Tori wundert sich nicht schlecht als wir eine Stunde später mit Chambers und einigen Utensilien, die wir für unsere Arbeit brauchen, ins Rudelhaus kommen. Aber Philipp, Eve und ich reden kurz mit ihr und erklären unser Vorhaben. Als sie hört, dass er mich geschlagen hat, besteht sie darauf, dass ich mich setze. Und mit unserem Vorhaben erklärt sie sich einverstanden, obwohl es eigentlich gegen die Regeln ist. Sie findet, er hat es verdient.Wenige Minuten später hängen Tom, Aiden und Philipp einen geteerten und gefederten Chambers mit drei Seilen wie ein Ausstellungsstück etwa zwei Meter über den Boden. Die Seile sind an einem Ende um seinen Brustkorb und seine Hüfte gebunden und am anderen um drei verschiedene Deckenbalken. Sie halten ihn an Platz und Stelle. Er sieht aus wie ein schwebender, federiger Schneemann. Ziemlich ulkiger Anblick!
Nach und nach kommen immer mehr Rudelmitglieder ins Rudelhaus um zu sehen, was hier vor sich geht. Einige schütteln bei Chambers' Anblick den Kopf. Aber die meisten amüsieren sich und machen Fotos.
Als sich schließlich eine ansehnliche Menge versammelt hat und der Geräuschpegel steigt, wacht Chambers auf. Tom hatte ihn, bevor wir ihn herbrachten, k.o. geschlagen. Als er wieder zu sich kommt, blickt er panisch um sich und scheint die Situation nicht so wirklich zu verstehen.
Mein Auftritt.
Ich begebe mich auf das Podest, das wenige Meter von Chambers entfernt steht und hebe die Hände. Die Anwesenden werden still und warten auf das, was ich zu sagen habe.
Und ich lasse sie nicht lange warten. Ich sage: "Liebe Versammelte. Viele von euch fragen sich bestimmt gerade, warum Frank Chambers hier in der Mitte des Raumes wie ein Huhn herumhängt. Das ist eine berechtigte Frage und daher würde ich sie gerne beantworten."Ich steige vom Podest und gehe zu Chambers. Die Menge lässt mir Platz.
"Heute morgen hat der hier herumhängende Frank Chambers mich in eine dunkle Seitenstraße gezogen. Dort schlug er auf mich ein und drohte, mich und mein ungeborenes Kind zu töten, sollte ich nicht das Rudel für immer verlassen." fahre ich fort. Ich halte meinen Blick dabei fest auf Chambers fixiert, höre aber das Murren der anderen Anwesenden.
"Seiner Drohung nachgeben steht für mich allerdings außer Frage. Derartigen Drohungen nicht nachzugeben ist nämlich eine meiner Grundprinzipien. Außerdem finde ich es absolut inakzeptabel, dass dieser Mann ein ungeborenes Baby bedroht. Also" an dieser Stelle wende ich mich von Chambers ab und der Menge zu, "habe ich mich entschlossen, den Spieß umzudrehen. Solche Drohungen funktionieren nämlich nur, wenn das Ganze auch geheim bleibt und niemand, der eventuell eingreifen könnte, davon erfährt. Und das weiß Frank Chambers auch! Deswegen hat er mich ja auch gezwungen, ihm zu versprechen, dem Alpha nichts zu sagen. Da er drohte, mein Baby zu töten, versprach ich es. Von meinen Freunden hatte ich aber nichts gesagt. Und ebenso wenig vom Rest des Rudels. Ich kann mein Versprechen also halten, ich muss es Blake nicht sagen. Aber nach allem, was hier gerade passiert, wird er es definitiv auch so erfahren."
Als Chambers meine letzten Worte hört, bricht ihm der Schweiß aus. Er hat Angst.
Gerade will ich weiter reden, da drehen sich plötzlich alle zum Eingang des Rudelhauses und eine mir nur allzu bekannte Stimme sagt: "Was zur Hölle ist hier los?"Ich drehe mich um und sehe Blake, flankiert von zwei weiteren Männern und einer Frau, im Eingang stehen. Und mein Mate wirkt nicht gerade glücklich, möchte ich hinzufügen. Aber bevor ich etwas sagen kann, gehen Philipp und Ryan zu ihm und erklären die Situation.
Mit besorgter Miene kommt Blake zu mir und legt seine Hände auf meine Schultern. "Geht es dir gut? Bist du verletzt?" fragt er.
"Ich werde es überstehen. Dr. Foster hat mich noch zwischen zwei ihrer Termine geschoben. Ich gehe gleich zu ihr um sicher zu gehen, dass dem Baby nichts passiert ist. Aber mir geht es soweit gut, ja." antworte ich nüchtern. Er nickt und sagt: "Ich werde mitkommen. Wann ist der Termin?"
"Um 3." sage ich, froh, dass Blake mich begleiten wird.Dieser wendet sich jetzt an Chambers.
"Du hast also meine Mate geschlagen, Frank?" fragt er. Ich hatte erwartet, dass er wütend ist und praktisch ausrasten würde, aber nein. Er wirkt ganz ruhig. Was mich allerdings eher beunruhigt. Ich weiß, dass Blake ein Meister der Selbstbeherrschung ist. Wie wütend er in diesem Augenblick tatsächlich ist, kann niemand sagen.Frank Chambers lacht verächtlich. "Sie ist ein MENSCH!! Der Posten der Luna ist heilig! Er steht einem wertlosen Menschenmädchen nicht zu! Du hättest sie schon längst wegschicken sollen! Du denkst, du kannst hier tun was du willst? Das Rudel wird mir Recht geben! Niemals würde das Rudel zulassen, dass du mich wegen einem bescheuerten Menschen auspeitschen lässt!!" schreit er. Ich spüre ein altbekanntes Gefühl von Wut und Hilflosigkeit in mir. Weil ich weiß, dass er Recht haben könnte.
Blake hingegen bleibt ruhig. Er schmunzelt nur, kurz und humorlos.
"Es ist wahr, die Schwierigkeiten, denen Mercedes hier als Luna ausgesetzt ist, sind noch nicht vollständig behoben. Aber die meisten Mitglieder des Rudels haben sie mittlerweile akzeptiert, daher hätten sie vermutlich nichts dagegen. Und diejenigen, die noch immer ein Problem mit ihrer Spezies haben, werden mir aus einem anderen Grund zustimmen." Chambers scheint verwirrt. Bis Blake fortfährt und sagt: "Das Kind, das du gedroht hast zu töten ist nämlich nicht nur Merrys, sondern auch meins."Chambers wird sichtlich nervös. Und ich muss fast lächeln. Aber der Gedanke, Blake würde jemanden auspeitschen lassen, macht mich auch nervös.
"Aber keine Sorge, Frank. Ich werde dich nicht auspeitschen lassen. Tatsächlich habe ich schon seit deiner letzten Entlassung aus dem Gefängnis über die Strafe nachgedacht, die ich dir auferlegen würde, solltest du noch einmal gegen unsere Regeln handeln. Meine Entscheidung steht also bereits fest." meint Blake nun, immernoch vollkommen ruhig. Ich bin erleichtert. Aber gleichzeitig habe ich ein ungutes Gefühl. Von welcher Strafe redet Blake?
Die anderen im Raum scheinen es zu wissen oder zumindest zu ahnen. Viele verlassen den Raum wortlos, die anderen wirken unruhig und vermeiden Blickkontakt.
Blake wendet sich an Ashley, die neben mir steht. "Ashley, würdest du Mercedes bitte mit nach Hause nehmen? Da du jetzt in direkter Nähe der Arztpraxis wohnst, wäre somit Zeit gespart. Ich werde mich euch anschließen, sobald ich hier fertig bin." bittet er sie höflich. Ashley nickt wortlos und sie und Eve ziehen mich sanft in Richtung Ausgang. Das bedeutet dann wohl, dass Blake nicht will, dass ich sehe, was er jetzt vorhat. Eine dunkle Vorahnung beschleicht mich.Auf dem Weg nach draußen sehe ich über meine Schulter wie ein Mann, dem die Angst ins Gesicht geschrieben steht, ein paar Schritte auf Blake zugeht. Flehentlich sagt er: "Bitte, Alpha Blake... er ist mein Bruder. Ich verbürge mich für ihn, ich werde dafür sorgen, dass er sich von jetzt an benimmt...".
"Dass du deinen Bruder schützen willst ist edel von dir, Gerald. Aber ich fürchte, es ist auch sinnlos. Wie ich schon sagte, mein Entschluss steht fest." erwiedert Blake gelassen.Ashley und Eve ziehen mich sanft nach draußen. Aber sobald die Tür hinter uns zugefallen ist, reiße ich mich los und sage: "Ich will sehen, was er vorhat!"
Ashley und Eve tauschen einen Blick. "Nein, glaub mir, das willst du nicht." sagt Eve schließlich. Ihr Gesicht ist verschlossen, es ist unmöglich zu sagen, was sie denkt oder empfindet.
"Haltet mich nicht auf!" sage ich nur.Entschlossen drehe ich mich um und gehe zurück zum Rudelhaus. Vorsichtig öffne ich die Tür einen Spalt breit und spähe hinein.
Der Raum ist mittlerweile fast leer, also habe ich direkte Sicht auf das Geschehen. Chambers hängt nicht mehr an seinen Seilen. Er ist auch nicht mehr gefesselt und ist gerade dabei, sich die Federn abzuwischen. Er steht vor Blake.
Niemand sagt etwas.
Sobald das Gröbste abgewischt ist, hört Chambers mit seiner Tätigkeit auf und sieht zu Blake.Dieser lässt Chambers in Ruhe sein Werk vollenden. Aber danach zögert er nicht. Mit zwei entschlossenen Schritten überbrückt er den Abstand zwischen sich und Chambers. Mit einer schnellen Bewegung dreht er Chambers' Kopf um 180 Grad nach links und bricht ihm so mit beiden Händen das Genick. Chambers' Körper sackt leblos zu Boden. Er ist tot.
Ich keuche auf. Es fühlt sich an, als hätte mir jemand die Faust in den Magen gerammt. Mein Blake hat gerade jemanden getötet!
Und er hat mich gehört. Da niemand sonst irgendein Geräusch gemacht hat, war mein Keuchen deutlich hörbar. Blake dreht sich um und sieht mich. Er begreift, dass ich sein Urteil mit angesehen habe. Gerade will er auf mich zugehen und etwas sagen, da drehe ich mich um und renne weg.
Hey Leute,
Dieses Kapitel ist etwas länger als meine anderen Kapitel, aber immernoch lesbar, hoffe ich. Wie gefällt es euch so? Und was haltet ihr von Blakes Tat?
DU LIEST GERADE
Die Luna
WerewolfAls Mensch inmitten eines Werwolfsrudels hat man es wirklich nicht leicht. Aber ich komme damit klar. Und das werde ich auch in Zukunft. Zumindest hatte ich das geplant. Und außerdem noch echt gut durchdacht! Aber dann hat einer dieser Wölfe festges...