Kapitel 21

10K 366 8
                                    


Wir liegen auf der Couch und sehen uns irgendeinen Film an. Es ist allerdings schwer, sich auf den Film zu konzentrieren, weil Blake mich dauernd auf die Schläfe oder die Stirn küsst. Oder mir mit seiner Hand durchs Haar fährt. Oder meinen Rücken streichelt. Fühlt sich toll an, aber wie soll ein Mädchen sich so auf den gerade laufenden Film konzentrieren?

Nach etwa 20 Minuten denke ich, ach scheiss drauf, und schalte den Film wieder aus. So! Jetzt kann ich ganz ungestört mit meinem Mate schmusen. Klasse! Mit einem zufriedenen Schnurren schmiege ich mich enger an ihn. Er lacht leise, beschwert sich aber nicht und zieht mich sanft etwas näher zu ihm hin.

"Hast du gerade geschnurrt?" fragt er amüsiert. Ich antworte ihm ohne die Augen zu öffnen oder meinen Kopf aus seiner bequemen Position zu verschieben. "Lass mich, ich schnurre, wann ich will!". Er lacht leise.

Es ist ein sehr emotionales Abendessen gewesen. Erst mein Ausraster und dann das Gespräch über meine Familie und wie ich sie vermisse. Dabei habe ich einmal fast weinen müssen. Blake hat meine Hand gehalten, gesagt, wie sehr es ihm leidtut, dass er mich von meinem Zuhause weggeholt hat und mir versprochen, dass wir sie bald besuchen können.
Ach ja, und seine Worte, die er gesagt hatte als ich oben die Tür für ihn geöffnet habe, kommen noch dazu. Er sorgt sich ernsthaft um mich. Das freut mich sehr. Und es löst irgendwie ein eigenartiges Gefühl in meinem Bauch aus. Überhaupt scheint mein Körper sehr sensibel zu reagieren, wenn es um Blake geht. Mal kriege ich weiche Knie, mal Schmetterlinge im Bauch und mal einen Stich in die Herzgegend. Und dann ist da noch das Gefühl wohliger Wärme, die sich langsam aber sicher in Hitze umwandelt und immer eintritt, wenn ich ihm nahe bin oder er irgendwas besonders Süßes zu mir sagt.

Lange Rede, kurzer Sinn: nach dem Essen sind wir beide ein wenig erschöpft und haben uns einvernehmlich für eine Pause auf dem Sofa entschieden. Oder... also gut, ich war die emotional Erschöpfte gewesen und hatte den sich darüber ein Lachen verkneifenden Blake deswegen mit mir zum Sofa gezerrt. Er hatte den Film ausgesucht und lässt sich ruhig und willig von mir als Kuschelteddy benutzen. Hatte ich schon erwähnt, dass ich ihn absolut großartig finde?

"Sag mal, hast du für morgen Nachmittag eigentlich schon was vor?" unterbricht er meine Gedankengänge. Ich wende meinen Kopf, bis ich ihm in die Augen sehen kann und zeichne mit meinem Zeigefinger seine Wange und sein Kinn nach. "Nein, habe ich nicht. Wieso? Hattest du dort irgendwas Bestimmtes geplant?" frage ich träge.
"Ich nicht, ich muss arbeiten, aber Julia hat gefragt, ob du dich mit ihr auf einen Kaffee treffen möchtest."
Hmm, ein Nachmittag mit Julia... nach ein paar Sekunden des Überlegens, komme ich zu dem Schluss, dass das ziemlich gut klingt.
"Okay, bin dabei. Wann und wo?"

***

Das Café Angelo ist ein süßes, gemütliches Café direkt in der Mitte der Stadt. Als ich reinkomme, ist Julia schon da. Sie steht auf und umarmt mich, als ich zu ihr komme.
"Hey, da bist du ja! Wie geht's dir, Süße? Puh, hast du eigentlich auch einen Spitznamen? Ich meine, Mercedes ist zwar ein hübscher Name, aber er ist so lang! Und ich weiß nicht, ob alle wissen werden, wen ich meine, wenn ich dich immer Süße nenne.". Beim letzten Satz muss sie grinsen. Ich grinse zurück und antworte leichthin: "Ja, ich habe einen Spitznamen. Merry, wie in 'Merry Christmas', zum Beispiel.". Julia lacht. "Witzig! Und irgendwie cool! Also gut, Merry, zu allererst, was willst du trinken?"

Ich entscheide mich für eine Tasse schwarzen Tee mit leichtem Zimtaroma. Schmeckt nicht schlecht! Und die Unterhaltung mit Julia verläuft zunächst auch gut. Sie erzählt mir, wo ich in dieser Stadt das Rudelhaus, den Supermarkt und die Bibliothek finde. Wir reden gerade darüber, dass wir nachher die Hauptstraße entlang gehen könnten und uns die Läden dort ansehen, als mir auffällt, dass wir beobachtet werden.

Und nicht nur von Einem. Fast alle Leute im Café starren uns entweder offen an oder werfen uns hin und wieder verstohlene Blicke zu. Und sie sehen dabei nicht gerade glücklich aus, möchte ich hinzufügen. Ich wende mich an Julia. "Sag mal, hast du mitbekommen, dass wir angeglotzt werden? Ich meine, ich bin das zwar aus meinem alten Rudel gewohnt. Da kriegt der Spruch 'fühl dich wie Zuhause' mal ein ganz neues Image! Aber in Idaho wusste ich wenigstens, warum die Leute mich so vorwurfsvoll angesehen haben. Nur: hier habe ich doch noch niemanden beleidigt oder mich mit ihm geprügelt?! Was soll also hier das Gestarre?"

Julia beißt sich auf die Unterlippe und sieht verlegen zur Seite. Sie scheint zu überlegen. Schließlich seufzt sie und sagt: "Viele im Rudel sind mit dir als ihrer neuen Luna nicht zufrieden, zumindest noch nicht. Sie werden dich bestimmt noch akzeptieren, aber momentan sind sie misstrauisch. Du bist seit ein paar Generationen die erste Luna, die nicht aus der Gegend stammt. Außerdem kommst du aus bescheidenen Verhältnissen, unsere Eltern mögen dich nicht und Elena wird deinetwegen nicht die Luna werden. Auf sie als Luna hatten sich schon Viele gefreut."
Ich ziehe eine Grimasse. "Die Tatsache, dass ich ein Mensch bin, ist da vermutlich auch nicht gerade hilfreich." Langsam fühle ich mich hier wirklich auf seltsame Art wie Zuhause. Julia seufzt nochmal. "Ja, das auch. Aber das stört eigentlich die Wenigsten. Das Hauptproblem ist, dass du kaum eine Woche hier bist und dich trotzdem schon mit den Alphaseltern und mit Elena angelegt hast."

Jetzt hebe ich erstaunt die Augenbrauen. "Moment mal! Mit Elena habe ich mich doch gar nicht angelegt! Ich habe ihr nur zu verstehen gegeben, dass ich es uncool finde, als weniger wert betrachtet zu werden, nur, weil ich ein Mensch bin!"
Julia wiegt den Kopf hin und her. "Ach Schätzchen, ich wünschte, das würde es besser machen! Aber leider hast du im Grunde, allein schon weil du Elena vom Posten geschubst hast, ein schlechtes Image. Das wird sich zwar ändern, ganz sicher! Nur wirst du dafür etwas warten müssen." Sie hält einen Moment inne und drückt leicht meinen Arm. "Mein Rat: sei nett und offen zu den Leuten, denen du begegnest. Dann wird das schon."
Ich nicke. Schlimmer als in Idaho kann es sowieso kaum werden!

Julia lehnt sich wieder zurück und beginnt, schelmisch zu grinsen. "So! Und jetzt bist du mit Erzählen dran! Mom und Grandma haben mir nämlich nicht gesagt, was genau bei ihnen passiert ist. Sie erwähnten nur ein sexy Nachthemd, ein paar Unverschämtheiten am Morgen und einen leicht überforderten Blake. Ich will alles wissen! Und nicht an Details sparen, bitte!"

Ich grinse sie genauso schelmisch zurück an.

Die LunaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt