Chapter 55

1.8K 48 1
                                    

-SICHT WINCENT-
Von meinem Handyklingeln werde ich unsanft geweckt.
»Amelie«
"Ist was paasiert? Geht's Mira gut?" gehe ich sofort panisch ran.
"Raste jetzt bitte nicht aus" meint sie in einem Ton, der mich beruhigen soll, nur merke ich selber, wie panisch sie ist.
Das ist seltsam... Amelie habe ich noch nie panisch erlebt.
"Amelie? Was ist los?"
"Mira ist weg."
"Wie sie ist weg?!"
"Ich stehe auf, gehe in die Küche und finde nur einen Zettel, dass sie für nen paar Tage die Stadt verlässt, ich dir nichts sagen soll und dass sie noch nicht ganz weiss, wo sie hinfährt und wann sie wiederkommt."
"Bitte?!"
"Sie hat ihre Sachen gepackt und ist weggefahren."
"Und jetzt?"
"Erreichen tust du sie eh nicht. Ihr Handy ist im Flugmodus."
"Was soll ich nur tun? Ich liebe sie."
"Und sie liebt dich. Lass ihr jetzt einfach mal kurz die Zeit. Ich weiss, einfacher gesagt, als getan, aber kümmere dich um deine Termine und dann könnt ihr das in Ruhe klären."
"In Ruhe klären... Sag mal weisst du eigentlich, was du gerade sagst? Seit über einer Woche habe ich nichts von Mira gehört. Sie ist stocksauer, obwohl ich Yvonne nicht geküsst habe. Ich kann nicht mehr! Ich will das endlich mit ihr klären. Mir geht es scheisse!"
"Ihr geht es auch scheisse! Deswegen ist sie hier weg. Sie hält Berlin gerade einfach nicht aus. Ich weiss auch nicht, wo sie hin ist. Jetzt mach die paar Termine noch fertig und komm dann wieder her. Sie will es auch klären und wird da sein, wenn du kommst."
Amelie's Ton lässt definitiv keine Widerrede.
"Okay" murmle ich also.
Sie versucht nochmal kurz mich aufzumuntern und legt dann auch schon auf.
Ich schmeisse mein Handy aufs Bett und gehe erstmal eiskalt duschen.
Was soll ich nur tun?
Mira fehlt mir.
Während das kalte Wasser über meine Haut fliesst, schaff ich es zumindest so einigermassen wieder einen klaren Gedanken zu fassen.
Als ich wieder aus der Dusche gehe und in den Spiegel schaue, weiss ich wieder, warum ich mich wehre, mit Shay oder irgendwem über FaceTime zu sprechen, geschweige denn Fotos oder so vermeide. Ich sehe komplett fertig aus. Augenringe, leicht verquollen, trüb, blass, Bartstoppeln. Okay, die müssen echt ab. Obwohl ich gerade überhaupt keine Lust habe, rasiere ich mich schnell und gehe danach nochmal ins Zimmer.
In frischer Boxershorts setze ich mich nochmal aufs Bett und nehme mir mein Handy.
Mein Herz bleibt stehen
Mira hat mir geschrieben.
»Mach dir keine Sorgen. Mir geht es soweit gut. Ich bin nur für ein paar Tage aus Berlin raus.«
»Wo bist du?«
»Wenn ich dir das sagen würde, würdest du kommen und das will ich gerade nicht.
Ich bin nicht in Köln, so viel kann ich sagen.«
»Mira, uns geht es doch beiden scheisse. Ich weiss, dass du genauso leidest, wie ich.«
»Ich hab den Song gehört.«
»Dann weisst du auch, dass ich dich nicht aufgeben werde.«
»Ich habe nicht vor, alles aufzugeben, was wir uns aufgebaut haben, aber ich brauche gerade einfach ein bisschen Zeit. Dieses Bild geht mir nicht aus dem Kopf.«
Meine folgende Nachricht kommt nicht mehr an. Sie ist wieder im Flugmodus.
Wenigstens hat sie ihr Profilbild nicht geändert. Es ist immer noch das Bild von uns beiden im Urlaub in Amsterdam an einem der Knanäle. Ich hatte es gemacht. Sie drückt mir grinsend einen Kuss auf die Wange, während ich in die Kamera grinse. Ihre Arme sind um meine Taille geschlungen und ich habe den Arm um ihre Schulter gelegt. Es war ein verdammt schöner Urlaub im Herbst.
Sie ist nicht in Köln. Vielleicht bei ihren Grosseltern in Bielefeld? Oder in Dortmund?
Ich muss das jetzt einfach mal beiseite schieben. Sie hat doch auch geschrieben, dass sie uns noch nicht aufgeben will. Das hätte ich auch ganz sicher nicht zugelassen. Ich lasse sie doch nicht gehen. Da wär ich doch der dümmste Mensch auf Erden, diese Frau gehen zu lassen.
Ich ziehe mich fertig an und gehe dann erstmal zum Frühstück.

Nach einem ellenlangen Interview komme ich endlich aus dem Gebäude raus.
"Wincent?"
Scheisse... Lena.
"Hey" begrüsse ich sie leicht lächelnd.
Wir umarmen uns kurz und dann mustert sie mich einmal kritisch. Krankenschwesterblick.
"Alles klar bei dir?"
"Klar, was soll sein?"
"Deine Augen sind gerötet, du hast krasse Augenringe, du stehst komplett gekrümmt da? Du siehst echt nicht glücklich aus. Wo ist dein Dauergrinsen?"
"Ist grade etwas kompliziert."
"Ich hatte die Nachtschicht und somit jetzt Schluss. Ich bin ausserdem ziemlich neugierig."
"Können wir das vielleicht nicht auf der Strasse besprechen?"
"Sollen wir da hinten in das Café?"
"Okay" murmle ich nur.
Eigentlich hab ich echt keine Lust, zu reden, aber Lena und Mira sind sich da ziemlich ähnlich und akzeptieren kein Nein.
Wir setzen uns also in der hinteren Ecke an einen kleinen Tisch und bestellen erstmal einen Kaffee.
"Also, schiess los."
"Bei mir ist es grad einfach scheisse... Beziehungsweise herrscht bei Mira und mir grade ziemlich dicke Luft. Heute Morgen haben wir das erste Mal seit über einer Woche mal kurz geschrieben. Sie ist wohl heute früh auch irgendwie weggefahren. Also sie ist aus Berlin raus. Ich hab keine Ahnung, wo sie ist und habe einfach Angst."
"Was ist passiert?"
"Vor zehn Tagen war in Berlin ne Veranstaltung. Eigentlich wollten wir dann danach auch gleich gehen, weil ich am nächsten Morgen dann direkt nach München gefahren bin, nur hab ich eben gewonnen und dann sind wir noch etwas geblieben. Meine Ex ist dann aufgetaucht und ich weiss nicht wieso, wahrscheinlich, weil ich keine Lust auf nen riesigen Aufstand hatte, bin ich ihr in den Backstage gefolgt. Nach ner kurzen Diskussion hat die mich dann einfach geküsst. Ich hab nichts erwidert, war aber wie erstarrt. Ich konnte mich nicht bewegen. Als ich es dann doch mal gerafft habe, hab ich sie weggestossen. Mira hat das Ganze nur gesehen. Sie weiss zwar, dass ich sie nicht geküsst habe, aber meint, ich habe es einfach zugelassen."
"WOW... Und seit dem habt ihr keinen Kontakt gehabt?"
"Ich hab ihr geschrieben. Sie hat es gelesen, aber nicht geantwortet. Amelie hat mir immer mal geschrieben, dass es ihr genauso scheisse geht."
"Na klar geht es ihr genauso scheisse."
"Hast du vielleicht eine Ahnung, wo sie noch sein könnte?"
"Nein... Ich glaube auch nicht, dass sie irgendwie in Dortmund oder Bielefeld ist. Sie will es mit dir definitiv noch klären. Sie würde das mit dir niemals einfach so aufgeben, aber wenn sie irgendwo bei der Familie auftaucht, müsste sie das erklären und dann würde eure Versöhnung im Mittelpunkt der Familie stehen."
"Ich vermisse sie einfach. Da hatten wir ja mehr Kontakt, als wir drei Wochen mit Zeitverschiebung getrennt waren."
"Hör zu, wenn sie sich irgendwie bei Max oder mir meldet, sag ich dir sofort Bescheid."
"Danke."
"Kein Ding... Sie ist für mich wie eine kleine Schwester und ich weiss, dass sie dich über alles liebt. Wenn sogar Max nicht das geringste Problem mit dir hat, kannst es nur du sein. Jeder Junge, sei es auch einfach nur ein Freund gewesesn, was hauptsächlich der Fall war, musste Max ihn immer in ein Kreuzverhör nehmen und hat jeden Schritt genau im Blick gehabt. Ausnahme war Lukas."
"Danke fürs zuhören, das hab ich glaub mal gebraucht."
"Ist doch klar! Max erzähl ich das ganze aber mal lieber nicht. Würde nur stressig enden. Bekomm nen freien Kopf und rede in Ruhe mit ihr. Sie braucht bestimmt auch ein wenig Zeit. Wenn ich Max sehen würde, wie seine Ex ihn küsst, bräuchte ich auch erstmal Zeit. Okay, es geht quasi gar nicht, weil ich glaube seine einzige Freundin bis jetzt war und bin, aber es würde sich sicher wie ein Stich anfühlen."
"Ja, ich verstehe auch, dass sie das nicht kalt lässt, aber wir leiden beide und haben eigentlich keinen Grund. Sie weiss, dass es für mich keine andere als sie gibt. Sie weiss, dass ich Yvonne nicht geküsst habe. Ich kann nicht mehr. Ich werde Mira auf keinen Fall aufgeben, aber ich habe einfach Angst. Sie will uns nicht direkt aufgeben, aber sie will mir auch noch nicht zuhören... Es macht mich auch einfach fertig, nicht zu wissen, wo sie ist. Ich bin kein kontrollsüchtiger Freak, aber so ne grobe Ahnung, wo sie ist hätte ich schon echt gerne."
"Ich versteh dich schon. Man fühlt sich machtlos, wenn sie dicht machen. Wenn man weiss, dass es ihnen beschissen geht, sie aber nicht reden. Max und Mira sind sich einfach zu ähnlich."

Hier neben dir Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt