Ich bin froh, dass ich meine Strickjacke mitgenommen habe. Es ist nämlich ziemlich frisch draußen. Und das, obwohl die Sonne scheint. Daran merkt man wohl, dass es langsam Herbst wird.Die Stadt am Fluss ist wunderschön. Die Häuser sind großteils klein und bunt und oft mit geschnitztem Holz verkleidet. Direkt neben der Stadt beginnt der Wald. Ich sehe, dass einige Blätter im Wald schon gelb oder rötlich geworden sind. Zusammen mit der goldenen Nachmittagssonne sieht das traumhaft schön aus. Und da die Gegend ein wenig hügelig ist, sieht man auch einige der etwas weiter entfernt stehenden Bäumen. Der Vorteil an Bergen. Sie vermitteln einen so vorzüglichen Überblick.
Nachdem ich eine Weile umherspaziert bin, suche ich mir eine Bank am Flussufer aus, von der aus ich eine gute Aussicht habe. Hinter mir befinden sich ein paar Fischrestaurants. Die muss ich bei Gelegenheit mal ausprobieren, denke ich noch. Da höre ich, wie mich jemand anspricht.
"He, du! Bist du das Mädchen, das Blake aus Idaho mitgebracht hat?"
Ich sehe auf. Vor mir steht eine total schöne Frau mit schwarzen Haaren und braunen Augen. Ich schätze sie auf Ende zwanzig, Anfang dreißig vielleicht. Und aus irgendeinem Grund wirkt sie nicht gerade erfreut.
"Ja, das klingt nach mir." beantworte ich erstmal ihre Frage. Sie scannt mich mit ihren Augen. Dabei nimmt ihr Gesicht einen angeekelten Ausdruck an. Das gefällt mir nicht. Sie kennt mich doch gar nicht. Und schon stempelt die mich als ekelig ab? Die sollte vielleicht mal ihr Zickensyndrom unter Kontrolle kriegen.Aber ich habe ja Manieren. Also lächele ich sie nett an und frage: "Kann ich dir helfen? Du wirkst ein wenig... gestresst." Um es mal freundlich auszudrücken. Schließlich wohne ich hier erst seit heute. Deshalb will ich mich nicht jetzt schon wieder mit irgendwem anlegen. Außerdem habe ich Dad ja versprochen, vorsichtig zu sein.
"Weißt du, wer ich bin?" fragt sie jetzt. Meine Frage ignoriert sie völlig. Reizend. "Nö. Wer bist du?" erwiedere ich. Und meine neue Frage entspricht wahrem Interesse. Schließlich will ich wissen, wen ich möglichst selten sehen will hier. Sie verengt die Augen zu Schlitzen. "Ich bin Elena, Blakes Verlobte." antwortet sie; ihre Stimme klingt in etwa so herzerwärmend wie eine Eiswürfelmaschine. Und vom Inhalt ihrer Worte bekomme ich einen Riesenschreck. Verlobte? Blake? Nein, unmöglich. Das hätte er mir doch erzählt. Plötzlich merke ich, dass der Gedanke, Blake könnte demnächst eine Andere heiraten, mir wehtut.
Aber bevor ich mich fragen kann, wie es sein kann, dass ich Blake offenbar jetzt schon so gern habe, redet Elena weiter. "Also, ich weiß zwar nicht, was Blake dir erzählt hat, aber ich weiß, ihr beide seit auf keinen Fall nur Freunde. Also sperr deine Ohren auf: Blake ist mein Verlobter! Du bist zwar sowieso nur ein Spielzeug, aber es stört mich trotzdem. Es ist total widerlich, sich an einen Mann zu schmeißen, der schon vergeben ist. Außerdem bist du nur ein Mensch. Bedeutet du hast sowieso keine Chance bei Blake. Also halt dich von jetzt an gefälligst fern von ihm.". Bei den letzten Worten beugt sie sich zu mir runter, bis unsere Gesichter nur noch Zentimeter voneinander entfernt sind. Jetzt kann ich sogar die goldenen Punkte in ihren braunen Augen erkennen. Auch wenn die mich im Moment einen Scheiß interessieren. Ich bin sprachlos. Ich bin zwar kein Engel, aber ich würde nie etwas mit einem vergebenen Mann anfangen. Und ihn dann auch noch mögen. Ich fühle mich scheußlich.
Dann fällt mir plötzlich auf, dass sie nicht nur vernünftige Argumente vorgebracht hat. Und mit einem Mal bin ich wieder auf Gegenangriff eingestellt. "Ich habe also sowieso keine Chance, weil ich ein Mensch bin? Was zur Hölle soll das heißen? Dass Menschen weniger gut sind, nur weil sie Menschen sind?"
Mit Gegenwehr hat sie offenbar nicht gerechnet. Das tun die wenigsten. Aber meine Reaktion scheint sie noch griesgrämiger zu machen als sie ohnehin schon war. "Auch noch widerspenstig und hitzköpfig! Am besten, du verziehst dich sofort wieder. Wie gesagt, du hast eh keine Chance." Damit dreht sie sich um und geht weg.
Mir spuken ihre Worte im Kopf herum. Ich muss Blake unbedingt auf sie ansprechen, so bald wie möglich! Ich beschließe, zurück zu seinem Haus zu gehen. Er wird wahrscheinlich auch gleich zurück kommen. Und dann werden er und ich ein Gespräch führen müssen.
Als Blake nach Hause kommt, läuft er strahlend auf mich zu und will mich in den Arm nehmen. Aber ich weiche aus und verschränke die Arme vor der Brust. Blake wirkt überrascht. Was ich jedoch ignoriere und stattdessen sofort zum Punkt komme.
"Als ich vorhin die Stadt erkundet habe, bin ich einer Frau begegnet. Sie sagte, ihr Name sei Elena und dass sie deine Verlobte ist. Stimmt das?"
DU LIEST GERADE
Die Luna
WerewolfAls Mensch inmitten eines Werwolfsrudels hat man es wirklich nicht leicht. Aber ich komme damit klar. Und das werde ich auch in Zukunft. Zumindest hatte ich das geplant. Und außerdem noch echt gut durchdacht! Aber dann hat einer dieser Wölfe festges...