte keinen Grund, sonst fertig zu klingen.

Ich wollte meine Stimme heben und ihn anschreien, doch ich bekam keinen Ton über die Lippen. Kein Mucks wollte ich von mir geben, obwohl ich innerlich schrie. Meine freie Hand ballte sich zu einer Faust doch meine Stimmbänder wollten nicht funktionieren und ich stand dort einfach, wie erstarrt.

"Ist da jemand?" fragte er nun perplex, weil ich keine Antwort gegeben hatte. Ich konnte ihn vor meinem inneren Auge sehen, wie er verwirrt sein Handy von seinem Ohr nahm und schaute, ob der Anruf noch lief und wieder an sein Ohr hob und wäre ich nicht so ultimativ gebrochen, hätte mir das Szenario ein Lächeln über die Lippen gejagt. Stattdessen stiegen Tränen in meine Augen und ich schluchzte leise auf.

"Ich kann Sie hören, wollen Sie mit mir reden? Ist alles in Ordnung bei Ihnen?" fragte er nun, als würde es ihn interessieren. Und es interessierte ihn vermutlich auch, nur nicht, wenn er wüsste, dass ich hinter der leisen Stimme steckte, die ihm gerade noch die Hölle heiß machen wollte und jetzt wie ein Häufchen Elend in die Hocke sank und der die Tränen über die Wange liefen. Wer genau hatte all das hier für eine gute Idee empfunden?

"Warum?" war alles, was ich hervorbrachte. Ich hatte einen dicken Kloß im Hals und fühlte mich zurückgeworfen in die Zeit, als ich ihn mit Slate erwischt hatte. Was würde ich dafür geben, wieder zurück in Deutschland zu sein und mich anders zu entscheiden.

"Jenny? Bist du das?" hörte ich nun, wie seine Stimme sich etwas aufhellte. "Hör mir zu, sag mir, wo du bist und wir können über alles reden. Das war alles nur ein riesen Missverständnis, das verspr-"

Ich drückte ihn weg. Ich konnte seine Lügen einfach nicht mehr hören. Ich war immer noch ein Häufchen Elend und mit zitternden Händen und Schluchzend zündete ich mir eine Zigarette an. Das war alles viel zu schwer zu verarbeiten für mich. Ich wusste nicht, wie ich jemals über diese Trennung kommen sollte. Ich schlief nicht mehr, aß kaum mehr, trank viel zu viel Alkohol, wenn ich alleine war und rauchte wie ein Schlot. Wo sollte mich das alles denn hinführen?

Love Is All You NeedWo Geschichten leben. Entdecke jetzt