Der letzte Dorn

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Der letzte Dorn

Annika war glücklich.

Mit einem Lächeln auf den Lippen wusch sie sich Floids Blut von den Fingerspitzen und fuhr durch ihr Haus. Ja, diese ganze Villa gehörte ihr.

Nur ihr.

Denn Annika war, wenn man es bescheiden formulierte, ein Genie. Ein Genie im Bereich der Medizin. Das ganze Geld hatte sie nur, weil sie genug Patente an die Pharmaindustrie verscherbelt hatte. Ein neues Medikament entwickeln war für sie wie das Gehirnjogging vor dem Frühstück. Anspruchsvoll, aber kein Problem.

Damals hatte sie ihre Villa eigens für diese Zombieapokalypse ausgestattet. Sie hatte Judie die Funknachricht einsprechen lassen, war nach Berlin gefahren und anschließend nach Köln.

Es war unglaublich ärgerlich gewesen, dass sie ihren Rollstuhl hatte zurück lassen müssen und auf andere angewiesen war. Dass sie darauf angewiesen war, dass Ardy sie trug, auch wenn er der beste Handtuchträger gewesen war, den sie je gehabt hatte.

Jetzt war sie endlich wieder zu Hause und freute sich unglaublich auf die erste, frisch geduschte Nacht in ihrem weichen Bett, alleine in ihrem Zimmer. Doch zuerst musste sie noch eine Sache erledigen. Den letzten Dorn herausziehen, der ihr im Fleisch steckte.

„Bist du fertig, Judie?“

Das kleine Ding war ganz blass, als sie zu ihr kam. Als hätte sie sich übergeben, während sie Floids Überreste aus der Villa geschafft hatte.

Armseelig.

„Ja…“

Sie schluckte und kam um die Ecke. Damals, als Annika sie bei ihrem Medizinstudium kennen gelernt hatte war sie eine der Schönheiten der Uni gewesen. Jeder Junge war hinter ihr her gewesen. Mit Genugtuung bemerkte sie, dass es jetzt wohl nicht mehr so sein würde. Was hatte Flo gesagt, bevor sie ihm die Kehle aufgeschnitten hatte? Die kleine Schönheit von der Uni war in eine Horde Zombies hineingezogen worden? Ihr ganzer Körper war über und über mit halbmondförmigen Narben übersehen und eines ihrer ach so schönen Augen fehlte einfach.

Allein dieser Anblick war es wert gewesen an ihr die experimentelle Impfung gegen den Virus auszutesten.

„Bitte, Annika! Lass mich jetzt meine Schwester sehen! Ich habe alles getan was du wolltest. Jedes einzelne, abscheuliche Ding. Ich habe sie alle infiziert, wie du wolltest und zwar nur, weil du gedroht hast meiner Schwester etwas anzutun. Meiner kleinen Schwester, meiner Clementine. Ich habe soeben LeFloids Leiche aus dem Haus geschafft. Du hast alles, was du wolltest, also gib mir jetzt meine Schwester zurück!“

„Ich kann nicht.“

„Warum…“

Wollte Judie sie anfahren, doch mit einem einzigen Blick schnitt Annika ihr das Wort ab.

„Ich kann nicht, weil ich nicht weiß, wo sie ist. Hört zu, ich habe deine, ach so wichtige, kleine Schwester nicht angerührt, aber wenn man von der Lage da draußen ausgeht kann man getrost sagen, dass ein Untoter ihr mittlerweile bestimmt die Kehle aufgerissen hat.“

„Du…“

Hass und Trauer glühten in ihrem letzten Auge und Annika hätte dem kleinen Ding zugetraut, dass sie ihr augenblicklich an die Kehle springen würde. Mit diesem Blick in den Augen hätte Judie sie umbringen können, doch Annika hatte damit gerechnet.

Ohne auch nur mit der Wimper zu zucken zog das Mädchen im Rollstuhl eine Waffe und entsicherte sie.

„Judie, du hast Recht. Ich habe alles, was ich wollte und ich teile meine Ergebnisse selten. Wenn ich ehrlich bin teile ich meine Ergebnisse nie. Ich brauche dich nicht mehr, Judie. Du bist der letzte Dorn in meinem Fleisch.“

Mit diesen Worten drückte Annika ab.

Bis zum letzten Tropfen BlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt