Kapitel 60

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Ich renne entsetzt vom Rudelhaus weg und in den Wald rein. Ohne groß auf meine Umgebung zu achten, renne ich weiter und weiter. Bis mir einfällt, dass das nicht gut für mein Baby ist. Also bleibe ich stehen und lehne mich keuchend gegen einen Baum. Jetzt stehe ich mit dem Rücken in die Richtung des Rudelhauses. Falls es also noch in Sichtweite sein sollte, könnte man mich dank des Baumes gerade trotzdem nicht sehen.

Ich lege eine Hand auf meinen mittlerweile schon ganz leicht gewölbten Bauch. Erst die Prügelei mit Chambers heute morgen und jetzt die Rennerei. Ich hoffe inständig, dass es meinem Baby gut geht. Zum Glück habe ich den Arzttermin.
Den, zu dem Blake mich begleiten wollte.
Blake.
Ich weiß nicht, ob ich emotional in der Lage sein werde, mit ihm zum Arzt zu gehen als sei nichts geschehen. Nach dem, was ich gerade gesehen habe...

Von Beginn an war Blake immer so unglaublich lieb zu mir. Er hat mir geduldig zugehört, war immer für mich da und hat mich in meinen Vorhaben unterstützt. Nie im Leben hätte ich gedacht, dass mein freundlicher, geduldiger Mate völlig ohne Zögern jemanden umbringen würde.

"Hey Merry! Du bist in die falsche Richtung gelaufen." höre ich plötzlich eine Stimme. Ich sehe nach rechts. Ein paar Meter neben mir steht Eve und schaut mich an. Ich sehe fragend zurück.
"Unsere Wohnung liegt in der anderen Richtung. Ash und ich wollten dich doch erstmal mit zu uns nehmen, bevor du zum Arzt gehst. Und fürs Protokoll: ich glaube, es wäre das Beste, wenn wir das auch so machen. Dann kannst du mit Ash und mir bei uns Zuhause in Ruhe über Blake reden." fügt sie hinzu.

Das klingt vernünftig. Ich straffe meine Schultern und gehe mit ihr. Eve legt einen Arm um meine Schultern und führt mich durch den Wald zur Stadt zurück und in Richtung ihrer neuen Wohnung. Dabei gehen wir nicht nochmal zum Rudelhaus, um, wie ursprünglich geplant, das Auto zu nehmen. Was mir nur Recht ist. Beim Rudelhaus könnte ich Blake über den Weg laufen und bei dem Gedanken daran kriege ich wieder Panik. Das ist doch bescheuert! Ich sollte meinem eigenen Freund nicht aus dem Weg gehen wollen!

In Ashley und Eves Wohnung angekommen kriege ich von Ashley sofort eine Tasse mit heißer Schokolade in die Hand gedrückt. Eve zieht mich aufs Sofa und die beiden setzen sich zu mir. Schätze, dann ist jetzt wohl quatschen angesagt.

"Wieviel genau hast du denn überhaupt mitbekommen?" fragt Ashley.
"Blake hat Chambers getötet." antworte ich knapp.
"Okay, vielleicht gehen wir es lieber anders an." meint Eve und wirft ihrer Freundin einen Ich-glaube-mit-Detailbesprechung-wird-das-nichts-Blick zu.
"Verstehen wäre vielleicht hilfreich. Weißt du warum Blake ihn getötet hat?" fragt Eve.

Ich seufze. "Weil er mich und mein Baby bedroht hat, denke ich." sage ich. Meine Antworten fallen gerade eher wortkarg aus. Ein klares Zeichen dafür, dass bei mir gerade nicht alles okay ist.

Ashley und Eve tauschen einen Blick. Nach kurzem Zögern ergreift Ashley schließlich das Wort: "Stimmt, Blake würde nie zulassen, dass jemand seine Mate und sein Kind bedroht. Aber wenn es nur das gewesen wäre, hätte er ihn vermutlich für den Rest seines Lebens ins Gefängnis sperren lassen. Und vielleicht auspeitschen lassen, aber nicht gleich ohne Prozess getötet. Die Wahrheit ist, Chambers ist schon öfter ausfällig geworden. Er konnte es nie akzeptieren, wenn ein Werwolf einen Menschen als Mate hatte. Im Rudel bist du aber nicht die erste menschliche Mate. Er hat schon öfter in solchen Fällen die jeweiligen Menschen angegriffen, einen sogar ermordet. Viermal ist es bisher vorgekommen. Blake hat ihn jedes Mal härter bestraft. Ihn verbannt, aber er kam wieder und blieb partout nicht weg. Ihn auspeitschen lassen, es half nicht. Und ihn ins Gefängnis gesteckt. Aber Chambers' Familie hat Geld und Einfluss, sie haben ihn nach ein paar Jahren wieder raus gekriegt. Immer wieder hat Gerald, sein jüngerer Bruder, sich für ihn eingesetzt, sich für ihn verbürgt und auf Blake eingeredet. Das letzte Mal ist Chambers nur sehr knapp davon gekommen. Also hat Blake dieses Mal nicht gezögert."

Ich schüttele meinen Kopf. "Ich verstehe schon, warum er das getan hat. Das ist es nicht. Es geht darum, wie er es getan hat. Er war nicht rasend vor Wut oder so. Nein, er war absolut ruhig. Dass da ein Mann unter seiner Hand starb hat ihn völlig kalt gelassen. Da war kein noch so kleiner Hauch von Mitleid oder Reue. Versteht mich nicht falsch, ich finde nicht, dass er es bereuen sollte. Aber ich kenne Blake als einen warmherzigen und gütigen Mann. Nie im Leben hätte ich gedacht, dass er zu so etwas fähig wäre! Ich habe das Gefühl, mit einem Fremden im Bett gewesen zu sein." bricht es aus mir raus.

Eve streichelt sanft meinen Rücken. Für einen Moment sagt keiner was. Dann seufzt Eve und meint: "Jade hat dir mal gesagt, Blake wäre für seine Kaltblütigkeit bekannt. Ich kann dir versichern, er ist nicht kaltherzig. Er ist genau der Mann, den du kennengelernt hast. Er würde nie jemandem wehtun ohne einen triftigen Grund. Dennoch kommt sein Ruf nicht von ungefähr. Wenn er in einer schwierigen Situation sieht, dass es für alle das Beste wäre, den Täter hinzurichten, dann tut er das auch. Er ist zweifellos ein guter Kerl, aber er ist auch in der Lage zu tun was getan werden muss. Egal was es ist. Ich betrachte diesen Teil von ihm als Stärke. Aber viele andere fürchten sich deswegen vor ihm."

Ich wische mir eine Träne von der Wange. Mir ist immernoch mulmig zu Mute, aber es geht mir schon etwas besser.

Da klingelt es an der Tür. Ich sehe auf die Uhr. Es ist 2:40 Uhr. Das muss Blake sein. Er wollte mich zum Arzt begleiten. Aber ich weiß nicht, ob ich gerade mental in der Lage bin mit ihm zu reden. Und blöderweise hat die Wohnung keinen Hinterausgang.
Scheisse, was jetzt?

Die LunaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt