Kapitel 55

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Das Leben in diesem Rudel wird immer angenehmer. Seit Jade Philipp als ihren Mate identifiziert hat sind jetzt fast drei Wochen vergangen. Jade ist sofort bei Philipp eigezogen und freut sich, weil seine Wohnung so viel besser und vor allem größer ist als ihre alte WG in Idaho. Das Studium mit meinen Freunden macht irre Spaß. Und Blake hat mir versprochen heute Abend bei der Arbeit früher Schluss zu machen um den Abend mit mir verbringen zu können. Kurzum, bei mir läuft es super!

Es gibt da nur eine kleine lästige Nebensächlichkeit: ich habe zugenommen! Ich werde dicker! Das passt mir nicht, ich mochte meine Figur so wie sie seit Jahren war; ich hatte monatelang auf meine geliebten Brownies verzichtet, nur um diese tolle Figur zu bekommen! Und jetzt geht sie einfach flöten! Unverschämtheit!

Naja, ist halt so. Abgesehen davon ist alles prima, also scheiß drauf! Zumindest vorübergehend! Jedenfalls war ich noch in der Stadt um einen neuen Collegeblock zu kaufen, meine sind fast alle vollgekritzelt mit Notizen zu irgendeiner Kultur in Südamerika. Jetzt bin ich auf dem Weg zurück nach Hause.

Da höre ich plötzlich neben mir eine leicht herrische Frauenstimme: "Hey! Luna!"
Ich drehe mich in die Richtung aus der die Stimme kommt. Und finde mich prompt ihrer Besitzerin gegenüber. Eine alte Frau mit raspelkurzen grauen Haaren und braunen Adleraugen. Sie ist dünn und hat eine standhafte Körperhaltung. Ich erkenne sie von den Fotos, die in Blakes Unterlagen zum Rudel sind. Sarah Lancaster, die inoffizielle strenge Kindergärtnerin des Rudels. Und die Einzige von noch härterem Kaliber als Johanna Arterton, mein Schwiegermonster.

Sarah Lancaster sieht mich auffordernd an bis ich sage: "Ja?"
Dann sagt sie ohne Umschweife: "Komm mit, es gibt Tee."
Danach dreht sie sich um und geht durch einen Garten zu dem Haus, vor dem sie eben noch gestanden hat. Das ist dann wohl ihres. Zögernd folge ich ihr. Als ich mich einmal kurz umdrehe, sehe ich, wie ein paar Leute auf der Straße stehengeblieben sind und zu mir sehen. Da drehe ich mich doch lieber schnell wieder zu Sarah Lancaster.

Ihr Haus ist, wie viele Häuser hier, eher rustikal. Außerdem scheint das meiste hier dazusein, weil es praktisch ist und nur sehr wenig aus Gründen der Zierde.

Sarah Lancaster geht zu einem großen Tisch, der in der Mitte eines schlichten Zimmers steht. Auf dem Tisch steht eine Kanne und zwei Tassen. Sie gießt Tee in die zwei Tassen und setzt sich. Anschließend bedeutet sie mir mit einer knappen Kopfbewegung, mich ebenfalls hinzusetzen. Ich gehorche wortlos. Diese Frau verstrahlt eine Autorität, die richtig unheimlich wirkt.

Aber deswegen muss man ja nicht gleich seine Klappe halten. "Verzeihung wenn die Frage dumm klingt, Mrs Lancaster, aber warum haben Sie mich zum Tee eingeladen? Sie sind mir doch noch nie begegnet." sage ich also.
Sarah Lancaster wirft mir einen leicht tadelnd wirkenden Blick zu bevor sie antwortet. "Ich verfahre mit dir genau wie mit allen neuen Rudelmitgliedern. Wenn hier jemand neu ins Rudel kommt, nehme ich ihn erstmal eine Zeit lang unter die Lupe. Und dann entscheide ich mich, ob derjenige das Zeug dazu hat, Einer von uns zu sein oder nicht."

"Was passiert wenn derjenige nicht das Zeug dazu hat?" frage ich neugierig.
"Unwürdige werden ignorieret! Warum sollte ich meine kostbare Zeit auch weiterhin mit ihnen verschwenden, wenn mein Urteil schon feststeht?!" sagt sie. Dabei sieht sie mich die ganze Zeit schon irgendwie leicht mürrisch an. Lächelt diese Frau denn nie?

Aber jetzt erstmal zur eigentlichen Frage: "Und was machen Sie mit den Würdigen?"
"Ich lade sie zum Tee ein." antwortet sie schlicht.
Das ist es also. Sie hat mich erst beobachtet und dann als würdig empfunden. Und dieses Treffen ist der Beweis dafür. Ergibt durchaus Sinn, nur wurmt es mir leider gewaltig, dass sie einfach so Leute beurteilt ohne sie richtig kennen zu lernen. Und wer hat ihr eigentlich das Recht gegeben, Leite überhaupt erst derart zu beurteilen?

Ein vernünftiger Mensch würde sie das vermutlich nicht direkt fragen. Aber ich und vernünftig... das ist so eine Sache.

"Hmm! Ein Hitzkopf, genau wie immer! Dann hör mal gut zu, Mercedes. Ich habe mein ganzes Leben damit verbracht, Menschen und Wölfe in neue Berufe und Umgebungen einzuweisen. Nach einer gewissen Zeit bekommt man ein Gefühl dafür, wer in seinem neuen Beruf oder Umfeld auch zurechtkommen wird und wer nach ein paar Wochen sowieso wieder nach Hause gehen wird. Meine Beurteilung der neuen Rudelmitglieder hat also einen einfachen Grund: das Rudel will wissen, ob das neue Mitglied auch bleiben wird! Wenn es das nicht tut, kann man die Sache mit dem Kennenlernen auch gleich vergessen, spart Zeit! Der Großteil des Rudels akzeptiert also nur diejenigen, die vorher meinen Test bestanden haben. Meinen Beobachtungen zu Folge wirst du wohl bleiben und eine gute Luna sein. Da dachte ich, es wird langsam Zeit, dass du hier angenommen wirst, Mädchen."

Ich bin mir nicht sicher, ob ich davon jetzt entsetzt oder begeistert sein soll. Das Urteil des Rudels hängt von dieser einen alten, gruseligen Kindergärtnerin ab!

Und es kommt noch besser! Sobald ich meine Tasse geleert habe, sagt Sarah auch schon Tschüss und wirft mich damit indirekt wieder raus. Sehr seltsam, diese Frau!

Als ich schließlich nach Hause komme, sehe ich Blake in Wolfsform in unseren Garten laufen. Kurz nach meiner Rückkehr aus Idaho hatte ich entdeckt, dass es hinter unserem Haus auch einen Spind für Klamotten gibt. Seitdem weiß ich, dass mein Mate gerne Laufen geht.
Ich gehe zu ihm, um ihn zu kraulen. Sein Fell ist aber so was von superweich, dass ich mich stattdessen mit dem Oberkörper an seinen Kopf kuschele. Toll, das würde ich gerne öfter machen, ultraflauschig und riecht nach Blake!

Plötzlich zuckt Blake und stellt wachsam die Ohren auf. Er scheint zu lauschen. Aber seltsamerweise nimmt er dafür nicht seinen Kopf von meinem Oberkörper. Dann tritt er zurück und verwandelt sich wieder in einen Mann. Mit einer Mischung aus Überraschung und unbändiger Freude sieht er mich an. Beziehungsweise meinen Oberkörper. Dann breitet sich langsam ein Strahlen auf seinem Gesicht aus.

Er hebt den Kopf, sieht mir in die Augen und sagt: "Merry! Du bist schwanger!"

Und... hier das fünfte und letzte Kapitel der Lesenacht. Dachte schon, ich werde nicht mehr rechtzeitig fertig😅.  Viel Spaß beim lesen!😊

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