Kapitel 57

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Nachdem ich eine Woche lang nur Glückwünsche und Unterstützung bekommen habe, höre ich von Blake heute den wohl unangenehmsten Nebeneffekt meiner Schwangerschaft.

"Deine Eltern kommen zu Besuch?" frage ich, leicht entsetzt, beinahe hoffend mich verhört zu haben. Was leider nicht der Fall ist.
"Ja, ich fürchte das werden sie. Sie haben von unserem Baby erfahren und bestehen darauf." antwortet Blake, wenig begeistert. Er sieht mich entschuldigend an.

Im Grunde ist es wohl verständlich. Immerhin werden Russell und Johanna Großeltern, von daher betrifft es sie schon. Aber nach unserem letzten Treffen bin ich ihnen lieber nicht wieder begegnet. Immerhin hatten sie sich absolut inakzeptabel verhalten, besonders Johanna. Und ich war daraufhin ausgerastet.

"Könnten wir nicht stattdessen angenehmere Gesellschaft einladen? Zum Beispiel Donald Trump? Oder Ashleys Eltern?" frage ich bittend.
Blake grinst. "Nein, ich fürchte, das können wir nicht. Aber die gute Nachricht ist: da sie beide schon relativ alt sind, werden sie uns vermutlich nach ein paar Stunden am Abend wieder verlassen. Und danach werden wir wieder Ruhe vor ihnen haben." sagt er, leicht amüsiert.

Ich seufze und umarme ihn. "Na schön, wenn es sich nicht vermeiden lässt bitteschön! Aber sie sollen sich benehmen!" sage ich.
"So wie ich sie kenne, werden sie das nicht, aber sie werden sich wahrscheinlich Mühe geben." antwortet Blake und küsst meine Stirn.
Ich hebe skeptisch die Augenbrauen und sage: "Das werden wir ja sehen! Nun, dann gehe ich jetzt erstmal einkaufen, damit wir heute Abend auch vorbereitet sind. Und ich werde Julia und ihre Familie bitten, sich uns auch anzuschließen. Das könnte die Angelegenheit erträglicher machen."

***

"Äh, Merry? Ich will nicht dumm klingen, aber wieso hast du Ziegenfutter gekauft?" fragt mich mein Mate etwa zwei Stunden später.
"Ich dachte, deine Mutter hätte vielleicht Hunger." antworte ich gut gelaunt. Blake schüttelt den Kopf und versucht, nicht zu lachen. Was ihm allerdings nicht wirklich glückt. Schließlich sagt er grinsend: "Ich glaube, es ist am besten, wenn wir ihr erstmal das anbieten, was alle anderen auch essen. Auch, wenn sie sich bestimmt über deine... Bemühungen freuen würde."
"Du hast Recht." stimme ich zu. "Wir wollen sie ja nicht zu sehr verwöhnen, sonst kommt sie am Ende noch wieder!"

Der Abend kommt für meinen Geschmack viel zu schnell. Diesmal habe ich mir keine große Mühe mit meinem Outfit gemacht und trage einfach Jeans. Was Johanna natürlich mit einem dezenten Nasenrümpfen quittiert. Oder zumindest denkt sie vermutlich, es sei dezent gewesen. Mich erinnert sie in dem Moment eher an einen Elefanten. Aber gut, noch bin ich nett, beleidigen kann ich sie später noch.

Beim Essen bin ich froh, dass ich Julia dabeihabe. Sie ist fröhlich wie immer und sorgt damit für gute Stimmung. Zumindest bis Russell anfängt zu reden.
Er sagt: "Wisst ihr schon, ob es ein Junge oder ein Mädchen wird? Ich hoffe, es wird ein Junge, das Rudel braucht in absehbarer Zukunft einen neuen, starken Alpha."
"Ach, und Sie denken, ein Mädchen könnte keine starke Alpha sein?" erwidere ich, verärgert. "Da hätten Sie mal die Frauen sehen sollen, die auf der Zeremonie der Matefindung in Idaho waren. Da war eine dabei, die konnte selbst die dominantesten Kerle um sich herum mit nur ihren Blicken in die Knie zwingen."

Russell sieht mich wütend an. "In so einem Ton redest du nicht mit mir, junge Dame! Hast du nie gelernt, als einfacher Mensch Werwölfen gegenüber Respekt zu zeigen?"
"Nee, gelernt habe ich das nie. Aber es kann sein, dass mal irgendjemand in meiner Nähe so etwas flüchtig erwähnt hat." antworte ich ungerührt. Russell wendet sich an seinen Sohn. Dass dieser gerade versucht, sich das Lachen zu verkneifen, bemerkt er dabei nicht.

"Hast du vielleicht etwas dazu zu sagen? So kann deine Mate nicht mit mir reden!" fordert er Blake auf.
"Naja, streng genommen tut sie das gerade, also kann sie es offensichtlich doch." erwiedert dieser nur amüsiert. Russell weiß die Einstellung seines Sohnes gar nicht zu schätzen. Und seine Frau Johanna auch nicht.

"Ich hatte dir doch gleich gesagt, schick sie wieder weg und heirate Elena! Dieses Menschenmädchen ist eine Schande für das Rudel!" keift Johanna Blake an. Sie wirkt wie eine Furie und ich bin beinahe ein bisschen in Sorge, dass sie sich jetzt verwandelt und als Wolf jemanden  angreift.

Wenige Sekunden später stellt sich heraus, dass mein Mate mir eventuell mehr Sorgen bereiten sollte als seine Mutter. In seinem Gesicht steht pure Wut geschrieben. Für einen Moment denke ich wirklich, er wird ausrasten. Aber dann ergreift er stattdessen das Wort. Seine Stimme klingt leise und kalt, eiskalt.
"Mercedes hat sich seit ihrer Ankunft als mehr als würdig erwiesen. Sie ist eine fähige Frau und, was noch wichtiger ist, meine Lebensgefährtin. Wenn du noch einmal in meinem Haus auf diese Art über sie redest, werde ich dir verbieten, es je wieder zu betreten."

Alle sind nach Blakes Worten still. An solchen Momenten merkt man deutlich, dass Blake der Alpha ist. Er kann sich jederzeit durchsetzen und heischt Respekt. Alle neigen bei seiner Haltung instinktiv den Kopf. Oder wenigstens fast alle.

Ich hingegen lächele beeindruckt und hebe mein Glas. Es ist zwar nur ein Wasserglas, aber ich halte es als wäre es die Fackel und ich die Freiheitsstatue.
"Das nenne ich doch mal eine Ansprache! Ich finde, ich habe einen tollen Mate! Und die Familie, zu der ich jetzt offenbar irgendwie gehöre, wird meinem Baby ganz sicher ein turbulentes Zuhause geben. Mit Tanten zum Knuddeln und Großeltern zum Vor-ihnen-wegrennen! Amen!"
Und damit toaste ich der Gesellschaft zu und leere mein Glas in einem Zug.

Die LunaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt