Die Luna

Kapitel 24

Genervt nehme ich meine Tasse wieder in die Hand und trinke noch ein paar Schlucke Tee. Es ist Sonntag. Ich sitze in Blakes Arbeitszimmer und schreibe meine Bewerbung für die Uni in der Nähe, an die auch alle studierenden Mitglieder des Rudels gehen. Zumindest die, die gleichzeitig auch noch hier wohnen und nicht weggezogen sind. Der Bewerbungsbogen ist lang und umständlich. Ich seufze. Langweiliger Papierkram! Zum Glück bin ich gleich fertig.

Die letzten Tage sind sehr ruhig verlaufen. Ich habe mit Blake über mein Studium geredet. Er war zuerst skeptisch, aber als ich ausgerastet bin änderte er seine Meinung. Jetzt ist er damit einverstanden, dass ich zum nächsten Semester auf dieser Uni anfange. Das Semester beginnt zwar erst in drei Monaten, aber die Bewerbung kann ich schon schreiben. Abgesehen davon haben wir Julia und ihre zwei Jungs besucht, sind zusammen ins Minenarbeitermuseum gegangen und ich habe gestern mal wieder Kekse gebacken. Das tue ich ganz gerne.

Gut, noch zwei Fragen, dann kann ich die Bewerbung endlich abschicken. So, fertig!
Ich lehne mich in Blakes Arbeitsstuhl zurück und strecke mich. Geschafft! Ich schalte den PC aus und gehe nach unten. Es ist 12:20 Uhr, aka Mittagszeit. Also will ich nachsehen, was sich in dieser Küche eventuell als Mittagessen verwenden lässt.

In der Küche begegne ich Blake. Der hatte offenbar dieselbe einzigartige Idee wie ich. Er steht nämlich am Herd und macht Rührei. Als ich in die Küche komme, wendet er sich mir zu und sagt: "Na, Süße, endlich fertig?". Ich nicke. Dann betrachte ich die Menge an Rührei in der Pfanne. "Ist das für uns beide oder nur für dich?" frage ich. Das kann ich nicht gut einschätzen. Werwölfe essen mehr als Menschen, aber ich habe noch kein präzises Gefühl dafür, wie viel mehr.
Blake lacht. "Für uns beide, natürlich. Ich wohne hier schließlich nicht alleine. Aber anstatt mir dabei zuzusehen, könntest du schon mal Teller und Besteck auf den Tisch stellen."

Das Rührei ist toll. Blake ist als Koch gar nicht übel, muss man ihm lassen. Dazu essen wir dunkle Brötchen, Tomaten und Bacon. Lecker!
Nach ein paar Minuten des Essens beginnt Blake ein Gespräch. "Falls du heute Nachmittag noch nichts vorhast, würde ich gerne einen Ausflug mit dir machen, Merry. Was meinst du?"
Ich zucke gespielt gleichgültig mit den Schultern. Dass ich mich wie verrückt darauf freue, muss er ja nicht gleich erfahren. Also sage ich: "Okay, warum nicht?! Etwas Anderes habe ich ja bisher nicht vor."

Das Rudelhaus hier in Alaska ist beinahe so groß wie das in Idaho. Allerdings viel rustikaler und mit hellem Holz verkleidet. Sehr hübsch! Und das freut mich auch. Leider stellt sich mir trotzdem noch die Frage, warum Blake mich hierhin bringt, nachdem er mir einen Ausflug versprochen hatte. Ich räuspere mich. "Ähm, Blake? Bitte sag mir, dass deine Vorstellung von einem 'Ausflug' nicht nur bedeutet: 'wir gehen ins Rudelhaus'!"

Für einen Moment sieht Blake mich verdutzt an. Dann wirft er den Kopf in den Nacken und fängt an, laut zu lachen. Glücklicherweise nur für ein paar Minuten. Als er sich wieder fängt, wirft er mir einen immernoch amüsierten Blick zu und schüttelt grinsend den Kopf. "Ach Merry, mit dir wird es wirklich nicht langweilig." Er hält kurz inne und betrachtet mich.  "Vielleicht sollten wir uns mal zusammensetzen und einmal das Basiswissen über Werwölfe miteinander durchgehen." Ein leichtes Lächeln umspielt seine Lippen. "Aber dieses eine Mal wird es noch eine Überraschung sein, warum wir hier hergekommen sind."

Er führt mich um das Gebäude herum zu dessen Rückseite. Hinter dem Rudelhaus ist eine große Wiese und dahinter beginnt der Wald. So weit, so normal. Ach ja, und das Rudelhaus hat an seiner Rückseite sehr viele Spinds. Genau wie die in der Uni, wo man immer seine Sachen für die fünfte Stunde während der vierten wegsperrt. Die gab es in Idaho beim Rudelhaus auch. Warum auch immer.

Blake drückt mir den kleinen Rucksack, den er mitgenommen hat, in die Hand. "Setz ihn bitte auf. Ich fürchte, ich werde ihn nicht tragen können und du wirst die Hände nicht frei haben." sagt er. Okay, jetzt bin ich richtig verwirrt. Und neugierig. Was hat er vor?
Er geht zu einem der Spinde und öffnet diesen. Dann zieht er sein Tshirt aus und verstaut es im Spind.
Ich starre ihn an. Sein Rücken ist absolut makellos und seine Arme und seine Brust sehen im Sonnenlicht sogar noch besser aus als sonst. Aber bevor ich hier jetzt in dauerhaften Anstarrmodus verfalle, frage ich ihn lieber, wieso er sich gerade auszieht.

"Hey, Blake! Das, was du da tust," er wendet sich zu mir um und sieht mich an, "was wird denn das, wenn's fertig ist?" beende ich meine Frage.
Er grinst leicht, antwortet aber ausnahmsweise mal nicht. Stattdessen sagt er nur: "Dreh dich um, wenn du das nicht sehen willst. Mir ist es egal."
Sehr hilfreich! Und schwere Entscheidung... eigentlich ist Blake ohne Klamotten ja ein echt heißer Anblick... aber als ich ihn das letzte Mal angestarrt habe, hat mir das danach sein selbstgefälliges Grinsen eingehandelt. Also sehe ich lieber zur Seite. Spinksen kann ich immernoch.

Aus den Augenwinkeln nehme ich wahr, wie Blake sich komplett auszieht. Danach wird es in meinem Augenwinkel irgendwie dunkel. Das verwundert mich einen Moment lang. Bis ich den Kopf drehe und ihn ansehe. Da begreife ich.
Dunkelbraunes, fast schwarzes Fell wächst aus Blakes Haut. Seine Glieder ziehen sich in die Länge und werden zu Wolfsbeinen. Sein Körper folgt der Verwandlung und schießt dabei vor allem in die Breite. Das Krasseste von alle dem ist aber sein Kopf! Die Zähne werden größer, spitzer, Fangzähne bilden sich. Die Ohren, der Mund und die Nase wachsen und bilden ein Wolfsgesicht. Und mittendrin die Augen. Das Einzige an ihm, das sich nicht verändert.

Jetzt steht ein riesiger Wolf vor mir, in etwa so groß wie ein ausgewachsenes Pferd, nur viel breiter und mit dickerem Fell.

Nur seine grauen Augen sind noch dieselben. Und mit denen werde ich gerade genauestens fixiert.

Okay... Heilige Scheisse!