Ein Knulf

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Ein Knulf

Taddl

Allerdings war es schon zu spät für Taddls Selbsterhaltungstrieb an ihn zu appelieren. Der junge Mann hatte die Tür bereits aufgestoßen, bereit einem Untoten, für Ardy, mit bloßen Händen das Genick zu brechen, doch es war kein  Zombie, der vor ihm stand. Es war ein Junge. Etwa 16 Jahre  alt.

„H-hallo…“ stotterte Taddl unsicher, während der erste, wirklich lebende, Mensch den sie seit Wochen trafen, sich langsam zu ihm umdrehte. „Wer… Wer bist du?“

Taddl wurde von aufmerksamen, sturmblauen Augen gemustert und fragte:

„Stehe ich zwischen Birken?“

Verwirrt blinzelte der YouTuber.

„Äh… nein…“

„Dann bin ich schon mal keine Hexe. Ihr könnt euch glücklich schätzen, ich werde euch also nicht fressen.“

Bitte was? Von was redete der Junge da? Hatte die Welt da draußen ihn wahnsinnig gemacht?

„Und wer bist du dann, wenn du keine Hexe bist?“

Fragte Taddl vorsichtig weiter.

Ein Lächeln stahl sich auf die dünnen Lippen des Jungen.

„Wenn ich mich vorstellen dürfte: Greifen Reiter, Anzettler eines Krieges, verfolgter Verräter, gefeierter Held und Bestimmer über Leben und Tod.“

Er verneigte sich mit einem spöttischen funkeln in den Augen, wobei seine braun- roten, viel zu lang gewachsenen Haare, die sich zu rebellischen Locken kräuselten ins Gesicht fielen.

Okay, ab hier war Taddl sich sicher. Der Junge war verrückt und was auch immer ihn dazu gebracht hatte seinen Verstand zu verlieren, es musste etwas schlimmes gewesen sein. Der hier hatte nicht nur nicht mehr alle Tassen im Schrank… Sein Schrank war ausgeräumt, verbrannt und die Asche war fachmännisch vernichtet worden.

Offensichtlich hatte der Junge allerdings seinen Blick bemerkt, richtete sich wieder auf und sagte in einem ernsteren, kühleren Tonfall.

„Ich bin Autor, du Idiot.“

„Oh…“ Taddl spürte, wie die Scham seine Wangen rot färbte. „Und was machst du dann hier?“

„Wonach sieht es denn aus? Dasselbe wie du- Überleben!“

Er zog eine weitere Dose aus dem Regal, vor dem er stand und warf sie in hohem Boden in einen schwarzen Rucksack, der auf der anderen Seite der Küche stand.

„Und, Taddl, bist du alleine? Hatte angenommen, dass ihr in Köln alle draufgegangen seid. Da hat’s ja angeblich angefangen, sicher ist sich aber keiner. Ein kleiner Konvoi hat mir neulich geschworen es hätte in Essen begonnen. Tja, niemand kann das jetzt noch so genau ermitteln. Schade eigentlich.“

„Es war Köln.“ Taddls Stimme klang erstickt, so sehr schnürte ihm die Erinnerung die Kehle zu. Da waren sie noch alle am Leben gewesen… „Simon hat mich damals angerufen… Ich war unterwegs, um mir ein neues Tattoo stechen zu lassen und war deshalb nicht in der Stadt.“

„Und was macht der große YouTube- Star dann hier?“

Der Junge ließ ihn keine Sekunde aus den Augen, während er hinüber zu seinem riesigen, prall gefüllten Rucksack schlenderte und betont langsam den Reisverschluss zu zog.

„Sämtliche Lager und sichere Konvois mit gleichaltrigen würden sich doch alle 10 Finger danach lecken dich aufzunehmen. Außer diese schrägen Gruppen, die fast nur aus Mädchen bestehen…“

Er rümpfte einmal kurz die Nase, schüttelte aber schnell wieder den Kopf.

„Haben mich fast schon gezwungen bei ihnen zu bleiben. Von wegen Wiederbevölkerung Europas und sowas… Ich, für meinen Fall habe dankend abgelehnt und bin am nächsten Tag abgehauen. Für alle Sicherheit der Welt wäre ich nicht dort geblieben!“

 Verwirrt sah Taddl ihn an.

„Du hast andere Menschen getroffen? Für uns bist du der erste, wirklich lebende, seit es angefangen hat!“

„Dann seid ihr die falschen Wege gegangen. Wer ist denn noch bei dir? Ardy, Dner, Simon?“

„Simon… ist… tot.“

Zum ersten Mal verschwand das ironische glitzern in seinen Augen und er hielt mitten in der Bewegung inne.

„Was? Wie…“

Der Junge verstummte und zog sich den Rucksack wieder vom Rücken. Taddl sah, wie er kurz nachdachte, bevor er fragte:

„Habt ihr vielleicht hunger? Ich habe mehr als genug Konserven dabei und… ich bin neugierig. Eure Geschichte gegen meine, wenn du willst.“

Zum einen fürchtete Taddl sich davor so früh schon wieder zu erzählen, wie sie Simon verloren hatten. Annika hatte Recht gehabt, es war wirklich seine Schuld gewesen, doch andererseits waren sie alle hungrig und endlich wieder etwas warmes zu essen hörte sich zu verlockend an.

„Vorher hätte ich aber noch eine Frage an dich.“

Brummte Taddl leise und sofort hob der Junge den Kopf.

„Du kennst unsere Namen, also wäre es doch auch fair zu wissen, wie du heißt, oder?“

Das spöttische Funkeln kehre in die Augen des Jungen zurück.

„Es lebt keiner mehr, der meinen wirklichen Namen kennt, zumindest denke ich das. Wenn es die liebe After schon erwischt hat… Also nennt mich einfach Knulf.“

Bis zum letzten Tropfen BlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt