Hier neben dir

Chapter 37

-SICHT MIRA-
Amelie und ich lassen uns im Backstage auf einen Stuhl fallen und essen erstmal was.
"Wo ist eigentlich Wincent?" frage ich irgendwann.
"Jonas wollte vorhin irgendwas und da sind sie rausgegangen."
Das soll wohl nen Scherz sein. Was hat er bitte jetzt schon wieder für nen Problem?
"Kannst du sie mal suchen gehen? Wir müssen dann demnächst auch wieder los."
Danke, Amelie!
"Mach ich" sage ich nur schnell und mache mich dann auch auf den Weg.
Am liebsten würde ich Jonas ein paar Takte erzählen. Was will er Wincent bitte jetzt wieder für Scheisse eintrichtern? Eigentlich kann er das ja auch gar nicht. Ich habe Wincent die komplette Geschichte erzählt. Auch wenn es sich verdammt seltsam angefühlt hat.
"Sie wird dich nie so lieben, wie ihre erste Liebe!" werde ich von Jonas' Stimme aus den Gedanken gerissen.
"Alter, hast du's dann mal?"
"Erst, wenn sie wieder mir gehört!"
Wie bitte?
"Ist sie ein Gegenstand? Ich glauben nicht. Wen sie liebt ist allein ihre Sache und ich glaube, sie will mich heiraten, oder?"
"Hm... genau, sie will dich heiraten."
"Was soll das denn jetzt wieder heissen?"
"Wenn sie dich doch so liebt, warum schaut sie uns dann beim Soundcheck zu."
"Weil es ihr Job ist? Sie und Amelie kümmern sich hier darum, dass alles so läuft, wie es soll."
"Und das stört dich rein gar nicht?"
"Ich könnte kotzen, wenn ich dich bei ihr sehe... aber ich weiss, dass sie niemals mehr was mit dir anfangen würde."
"Und das weisst du ganz genau."
"Kleiner Tipp, wenn man jemanden liebt, vertraut man ihm. Ich vertraue Mira zu hundert Prozent."
"Ich hab mich nicht von ihr entfernt, weil ich sie nicht liebe verdammt!"
"Sie hat mir die Geschichte erzählt."
"Bestimmt nicht die ganze."
Doch! Ich hab ihm alles erzählt.
"Sie hat mir alles erzählt. Ich weiss, warum du dich von ihr entfernt hast. Die Karriere. Du wolltest mit deiner Musik Erfolg haben und das kann ich auch verstehen. Soll ich dir mal was erzählen? Meine Beziehung ist damals kaputt gegangen, als ich erfolgreich wurde. Ich bereue immer noch ein klein bisschen, dass ich mich damals nicht um die Beziehung gekümmert habe, aber im Endeffekt war es genau das richtige. Ich kann mir nun keine andere Frau als Mira an meiner Seite vorstellen. Sie ist der grösste Sturkopf auf Erden und ich liebe es."
"Ach komm, das kannst du gar nicht lieben. Sie hört auf nichts, was du ihr sagst."
"Ach komm, jeder hier weiss, dass Mira und Amelie hier den Ton angeben und zuhause hat keiner von uns das Sagen."
"Es nervt dich kein bisschen, das sie nie auf dich hört?"
"Ich verbiete ihr nichts. Dazu hab ich auch gar nicht das Recht."
Eine Zeit lang ist es still. Ich stehe einfach vor Wincent seiner Garderobe und lächle.
Wie kommt Jonas darauf, dass Wincent mir irgendwas verbieten würde? Das ist nicht Wincent. Und wenn Jonas genau so ist, bereue ich jede einzelne Träne, die ich damals vergossen habe.
"Ich habe mich von ihr entfernt, weil ich sie schützen wollte."
He?
"Wie meinst du das?"
"Ich hätte kaum Zeit für sie gehabt und sie war in der zehnten Klasse. Ihr grosser Traum war es, zu studieren. Sie ist die ehrgeizigste Person auf diesem Planeten. Sie hätte zwar definitiv studiert, wären wir zusammengekommen, aber nicht in Berlin. Sie hätte in Köln studiert, weil ich nicht hätte weggehen können. Ich wollte, dass sie geht. Ich wollte, dass sie in Berlin studiert. Das hat sie geschafft, oder? Ich hab dann doch schon früher eingesehen, dass ich ein komplettes Arschloch war. Als ich zu ihr bin, um mich zu entschuldigen, war sie mit diesem Vollspasten Felix zusammen. Ich konnte ihn ja schon nicht ab, als er noch nicht mit ihr zusammen war."
"Wenigstens sind wir uns jetzt in dem Thema einig" murmle ich.
"Ich war ja schon ein völliges Arschloch, aber Felix war dann doch schon ne Schippe drauf. Ich hab nicht verstanden, was sie an ihm gefunden hat."
"Und weil du damals Scheisse gebaut hast und deine Chance vergeigt hast, soll sie jetzt auch nicht mehr mit einem anderen glücklich werden?"
"Ich..."
"Erklär es mir. Hab ich jemals den Anschein gemacht, dass ich sie verletzen will? Hat sie jemals den Anschein gemacht, dass sie mit mir nicht glücklich ist?"
"Das ist es doch gar nicht."
"Was ist es dann? Du willst sie an deiner Seite und das kann ich auch verstehen. Sie ist nunmal einfach toll, aber wenn sie glücklich ist, kannst du das nicht akzeptieren?"
"Könntest du glücklich sein, wenn die Person, die du liebst mit einem anderen zusammen ist und du das Tag und Nacht ertragen musst?"
"Wenn die Person, die ich liebe glücklich ist, bin ich es auch. Klar würde es mir verdammt wehtun, wenn Mira meine Gefühle nicht erwidern würde, aber wenn sie glücklich ist..."
"Du könntest es ertragen, zu wissen, dass du sie hättest haben können, aber du zu dumm warst, um einfach was zu riskieren? Ich sehe sie lachen. Sehe, wie sie glücklich ist und weiss, dass ich es auch hätte sein können, den sie vor jedem Auftritt küsst. Ich hätte auch derjenige sein können, in dessen Armen sie einschläft. Ich hätte auch derjenige sein können, der ihr einen Heiratsantrag macht. Ich hätte auch derjenige sein können, der sich mit ihr eine Zukunft aufbaut... Ich will, dass sie glücklich ist, aber ich will es nicht sehen."
Ich höre, wie er näher zur Tür kommt.
Schnell mach ich ein paar Schritte zurück und tue dann so, als sei ich grad erst auf dem Weg hier her gewesen.
"Keine Sorge, ich hab deinem Schatz nichts getan" meint er leicht genervt, als er an mir vorbeiläuft.
Dann steht Wincent in der Tür und wir beide sehen ihm nach.
"Was war das grade?" murmle ich.
"Das war eine krasse Rede... Er-"
"Ich hab alles gehört."