Die Luna

Kapitel 23

Julia hebt amüsiert die Augenbrauen und Blake seufzt. Sein Blick ist irgendwie mitfühlend. Julia ist die erste, die sich zu Wort meldet.
"Ich bin mir gerade nicht ganz sicher, ob ich Respekt zeigen und gehen, oder das Folgende mit meiner Handykamera filmen sollte.". Sie kichert.
"Ersteres, auf jeden Fall ersteres! Dieses Gespräch sollten Merry und ich  unter uns führen." meint Blake ruhig. Julia umarmt mich und Blake kurz und geht dann. Dabei wirft sie uns noch einen amüsierten Blick zu.

Sobald sie weg ist, fahre ich da fort, wo ich eben unterbrochen wurde.
"Wie bescheuert ist das denn?!? Die Partnerin beim Sex zu beißen! Total krank! Das kommt überhaupt nicht infrage! Denk nicht mal dran! Wenn wir beide mal Sex haben sollten, dann wird dabei nicht gebissen, verstanden?"

Blake verdreht die Augen und schüttelt den Kopf. "Eigentlich sollte es mich nicht mehr wundern, zu erfahren, dass du über einige Dinge, die eigentlich zum Grundwissen über Werwölfe zählen, keine Ahnung hast! Der Markierungsprozess ist eine Sache, die innerhalb eines Rudels normalerweise präzise erklärt wird. Das geschieht meistens in der Schule, einhergehend mit dem Sexualunterricht. Da du diese Stunden offenbar verpasst, oder währenddessen nicht aufgepasst, hast, erkläre ich es dir nochmal. Setz dich bitte." Er deutet auf die Barstühle, die auf der einen Seite der Kochinsel stehen. Natürlich auf der Seite, die dem Esszimmer zugewandt ist und eigentlich nicht mehr richtig zur Küche gehört. Weil die Stühle ja sonst in der Küche im Weg stehen könnten. Logisch und praktisch. Wie Blake halt.

Ich setze mich und sehe ihn aus zusammen gekniffenen Augen auffordernd an. Er setzt sich neben mich, sieht mich an und fängt an, geduldig zu erklären: "Werwölfe sind schon immer von Natur aus impulsiv gewesen. Deswegen ist es schon oft zu Kämpfen zwischen Rudeln gekommen. Und dann ist da die Sache mit den Mates. Seine Mate zu finden kann man sicher mit 'Liebe auf den ersten Blick' vergleichen. Sobald ein Werwolf seine oder seinen Mate gefunden hat, drängt sein Inneres ihn dazu, am neugefundenen Partner festzuhalten und diesen zu verteidigen. Grundsätzlich ist das durchaus gut so, weil das dazu führt, dass es weniger Herumgesuche, schwere Entscheidungsprozesse und eifersüchtige Kämpfe um dieselbe Frau gibt, zum Beispiel. Schließlich gibt es für jeden Werwolf auf der Welt nur eine Mate.
Allerdings hat es auch Nachteile. Wenn ein Werwolf sieht, wie ein Anderer seiner Mate zu nahe kommt, wird sein Beschützterinstinkt und seine Wut zugleich aktiviert, weil die betreffende Person zu ihm gehört. In so einem Moment kommt es oft vor, dass der Werwolf denjenigen, der seiner Mate zu nahe gekommen ist, ernsthaften Schaden zufügt. Früher ist es deswegen zu vielen Todesfällen gekommen." Er hält inne und holt tief Luft um seine nächsten Worte zu betonen.

"Bis der Markierungsprozess eingeführt wurde. Es ist nicht mehr bekannt, wer genau die Idee dazu hatte. Man weiß nur noch, dass der- oder diejenige aus Mazedonien kam. Das ist aber auch nicht so wichtig. Wichtig ist, dass andere Werwölfe es seitdem wittern können, wenn jemand schon der oder die Mate eines Anderen ist. Und seit das der Fall ist, ist die Anzahl an Todesfällen, die durch heftige Reaktion eines Mates entstehen, drastisch zurück gegangen. Also wurde das Markieren ein allgemeines Ritual, das vollzogen wurde, sobald die jeweiligen Mates zusammen kamen, was traditionell die Hochzeitsnacht war."

Ich schnaube verächtlich. "Na klar, das ist superhilfreich! Und Jacob habe ich mir vermutlich nur eingebildet!" sage ich sarkastisch. Er blinzelt kurz und scheint zu überlegen. Dann sagt er: "Jacob... war das ein Freund von dir? Wurde er von einem Werwolf getötet, weil er dessen Mate angerührt hat?"
"Eher ein Bekannter als ein Freund. Und nein, genau das ist ja der Punkt!! Er hat sie nicht angerührt! Die beiden hatten sich nur flüchtig umarmt, weil sie sich über die angeblich ach so tolle Neuigkeit gefreut hatten, dass sie ihren Mate gefunden hat! Aber das hat natürlich niemanden interessiert! Jack hat Jacob ermordet und wurde nicht mal dafür bestraft. Nur ich wurde mal wieder bestraft! Weil ich ihm eine Szene gemacht habe."

Blake sieht mich bedauernd an.
Als er wieder anfängt zu sprechen, ist seine Stimme sehr sanft. "Die Wahrheit ist manchmal nicht schön, aber das macht sie leider nicht weniger wahr. Und wahr ist: derartige Ausraster passieren ab und zu. Zwar sind die Häufigkeitsraten seit Einführung des Markierungsprozesses deutlich gesunken, aber ganz aus der Welt schaffen lässt sich das Problem leider nicht. Das wäre vollkommen unmöglich! Es wird immer Leute geben, die durch ihr Handeln Andere verärgern und Solche, die zu impulsiv sind, um sich im entscheidenden Moment beherrschen zu können. Und diese Tatsache trifft auf beide Spezien zu, nicht nur auf Werwölfe."

Ich seufze. Natürlich bin ich immernoch der Meinung, dass Jack ein Arsch ist. Für so ein Verhalten gibt es keine Entschuldigung! Aber ich verstehe, was Blake meint. 
Da kommt mir gerade der ursprüngliche Sinn unseres Gespräches wieder in den Sinn. "Beissen darfst du mich trotzdem nicht! Das könnte man doch einfach weglassen."
Blake hebt mitfühlend die Augenbrauen und schüttelt den Kopf. "So läuft das nicht. Das Markieren hat sich über die Jahrhunderte so sehr eingebürgert, dass es mittlerweile seit etwa dreihundert Jahren eine Art Reflex ist. Wenn wir zum ersten Mal mit unseren Mates schlafen, markieren wir sie dabei automatisch. Es ist in unser Verhalten im Grunde einprogrammiert. Aber", er nimmt meine Hand, "das hat Zeit. Wenn du dazu bereit bist, wirst du bald feststellen, dass das Ganze nicht wirklich schlimm ist. Und du entscheidest, wann das sein wird." Er lächelt mich an. Und ich lächele ironisch zurück.

Unsere Beziehung wird für immer sexlos bleiben.