Nach zwei Wochen fahre ich wieder in unsere Tiefgarage. Mira's Auto steht da. Wenn ich Glück habe, ist sie auch da, mit Pech, ist sie mit dem Zug gefahren.
Aus dem Kofferraum hole ich noch schnell meine Tasche, bevor ich zum Aufzug gehe.
Im Erdgeschoss kommt auch noch die etwas ältere Dame rein, welche mit ihrem Mann in der Wohnung unter uns wohnt. Die beiden sind vor ein paar Monaten von ihrem Haus hier her gezogen, da sie mit der Arbeit nicht mehr ganz hinterhergekommen. Hier ist es eben ruhig. Keine Familien mit Kindern, keine WG's. Eine ruhige Nachbarschaft.
"Ach, guten Tag Herr Weiss" begrüsst sie mich wie immer freundlich.
"Hallo" lächle ich.
"Sie hab ich ja lange nicht mehr gesehen."
"Ich war zwei Wochen nicht zuhause."
"Ihre Frau aber auch nicht, oder? Am Mittwoch Morgen habe ich sie kurz getroffen. Sie wollte zum Bahnhof."
Scheisse!
"Äh ja, sie ist zu ihrer Familie für ein paar Tage."
"Das ist ja schön. Sie wirkte mir aber schon etwas durch den Wind."
"Ja, die Arbeit stresst gerade schon."
Etwas schlecht fühle ich mich ja schon, Frau Graaf zu belügen, nur ist sie eine absolute Tratschtante und die dicke Luft zwischen Mira und mir geht nun wirklich gar keinen etwas an.
"Ach, das ist aber schön, dass es noch junge Leute gibt, die Ehrgeiz bei der Arbeit zeigen. Sowas ist selten heutzutage."
"Ja, leider denken manche so."
"Passen Sie nur auf, dass neben der Arbeit auch noch genug Zeit für die Familie bleibt."
"Glauben Sie mir, da passe ich auf, wie kein anderer."
"Ach, das Jungsein... Geniessen sie es, solange es noch geht. Wenn Sie einmal in unserem Alter sind, ist das alles etwas anders."
Dann sind wir auch schon im fünften Stock.
"Oh, kann ich Ihnen noch kurz helfen?"
"Hach, das wäre lieb."
Ich stelle meine Tasche in den Flur und schnappe mir die beiden Einkaufstaschen. Sie geht vor und ich folge ihr.
"Wohin?"
"In die Küche."
Ich bringe die Taschen in die Küche und lächle ihren Mann auf dem Balkon kurz an, bevor ich mich von ihr verabschiede.
Wie sollte es anders sein, ist der Aufzug schon nach unten gefahren. Was soll's? Ist eh nur noch ein Stockwerk.
Ich werfe mir meine Tasche über die Schulter und gehe hoch.Als ich die Tür aufschliesse und meine Tasche fallen lasse, kann ich wieder richtig durchatmen, aber Mira ist nicht zuhause.
Ich schmeisse nur schnell meine Wäsche in den Korb.
Aus dem Kühlschrank schnappe ich mir ein Bier und stelle mich auf den Balkon. Die letzten zwei Wochen habe ich absichtlich auf Alkohol verzichtet, da es höchstwahrscheinlich mit einem Totalabsturz geendet wäre. Jetzt zum Feierabend gönne ich es mir aber mal. Sonnenuntergang hinter den Häusern und kühles Bier in der Hand. Hätte ich jetzt noch Mira...
Was will ich ihr eigentlich sagen?
Mira meint, dass ich es einfach zugelassen habe. So sah es auch aus. Ich war einfach
überfordert. Das ist definitiv keine Entschuldigung, aber ich hab abgestritten auch nur noch einen Funken Gefüh-
Scheisse...
Das ist genau das selbe, wie mit Jonas.
Nur ist Mira nicht so eifersüchtig wie ich, sondern einfach enttäuscht. Sie will Abstand.
"Ich bin so ein Idiot" murmle ich.
Wahrscheinlich habe ich es mit meinem Song und meinen Nachrichten auch nicht gerade besser gemacht.
Plötzlich höre ich die Schiebetür hinter mir erst auf und dann wieder zugehen. Ich drehe mich leicht um.
Ohne mich anzusehen kommt sie vor und stellt sich einen Meter weiter neben mich.
"Hi" sagt sie leise, hat den Blick aber immer noch nach vorne gerichtet, während ich sie genau anschaue.
"Hi..."
Ich mustere sie einmal durch.
Sie trägt die selbe Jogginghose, wie auf der Story gestern und ein lockeres, bauchfreies T-Shirt. Sie sieht müde aus.
"Du wolltest reden... Ich höre dir zu."
Ihr letzter Satz lässt meine Mundwinkel leicht nach oben zucken.
Noch einmal atme ich durch, bevor ich anfange.
"Ich weiss nicht, warum ich überhaupt mit Yvonne nach hinten gegangen bin. Wahrscheinlich, weil ich keine Lust auf irgendeine riesige Szene hatte. Klar wusste ich nicht, was sie will, aber ich hatte einfach im Gefühl, dass es nichts gutes ist... Ich habe ihr gesagt, dass ich niemand anderen als dich will, dass ich dich liebe."
"Daran habe ich doch auch nie gezweifelt. Wincent, bei Jonas konntest du mir nicht komplett vertrauen, obwohl du wusstest, dass er mir sowas von am Arsch vorbeigeht. Er ist schon lange Geschichte für mich gewesen. Als ich euch gesehen habe... Wie du es einfach passieren lassen hast."
"Ich weiss nicht, was das war. Ich war wie erstarrt. Als ich kapiert habe, was da gerade passiert, habe ich sie weggestossen."
"Hast du irgendetwas empfunden?"
Jetzt sieht sie mich endlich an.
"Was?! Das einzige, was ich gefühlt habe war, dass mich genau die falsche Frau küsst, dass es ganz sicher nicht die Frau ist, die ich heiraten und mit der ich Kinder bekommen möchte. Das bist allein du."
Meine Flasche habe ich schon lange abgestellt und stehe vor ihr. Langsam dreht Mira sich auch zu mir.
"Dieses Bild hat sich in meinen Kopf gebrannt."
Vorsichtig mache ich einen kleinen Schritt auf sie zu.
"Ich hätte es nichtmal annähernd so weit kommen lassen dürfen... Die letzten zwei Wochen waren die schlimmsten überhaupt. Ich will mich dir nie wieder so fern fühlen. Ich brauche dich. Es ist keine Stunde vergangen, in der ich nicht an dich gedacht habe."
Ich spüre eine Träne, die mir über die Wange rollt.
Mira sieht mich mit grossen Augen und leicht geöffnetem Mund an.
Ja, ich bin nicht nah am Wasser gebaut, aber gerade passiert es einfach.
Mira macht noch einen kleinen Schritt auf mich zu und ich falle ihr schon fast in die Arme. Mein Gesicht vergrabe ich in ihrer Halsbeuge, während meine Hände an ihrer Taille liegen.
"Ich hab dich noch nie weinen sehen" murmelt sie.
"Es war grad einfach... Ich... Es... Tut mir leid... Es... "
"Hey" murmelt sie beruhigend.
"Es war grad einfach zu viel... Ich habe dich so vermisst und jetzt..."
"Ich hätte auch mal früher zuhören sollen... Aber dieses Bild, ich habe nur ihre Lippen auf deinen gesehen und wusste nicht mehr, was ich denken soll. Ich habe doch gesehen, dass du sie nicht geküsst hast, aber..."
"Ich kann dich doch verstehen... Mit Jonas war ich der eifersüchtigste Idiot, obwohl es keinen Grund gab und dann kommt Yvonne..."
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Hier neben dir
FanfictionEin paar Monate sind jetzt vergangen, seit Wincent nun die ganze Wahrheit über Mira erfahren hat. Die beiden sind immer noch glücklich und es könnte für sie nicht besser laufen. Klar, es gibt mal die ein oder andere Diskussion, aber dass ist doch au...